Parkinson. Elisa Rudolf

Parkinson - Elisa Rudolf


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Da hatte mich die nette Ärztin in der Notaufnahme doch glatt falsch informiert. Irgendwie kam ich mir verarscht vor. Hans-Jürgen gab mir eine kleine Einführung in den Klinikalltag. Am Wochenende gab es keine Therapien, logisch, da blieben die Patienten sich selbst überlassen. Wer mochte, konnte nach Hause fahren, so als Maßnahme zur Wiedereingliederung. Das wollte ich nun gar nicht hören, eine leichte Panik machte sich bemerkbar. Ich wollte nicht nach Hause, was war los mit mir? Ich hatte regelrechte Angst davor, in die Wohnung zurück zu müssen. „Warte doch erst mal ab“, sagte ich mir. Vielleicht ging es mir ja nach einer Woche schon erheblich besser. Ha, ha, das glaubte ich ja selbst nicht.

      Nach dem kleinen Frühstück wollte ich erst mal eine rauchen und mich bei Dieter melden. Ich stand von meinem Stuhl auf, und plötzlich wurde es mir ganz komisch zumute. In meinen Kopf drehte sich alles. Ich wusste nicht mehr, wo ich war und hatte die Orientierung verloren. Auf was für einem Trip war ich da? Hatte mir jemand was in den Kaffee getan? Er schmeckte übrigens scheußlich. Im Endeffekt glaubte ich nicht, dass es an dem Kaffee lag. Ich tippte auf die Pille, das Scheißzeug würde ich nie wieder einnehmen.

      Ich machte ein paar unsichere Schritte zur Tür hin und überlegte, wie ich in mein Zimmer kam, rechts oder links? Ich entschied mich für links, und wankte den Flur runter bis zum Schwesternzimmer. Ich hatte mich also nicht verlaufen. Ein paar neue Gesichter tauchten auf, unter ihnen zwei Pfleger und eine Schwester, vom Typ Dragoner. Ich schätzte, sie konnte es mit dem stärksten Patienten aufnehmen. Sie hatte ein ziemlich lautes Organ, man hörte sie sicher noch zwei Flure weiter.

      Meine Versuche, mich bemerkbar zu machen, wurden erst mal ignoriert. Ich kam mir vor wie ein Störenfried. Schließlich „erbarmte“ sich der Dragoner und sagte, ich solle mich hinlegen, wenn es mir nicht gut ging. Toll, der Gedanke war mir auch schon gekommen. Doch zuerst brauchte ich eine Zigarette. Unbemerkt vom Pflegepersonal schwankte ich nach draußen, das war keine gute Idee. Nach ein paar Zügen wurde ich noch wackeliger auf den Beinen. Also, nichts wie zurück auf mein Zimmer. Dort traf ich auf den Dragoner.

      „Sie sollten sich doch hinlegen“, herrschte sie mich an.

      Mein Gott, ich musste mich hier nicht entschuldigen oder rechtfertigen, ich war doch schon groß. Und trotzdem wurde ich ganz kleinlaut und legte mich aufs Bett, das hatte ich sowieso vorgehabt. Meine Mitpatientinnen waren ebenfalls anwesend. Sie blätterten gelangweilt in irgendwelchen Illustrierten oder lösten Kreuzworträtsel. Alle, bis auf eine. Die stand an der Tür und lauschte, sie tat mir sehr leid. Ich versuchte, ein Gespräch mit ihr anzufangen, doch ich stieß auf taube Ohren.

      „Das bringt nix, haben wir alles schon versucht“, meinte meine zweite Bettnachbarin.

      Hm, okay, dann ließ ich sie besser in Ruhe. Mir war immer noch schummrig zumute und ich hoffte, dass es mir wieder besser ging, wenn Dieter zu Besuch kam. Wenn ich an ihn dachte, verspürte ich wieder diesen Kloß im Hals.

      Mir war plötzlich nach Heulen zumute. Die Tränen kullerten meine Wangen runter, und sie ließen sich nicht stoppen. Irgendwann versiegte die Tränenflut, und es ging mir glücklicherweise besser, als Dieter endlich kam. Er brachte Elena und Ramin mit, ein befreundetes Paar. Ich war froh, dass sie da waren.

      Elena und ich waren der gleiche Jahrgang, wir hatten auch annähernd die gleiche Frisur, aber sie war ein bisschen kräftiger und größer als ich. Sie meinte, sie müsste abnehmen, aber das fand ich überhaupt nicht. Ihre Figur war vollkommen in Ordnung. Und sie hatte eine schmale, elegante, gerade Nase wie Kleopatra, die hätte ich auch gerne! Sie arbeitete als Pflegefachkraft in einer psychiatrischen Abteilung, sie kannte sich aus. Ich erzählte ihr von meinem morgendlichen Horrortrip mit den Tabletten. Auf keinen Fall wollte ich die weiternehmen.

      „Die musst du auch nicht nehmen“, klärte Elena mich auf. „Wenn Du willst, können wir zusammen zu deiner Station gehen, und die Sache dort klären.“

      Ich war erleichtert, dass ich nicht alleine da hinmusste. Wir marschierten also los, Dieter und Ramin warteten solange in der Cafeteria. Wenigstens gab es dort gescheiten Kaffee in verschiedenen Varianten.

