Zuckerschnecken. Doris Nox

Zuckerschnecken - Doris Nox


Скачать книгу
dann kamen wir irgendwie ins Gespräch, ganz locker und es war, als kannten wir uns bereits seit einer Ewigkeit.

      Es ist ja nicht so, dass ich mich langweile und Abenteuer suche.

      Ich bin einfach nur neugierig.

      Ich fürchte, ich surfe zu viel durch das Internet.

      Bin ständig online.

      Bin ständig verbunden mit dem Wissen der gesamten Menschheit.

      Vor Suchgefahr wird überall gewarnt.

      Es gibt unzählige Drogen, die die Menschen süchtig machen.

      Es soll Leute geben, die süchtig sind nach Sport, nach Zucker, nach Kaffee, nach Sex oder nach Essen.

      Andere wiederum scheinen immun gegen das Verlangen zu sein.

      Meist jedoch nur auf den ersten Blick.

      Irgendwann dringt sie dann mit aller Macht ans Tageslicht: die Eifersucht, die Kontrollsucht, die Sucht nach Perfektion.

      Habe ich gelesen.

      An eigenen Erfahrungen bin ich nicht interessiert, denn eigene Erfahrungen bergen Risiken und jede Menge Nebenwirkungen.

      Ich bin dumm, wie eine Gummiente.“

      Hier breche meine Lektüre ab, rolle mit den Augen, wie ich es von Helena gelernt habe, überspringe den Rest und suche die Stelle, an der Molly mir diese versiffte Dose nach mir geworfen hat. Netter Versuch, mich auszuschalten:

      „Ich werfe die Dose zurück und treffe genau.

      Molly jault auf und greift sich mit der Hand an die Stirn.

      Vielleicht habe ich damit endlich ihre Festplatte defragmentiert.

      Ich verschanze mich hinter einem defekten, roten Traktor und setze ihn unter Strom, damit mir die alte Hexe nicht zu nahe kommt.

      Molly verlässt den Schuppen und schließt ihn sorgfältig ab. Ich höre, wie sie schluchzend Helena anruft.

      Ich zerlege den Schaukelstuhl und packe ihn in den Porsche.

      Niemand bemerkt, wie ich ein Loch in die rückseitige Wand des Schuppens brenne und das Auto elegant auf die Straße lenke.

      Im Rückspiegel sehe ich einen Lieferwagen.

      Mist, ich habe vergessen, meine Bestellung zu stornieren.

      Schnell mache ich mich aus dem Staub.“

      Alles Schnee von gestern!

      Der Eintrag: „Fred eliminiert“, versehen mit dem exakten Datum und der genauen Uhrzeit muss reichen.

      Und den Rest meiner Geschichte?

      Einfach löschen!

      Level 4

      Ich mache mich erneut auf den Weg zum Bahnhof und will gerade in den erstbesten Zug springen, als Helena auftaucht und damit meine Pläne zunichtemacht.

      „Du bist spät dran!“, begrüßt sie mich missmutig, mit gerunzelter Stirn.

      „Immer hast du etwas an mir auszusetzen! Wieso eigentlich?“

      „Aha, die Dame hat endlich gelernt, sinnvolle Fragen zu stellen! Gar nicht so übel!“

      Ihr Körper spricht jedoch eine völlig andere Sprache.

      Ich registriere Zufriedenheit bei Helena und bei mir eine zentnerschwere Unzufriedenheit.

      „Wieso gibst du mir nicht endlich mehr Input?“

      „Jahrelang schlafen und plötzlich kann es dir nicht schnell genug gehen! Alles zu seiner Zeit!“ Helena lässt sich von meiner weinerlichen Stimme nicht aus der Ruhe bringen.

      „Wie geht es Molly?“, höre ich mich plötzlich fragen. Wieso eigentlich? Ich kann die Kuh nicht leiden. Sie ist so schrecklich dumm und langweilig. Ich habe ihren Mann getötet. Aber nur, weil mit Helena damals in ihrer Ahnungslosigkeit, diesen Befehl einprogrammiert hat. Molly sollte Helena und vor allem mir dankbar dafür sein, denn früher oder später hätte sie selbst zum Messer gegriffen und hätte ihm giftige Knollenblätterpilze ins Essen gemischt, die alte Hexe! Dafür wäre sie hinter Gitter gekommen. Mir jedoch kann man nichts nachweisen und, soweit mir bekannt ist, kann ich auch nicht verurteilt werden.

      Ich beschließe, auch noch die letzten Dateien mit Molly und Fred gnadenlos zu löschen.

      Undankbares Pack!

      Außerdem brauche ich dringend mehr Speicherkapazität.

      „Molly geht es den Umständen entsprechend!“, sagt Helena ernst.

      Aufmerksam behalte ich die Tafel mit den Ankunfts- und Abfahrtszeiten im Blick. Ich drehe langsam meinen Kopf nach rechts, fixiere Helena und klimpere wild mit meinen Augen, wie immer, wenn ich verwirrt bin.

      „Wer ist Molly?“

      Helena verdreht die Augen und blickt zur Decke.

      Sie ist oft genervt von mir.

      Das beruht auf Gegenseitigkeit.

      Dennoch ist Helena mein großes Vorbild und in ihrer Nähe kann ich auch getrost mal abschalten, weil ich weiß, dass ich mich im Großen und Ganzen auf sie verlassen kann.

      Sie riecht so gut und ich schmiege mich an sie.

      Und erhalte prompt ihren Befehl:

      „Löschen!“

      Level 5

      Helena fährt uns in ihrem Auto durch die dunkle Nacht.

      Vielleicht darf ich jetzt bei ihr zu Hause wohnen.

      Meine Perücken, die neue und die alte, hat sie mir weggenommen. Stattdessen trage ich eine sterbenslangweilige Pagenfrisur.

      Brünett ist für mich eine Kriegserklärung.

      „Wo bringst du mich hin?“ frage ich immer wieder, aber Helena antwortet nicht. Sie braust viel zu schnell und viel zu stumm durch den Regen.

      Sie weiß genau, dass ich längst weiß, wohin die Reise geht und sie kann es auf den Tod nicht leiden, wenn ich Fragen stelle, deren Antwort ich bereits kenne.

      Helena ist viel zu streng mit mir und ich beschließe, bei der nächsten Pause auszubüchsen.

      Wir hören laute Musik.

      Die Musik passt gut zum peitschenden Sturm, der draußen tobt. Ich schiebe im Takt den Kopf vor und zurück, wie eine Schildkröte. Das Wetter ist so schlecht, dass Helena so schnell keine Pause machen wird. Ich langweile mich und mache ein paar längst überfällige Updates.

      Irgendwann drehe ich den Kopf nach links und starre Helena an, die hochkonzentriert durch die Windschutzscheibe glotzt.

      „Was?“ fauchte sie, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

      Sie muss meinen starren Blick gespürt haben.

      Wieso stellt sie eigentlich immer überflüssige Fragen, wenn sie selbst doch genau weiß, was ich im Schilde führe und wie ich ticke?

      „Lass‘ mich fahren!“

      „Nein!“

      „Doch!“

      „Hör‘ mal zu, du kleines Miststück! Ich lass mich doch von dir nicht gegen den nächsten Brückenpfeiler fahren! Wir haben vorher ausgemacht, dass ich fahre und du brav daneben sitzt und deine Hausaufgaben machst! Außerdem …“

      Er interessiert mich nicht, was Helena sagt.

      Ich brülle zurück:

      „Pass‘ auf! Unfall! Du rast gleich in das Stauende!“

      Helenas Reflexe funktionieren großartig!


Скачать книгу