Parkinson. Elisa Rudolf

Parkinson - Elisa Rudolf


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„Bitte keine Sätze formulieren, die mit ICH anfangen.“

      „Das ist eine positive, wichtige Erkenntnis“, würde meine Psychotherapeutin wohl sagen. „Sie haben erkannt, was ihnen nicht gut tut und gehen jetzt dagegen an. Da sind sie schon ein ganzes Stück weitergekommen.“ Die gute Seele, sie hat sich rührend um mich gekümmert.

      Nach einer mühseligen Suche im Therapeuten-Dschungel war ich bei ihr endlich angekommen. Sie war eine attraktive Person, noch jung, so Ende Zwanzig. Eine schlanke Figur, langes hellblondes Haar und ein hübsches Gesicht rundeten das schöne Bild ab.

      Zwei Jahre haben wir zusammengearbeitet, sind durch Höhen und Tiefen gegangen. Bei ihr konnte ich mich fallen lassen. Gestern eröffnete sie mir, dass sie ab April nicht mehr in Berlin sei. Ich war schockiert, unsere Therapie musste vorzeitig abgebrochen werden. Sehr schade, die Arbeit mit ihr brachte mich wirklich weiter, und ich bin traurig, dass sie nun weg ist. Sie wäre auch niemals auf die Idee gekommen, mich zu beeinflussen oder mir Vorschriften zu machen, wie ich es schon erlebt habe.

      Sie hat mir vorgeschlagen, mich auf die Warteliste in der jetzigen Gemeinschaftspraxis zu setzen, das könnte aber bis zu acht Wochen dauern, bis ein Platz frei würde. Hm, das ist eine lange Zeit, aber besser als nichts. Vielleicht war es auch ein Test für mich, mal zu schauen, wie ich ohne Psychotherapie zurecht komme. Es wunderte mich, dass ich dem Ganzen relativ gefasst entgegensah. Sollte ich schon solche Fortschritte gemacht haben, auf der Reise zu mir selbst?

      Konsum

      Wir leben in einem Zeitalter der Depressionen und anderen neurologischen und psychischen Erkrankungen, und sie breiten sich aus wie ein Grippevirus. Unsere Welt befindet sich in einem Umbruch, so empfinde ich es zumindest. Bei der Schnelligkeit und dem Leistungsdruck, den unsere Gesellschaft auf uns ausübt, kommen viele nicht mehr mit. Und überhaupt, ab 50 plus kommen die Einschläge schneller und heftiger. Unsere Elterngeneration stirbt aus, und wir sind die nächsten. Ein gruseliger Gedanke, den ich sofort verdränge. Eigentlich müsste es uns blendend gehen. Wir haben alles, was wir brauchen im Überfluss. Doch unser ungebremstes Konsumverhalten finde ich erschreckend. Und all diese Einkaufstempel, die wie Pilze aus dem Boden schießen, wer sollte das alles kaufen?

      Von Facebook und Co habe ich mich gänzlich zurückgezogen. Am Anfang war ich Feuer und Flamme dafür, das muss ich zugeben. Ich richtete mir ein Konto ein und legte los. Doch mit der Zeit fing es an, mich zu langweilen, also machte ich einen Cut und meldete mich ab. Schluss, aus, vorbei. Danach fühlte ich mich wie befreit!

      Heute traf ich meine Freundin Martha. Naja, so richtige Busenfreundinnen waren wir nicht, eher gute Bekannte. Wir hatten uns in der Altstadt verabredet, in einem gemütlichen Café bei Latte Macchiato und Kuchen. Martha war eine starke Frau, drei Jahre älter als ich und hatte schon einiges erlebt. Sie war so der Suzi Quatro Typ, mit ihrer 70er Jahre Frisur, es passte zu ihr.

      Ich erzählte ihr von dem Umzug meiner Psychotherapeutin, und dass die Therapie jetzt erst mal auf Eis gelegt wurde. Martha war der Meinung, dass die Psychologen einem höchstens Hilfestellungen geben können bei wichtigen Entscheidungen. Den Rest müsse man alleine angehen, oder auch nicht. Ich seufzte, sie hatte wohl recht damit. Meine Kindheit hatte ich mit meiner Therapeutin auch schon angeleuchtet, doch das hinderte mich nur daran, im Heute zu leben.

      Ich bin ein Fan von Eckart von Hirschhausen, er hält nichts vom „Grübeln in der Kindheit“, da spricht er mir aus der Seele.

      „Weißt Du, Martha“, sagte ich. „Im Großen und Ganzen denke ich, dass wir alle unsere Päckchen zu tragen haben, was die Kindheit oder Krankheiten angeht. Wir sind Menschen, und Menschen machen Fehler, das ist menschlich. Unsere Eltern haben es so gut gemacht, wie sie konnten, und man kann nicht immer alles auf die Kindheit schieben, wenn was schief läuft.“

       „Wow, das sind ja weise Ansichten“, meinte Martha.