      Ramin war ein stolzer Perser, lebte aber schon seit Ewigkeiten in Berlin. Meine Tante, die viel Wert auf Äußeres legte, bekam ihn mal zu Gesicht und war begeisert. „Mann, sieht der gut aus“, meinte sie im Nachhinein. Da gab ich ihr recht. Sein durchtrainieter Körper machte schon was her, und die scheeweißen Zähne passten hervorragend zu seinem gebräunten Teint. Man konnte sich auch gut mit ihm unterhalten. Er ließ andere ausreden, wenn sie was zu sagen hatten und war im Allgemeinem ein guter Gesellschafter.

      Während die Männer Kaffee tranken, stießen Elena und ich auf einen jüngeren Pfleger jn meiner Abteilung.

      Elena trug ihm mein Anliegen vor. Der zuckte mit den Schultern, als ginge ihn das Ganze nichts an. „Dann eben nicht“, war sein flapsiger Kommentar, „Ich werd's notieren.“ Anscheinend fühlte er sich persönlich angegriffen. Elena fand das unmöglich, wie wir da abgefertigt wurden. Da musste ich ihr recht geben. Der Typ konnte mich eindeutig nicht leiden. Na dann, prost Mahlzeit auf die nächsten sechs Wochen!

      Vor einiger Zeit hatte ich eine Studie gelesen, in der es darum ging, wie fremde Menschen aufeinander reagierten. Dazu mussten die Probanden nacheinander einen Raum betreten, mit hundert Leuten drin, die sie nicht kannten. Das Ergebnis fand ich interessant. Es stellte sich heraus, dass zehn von hundert die Neuen gut leiden konnten, weitere zehn von hundert konnten sie nicht leiden, und dem Rest waren sie egal. Hm, ich fand es ja sehr schön, dass es statistisch gesehen auch noch Leute gab, die mich mochten. Aber was war mit dem Rest? Zehn von hundert fand ich ein bisschen dürftig.

      Mein innerer Kritiker, Henry, meldete sich zu Wort. „Da siehst Du es. Du bist nicht liebenswert“, suggerierte er mir. Ich suhlte mich im Selbstmitleid und grübelte darüber nach, wie ich es anstellen konnte, dass der Rest der Menschheit mich auch noch mochte.

      „Du kriegst den Hals nicht voll“, meckerte Henry.

      „Ja, ja, sei nicht so streng mit mir“, konterte ich.

      Henry ging mir langsam auf den Zeiger. Ständig fand er ein Haar in der Suppe, machte mir alles madig, und verbreitete schlechte Laune.

      Elena und Ramin verabschiedeten sich bald, was ich gut verstehen konnte. Wer verbrachte seine Zeit schon gerne im Krankenhaus? Dieter leistete mir noch ein bisschen Gesellschaft. Ich machte eine Liste von Sachen, die ich noch brauchte, unter anderem Schwimmzeug. Mittlerweile hatte ich in Erfahrung gebracht, dass es im Untergeschoss ein Schwimmbad gab, das fand ich ganz cool.

      „Martha kommt morgen mit deinen Sachen vorbei“, sagte Dieter.

      „Oh schön, das freut mich.“ sagte ich.

      „Dann mache ich mich mal auf den Heimweg“, meinte Dieter. „Wir können ja später noch mal telefonieren.“

      Ich nickte, hier gab es bald Abendessen. Ich begleitete Dieter noch nach draußen, dort umarmten wir uns und hielten uns fest. Jo, eine Freundin von uns aus England, würde jetzt sagen, lasst uns „knuddeln“. Sie war eine herzensgute, liebe, humorvolle Person. Leider sahen wir uns nicht so oft, weil sie beruflich viel unterwegs war. Sie hatte ein enormes Wissen in Sachen Kunst und Kultur, und sie unterrichtete auch in diesem Sektor, und Sie war ganz vernarrt in das Hunderudel nebenan. Leider konnte sie sich keinen Hund halten bei ihren beruflichen Verpflichtungen.

      So langsam wurde es kalt draußen, noch eine letzte „Knuddelei“, dann stieg Dieter ins Auto und fuhr los. Ich stand am Eingang und schaute ihm nach.

      Zurück auf der Station schaute ich im Aufenthaltsraum vorbei. Auf den Zimmern gab es keinen Fernseher, so trafen sich die Patienten abends, wer mochte, zum Fernsehen oder Gesellschaftsspielen. Leider gab es ab und an Unstimmigkeiten, was das Fernsehprogramm anging. Hans-Jürgen und ich, wir hatten einen ähnlichen Geschmack. Und meistens hatten wir auch Glück, das gucken zu können, was wir wollten. Vielleicht war es den anderen auch einfach nur wurscht, was gerade lief.

      Es gab aber noch ein „Problem“, das uns aus dem Raum vertrieb. Muffelnde Senioren. In meiner ersten Zeit gab es einige ältere Herrschaften, weiblichen Geschlechts um die 80, die von nahegelegen Altenheimen eingeliefert wurden. „Die


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