Parkinson. Elisa Rudolf

Parkinson - Elisa Rudolf


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Sie hatten etliche Notfälle zu behandeln und mussten sich natürlich erst um die „schweren“ Fälle kümmern. Hmm, ich war also kein „schwerer“ Notfall in ihren Augen. Vielleicht musste ich erst ohnmächtig vor ihrer Tür zusammenbrechen, um behandelt zu werden. Es schien ihr aber wirklich leid zu tun, schließlich war es nicht ihre Schuld, ich wollte nicht vorschnell urteilen.

      Die Ärztin führte mich zu ihrem Sprechzimmer, Dieter musste draußen warten.

      Nach einem circa halbstündigen „Interview“, während dessen sie einen Anamnesebogen ausfüllte, bestätigte sich die Diagnose meiner Hausärztin. „Sie haben eine Depression, aber keine Sorge, das können wir behandeln“, meinte die Ärztin. Erst heute war ein Bett freigeworden. „Ich könnte sie dort noch unterbringen, ansonsten müsste ich sie auf die Warteliste setzen, und das kann unter Umständen dauern.“, meinte sie. Ich war erst mal erleichtert. Die Ärztin erschien mir wie ein rettender Engel, eine Lichtgestalt am Ende des Tunnels.

      „Wir arbeiten hier mit zwei Konzepten“, erklärte sie. „Zum einen bieten wir ihnen verschiedene Therapien an im Bereich Sport und Bewegung, Ergotherapie, Kulturelles und psychotherapeutische Sitzungen in der Gruppe. Das Ganze wird unterstützt durch die Einnahme von Antidepressiva, unser zweites Konzept“, fügte sie hinzu.

      Holla, da wurde ich hellhörig. Ich hasse Tabletten, besonders wenn es sich um Chemiekeulen handelt. Ich lese auch grundsätzlich keine Beipackzettel mehr, da ich von den Nebenwirkungen die dort aufgeführt sind, garantiert heimgesucht werde. Ich fühlte mich hin und hergerissen, sollte ich mich in die „Höhle des Löwen“ wagen?

      „Wie lange würde der Klinikaufenthalt denn dauern, und wie lange müsste ich die Tabletten einnehmen?", fragte ich.

      „Der Aufenthalt hier bei uns dauert in der Regel vier bis sechs Wochen. Die Tabletten müssten sie circa ein halbes Jahr einnehmen“, lautete die Antwort. Die Ärztin hatte vergessen zu erwähnen, dass es sich hierbei um einen Richtwert für den „besten Fall“ handelte. Es hörte sich alles so easy an, wie ein Spaziergang.

      Die Ärztin ließ mir keine Zeit, das Ganze noch mal zu überdenken. Schon am nächsten Tag konnte der begehrte Platz besetzt sein, und das bedeutete für mich: „Friss oder Stirb!“.

      Letztendlich entschied ich mich fürs Fressen. Somit landete ich mitten in der Nacht in einem Vierbettzimmer der psychiatrischen Abteilung im royalen Krankenhaus. Ein Vierbettzimmer? Davon hatte die Ärztin nichts gesagt, sie rückte erst mit der Sprache raus, als wir schon vor der Zimmertür standen. Das stelle man sich mal vor, vier Leutchen auf engstem Raum, alle psychisch angeschlagen, wenn das mal gut geht. Mir wurde das frei gewordene Bett am Fenster zugewiesen. Zum Glück war die Schwester sehr nett, sie verkörperte so einen Muttertyp. Am liebsten hätte ich mich in ihre mütterlichen Arme sinken lassen. Doch statt liebevoller Umarmungen gab es eine Pille zum Einschlafen, die ich brav schluckte.

      Dieter musste sich jetzt allein auf die Strümpfe machen. „Ich komme morgen wieder und bringe Dir noch ein paar Sachen mit, die Du brauchst“, versprach er mir. Ich nickte stumm und spürte einen Kloß im Hals.

      „Danke für Deine Hilfe“, nuschelte ich. „Und fahr vorsichtig.“ Noch ein Gutenachtkuss, dann verließ er mich.

      In dieser Nacht kriegte ich kein Auge zu. Ich wälzte mich hin und her und wartete darauf, dass die Tablette mich in den Schlaf wiegen würde, aber es war eher das Gegenteil der Fall. Ich war völlig aufgekratzt und aufgewühlt, zudem stand ich unter Beobachtung von einer meiner Bettnachbarinnen. Sie lag reglos da und starrte die ganze Zeit zu mir herüber. In dem dunklen Zimmer konnte ich nicht viel erkennen, es schien sich um eine ältere Patientin zu handeln.

      Ich wünschte ihr eine Gute Nacht, aber sie reagierte nicht. „Dann eben nicht“, dachte ich. Gegen vier Uhr morgens hielt ich es nicht mehr aus, ich stand auf, schnappte mir meinen Bademantel und schlich mich raus. Mein Zimmer lag genau gegenüber vom Schwesternzimmer. Die Tür stand offen, ich klopfte bei der netten Schwester an und teilte ihr mit, dass ich nicht schlafen konnte. Wirklich helfen konnte sie mir nicht. Sie gab mir einen Beruhigungstee, und ich wanderte mit meiner Tasse den Flur entlang zum Foyer. Ich muss schon sagen, bei der Gestaltung der Eingangshalle haben sie sich nicht lumpen lassen, logisch, schließlich war es das Aushängeschild nach draußen. Die Halle war hell und freundlich gestaltet, mit vielen Grünpflanzen und farbigen Bildern an den Wänden.