      „Hm, danke, vom Kopf her weiß ich das alles, aber ich muss zugeben, ich habe auch mal anders gedacht. Früher war ich ständig auf der Suche gewesen nach dem „Retter“, der die Verantwortung für mich und mein Leben übernehmen sollte, das konnte ja nur nach hinten losgehen.“

      „Aber Du hast doch Dieter“, wandte Martha ein „und ihr seid ja nun schon einige Jährchen zusammen.“

      „Ja, das stimmt, und es ist nicht einfach, aber wir sind uns auch sehr verbunden. Ich würde meine Beziehung nicht beenden, schon gar nicht, wenn man mir das vorschreiben wollte“.

      „Ja, das kann ich verstehen“, sagte Martha. „Lassen wir die Männer mal Männer sein und denken wir an uns. Was hältst Du davon, wenn wir noch ein bisschen bummeln gehen?“

      „Ja, warum nicht?“

      Ich hatte nichts weiter vor. Wir zahlten und schlenderten durch die Altstadt zu den engen Gassen, wo man noch in kleinen Boutiquen abseits des Mainstreams außergewöhnliche Sachen kaufen konnte. Gleich im ersten Laden wurde ich fündig. Ich erstand ein luftiges Sommerkleid mit großzügigen Mustern in verschiedenen Blautönen. Zuerst war ich mir unsicher wegen der Farben, doch Martha meinte, das würde mir richtig gut stehen, und zur Not könnte ich es ja umtauschen.

      „Okay, dann nehme ich es.“

      „Ja, gönn dir mal was Schönes“, sagte Martha.

      Wäre sie nicht dabei gewesen, hätte ich mir das Kleid wahrscheinlich nicht gekauft. Shoppen ist bei mir so eine Sache. Für andere Leute kaufte ich liebend gern ein und wurde meistens schnell fündig. Dieter konnte davon am meisten profitieren. Kam ich von so einer Einkaufstour zurück, war ich meistens voll bepackt mit Männerklamotten in großen Tüten. Für mich selbst hatte ich irgendeine Kleinigkeit erstanden, nicht der Rede wert. Martha begleitete mich noch zur Bushaltestelle, dort verabschiedeten wir uns, sie musste weiter mit dem Zug ins Umland. Dort hatten sie und ihr Mann Manne sich ein Haus gekauft, sehr schön gelegen, direkt am Wald, ideal für Kinder und Hunde.

      Manne war auf den ersten Blick ein gutmütiger Typ, von kleiner, kräftiger Statur. Martha und er begegneten sich auf Augenhöhe, was die Körpergröße betraf. Dabei stand sie eigentlich auf größere Männer, hatte sie Dieter mal anvertraut. Das durfte ihr Manne aber nicht erfahren, der würde ihr die Hölle heiß machen. Was Eifersucht anging, war sie an einen Choleriker geraten.

      Hm, ich fragte mich, warum sie das Dieter und nicht mir erzählte. Hatte sie etwa noch andere Ambitionen, was meinen Freund anging?

      Die Kinder der beiden waren bereits aus dem Haus, gingen ihre eigenen Wege. Die drei Hunde, die sie hatten, waren noch da, kamen aber auch bald in die Jahre. Früher hatten wir auch einen Hund, Quinten hieß er. Wir mussten ihn einschläfern lassen. Der Krebs hatte zugeschlagen, das war ein traumatisches Erlebnis. Dieter und ich heulten wochenlang über den Verlust, ich war überhaupt nicht mehr ansprechbar. In der Nacht nach seinem Tod erschien mir Quinten im Traum. Es war so ein halb wacher Zustand, in dem ich mich befand. Der Hund stand an meinem Bett und ich spürte, dass noch jemand bei ihm war. Alles fühlte sich nach Abschied an. Quinten winselte leise, dann nahm dieser „Jemand“ ihn mit, ich hoffe in den Hundehimmel. Das alles ist schon einige Jahre her, wir wollten keinen Hund mehr haben. Die Erfahrung war einfach zu bitter gewesen.

      Der nächste Tag brachte regnerisches Wetter, dunkle Wolken zogen über den Himmel, es hatte sich merklich abgekühlt. Mir kam das ganz gelegen, so konnte ich in der Wohnung bleiben und schreiben. Es grenzte fast an ein Wunder, dass ich nach jahrelanger Blockade wieder schreiben konnte. Klar, es ging alles etwas langsamer, und ich musste darauf achten, dass ich Pausen machte. Mittlerweise konnte ich es ganz gut erkennen, wenn ich in die Überforderung rutschte, dann hieß es STOPP. Momentan sitze ich hier an meinem Schreibtisch und tanze mit den Wörtern. Buchstabe für Buchstabe reiht sich aneinander, ich blicke zurück auf das Jahr 2016, dem Jahr meines persönlichen Umbruchs. Man könnte es auch als Zusammenbruch bezeichnen.

      Es kam richtig dicke. Ich wurde buchstäblich in anderes Leben katapultiert. Ich verlor meinen Job und mein Seelenheil! Dieter verlor seine Gesundheit, eine fiese niederschmetternde Krankheit breitete sich in seinem Körper aus. Zum Glück schritten die Symptome nur sehr langsam


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