      Welch ein Unterschied zu meiner Abteilung mit ihren kahlen Fluren, dem kalten Neonlicht und dem hässlichen Linoleum als Bodenbelag.

      Ich machte es mir im Foyer auf einem der Ledersofas bequem und beobachtete das Treiben. Es wunderte mich, dass um die Uhrzeit einige Patienten unterwegs waren, die hatten wohl das gleiche Problem mit der Schlaflosigkeit wie ich.

      Ich versuchte, ein bisschen zu dösen, ohne Erfolg. „Okay, dann gehe ich jetzt eine rauchen“, beschloss ich. Bei minus sechs Grad im Bademantel war das keine große Freude. Ich machte ein paar Züge, während ich vor mich hinbibberte. Nee, das war mir zu kalt, ich ging wieder rein, zurück auf mein Zimmer. Mittlerweile war es fünf Uhr früh, ich legte mich ins Bett und schaffte es tatsächlich einzuschlafen.

      Drei Stunden später wurde ich unsanft geweckt vom Pflegepersonal. Die Tür wurde aufgerissen und das grelle Neonlicht flammte auf. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, widerwillig öffnete ich die Augen. Ich sah mich in dem Zimmer um, mich traf fast der Schlag. Anscheinend gab es viel zu wenig Platz in den kleinen Spinden, sodass meine Mitpatientinnen ihre Klamotten rund um ihre Betten auf dem Boden drapiert hatten. Dazwischen tummelten sich die Wollmäuse. Wie sollte denn da noch geputzt werden? Es gab kaum ein Durchkommen. Ein Blick ins Bad zeigte mir einen vergammelten Duschvorhang, die Armaturen waren vom Kalk zerfressen, alles wirkte irgendwie dreckig und verkommen. „Da kann man ja die Krätze kriegen!“ würde Isa jetzt sagen. Sie hasst jegliche Art von Unrat, und mit vierzehn Hunden, ist es auch ein Auftrag, die Bude sauber zu halten. Meine Mitpatientinnen schien der Dreck nicht weiter zu stören, oder sie waren schon so abgestumpft, dass es ihnen gar nicht mehr auffiel..

      Ansonsten schienen sie ganz nett zu sein, die eine so etwa in meinem Alter, und zwei ältere Herrschaften. Eine von ihnen war ein besonders „schwerer“ Fall. Es ging um die Patientin, die mich in der Nacht beobachtet hatte. Ich erfuhr von den anderen, dass sie täglich stundenlang an unserer Zimmertür stand und nach draußen horchte. Zwischendurch gab sie weinerliche Geräusche von sich.“Warum steht sie denn an der Tür?“, fragte ich.

      „Sie bildet sich ein, dass sie beobachtet wird und die Schwestern den lieben langen Tag über sie reden. Sie glaubt, sie soll bald hier abgeholt werden“, wurde ich aufgeklärt. „Abholen? Wohin?“

      Meine Bettnachbarin zuckte die Schultern. „Das weiß ich auch nicht so genau, vermutlich meint sie ein anderes Krankhaus, wo man sie einsperrt oder sonst was mit ihr macht.“

      Ich war schockiert. Da kann man ja froh sein, dass man selber noch „billig“ dabei wegkommt, was die „Schwere“ der Krankheit angeht. „Aber, war mein Zustand wirklich „billig“? fragte ich mich. Ich fühlte mich beschissen, psychisch als auch physisch. Die Tablette, die ich am vorherigen Abend genommen hatte, zeigte bisher keine Wirkung. Ich ging im Schnelldurchgang unter die Dusche, anschließend begab ich mich mit den Anderen zum Frühstücksraum. Dort war ein Buffet aufgebaut, wir standen alle brav an, bewacht von einer Pflegerin, die mit Argusaugen darauf achtete, dass wir nicht mit schmutzigen Fingern im Essen rummanschten. Ich fühlte mich wie ein Schmuddelkind, das gemaßregelt werden musste. Großen Hunger hatte ich eh keinen. Ich bin nicht der Frühstückstyp. Mir war es schleierhaft, wie Leute sich am Wochenende zum Brunchen verabreden konnten und dann auch noch Unmengen davon aßen. Essgestört war ich nicht, was andere am Morgen vertilgten, holte ich über den Tag hinweg nach, in vernünftigen Portionen. Ich finde es gut, dass ich keine Dicke bin. Zudem bin ich der Typ, der keine Zeit hat, dick zu werden.

      Ich fischte mir ein Brötchen aus dem Brotkorb, mit der Zange, versteht sich, dazu ein bisschen Marmelade. Ich fand meinen Platz neben einem älteren Patienten, der mit dem Kopf wackelte und anscheinend nicht in der Lage war, das zu stoppen. Er hieß Hans-Jürgen. Anfangs war ich irritiert von der Wackelei, doch ich gewöhnte mich schnell dran. Er war manisch depressiv, das war gewiss kein Zuckerschlecken!


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