Janas Entscheidung. Gerhard Wolff
„Hallo, bist du zuhause? Wo bist du denn?“
Sie kam von der Arbeit und wusste ja, dass er zuhause war, denn sein Auto war in der Garage und seine Schuhe standen in der Diele. Aber sie stellte beim Betreten der Wohnung immer diese Frage. Sie dachte nicht mehr darüber nach. Es war zur Routine geworden – wie vieles.
Er antworte nicht, aber sie vernahm Geräusche, die aus dem Wohnzimmer kamen. Also ging sie dorthin.
„Hallo Schatz!“, meinte sie, beugte sich zu ihm, küsste ihn auf die Wange und setzte sich dann zu ihm-
„Hallo!“, antwortete er geschäftig und sah kaum zu ihr auf. Er blätterte eifrig in Katalogen.
„Machst du denn?“, wollte sie wissen.
„Siehst du doch. Ich wälze Kataloge für unseren nächsten Urlaub!“ Er drückte ihr einen in die Hand. „Hier, hilf mir mal ein bisschen! Ist ja schließlich auch dein Urlaub!“
Sie nahm den Katalog und betrachtete ihn. „Jetzt schon Urlaubskataloge! Ich denke, die kommen erst im November, die neuen Kataloge!“
Er verzog die Miene. „Schau doch mal genau hin: Da steht „Winter“ drauf. Die Winterkataloge kommen nicht erst im November auf den Markt!“, belehrte er sie und blätterte weiter.
Sie sah genauer hin und las murmelnd: „Herbst, Winter, tatsächlich!“
Er sah sie kopfschüttelnd an und blätterte weiter.
„Ich wusste gar nicht, dass wir im Winter verreisen wollen!“, sagte sie ohne Nachzudenken vor sich hin. „Hatten wir das abgemacht?“
Er sah auf und runzelte die Stirn. „Abgemacht? Was soll denn das heißen? Wie das klingt!“
„Na ja, ich meine. Hatten wir schon darüber gesprochen?“
Er machte ein beleidigtes Gesicht. „Nein, hatten wir nicht!“
Sie bemerkte, wie er sich aufzuregen begann und lächelte ihn sicherheitshalber an.
Er reagierte nicht. „Die Idee ist mir erst heute beim Gespräch mit einem Kollegen gekommen und ich dachte, sie gefällt dir auch!“
„Hast du denn Urlaub? Wir haben doch fast keinen Urlaub mehr.“
„Stell dir vor, das habe ich mir gut überlegt.“ Er richtete sich auf und sah sie belehrend an. „Wir haben noch ein paar Tage Resturlaub, die wir ja immer als Brückentage um Weihnachten legen. Das machen wir in diesem Jahr genauso. Dann haben wir genug Urlaub. Und ob wir den Urlaub zuhause verbringen oder nochmals verreisen, das ist doch gleich!“
Sie machte ein missmutiges Gesicht und lehnte sich enttäuscht zurück. „Ach nein!“, seufzte sie. „Wo ich doch über Weihnachten so gerne zuhause bin. Da kann man es sich so gemütlich machen, sich zuhause einigeln, alles ist so verzaubert, wenn es geschneit hat und da hat man endlich mal Zeit für die Familie.“
„Weihnachten ist das gefährlichste Fest überhaupt!“, antwortete er gleichgültig. „Da hat man endlich Zeit, sich mal ordentlich die Meinung zu sagen.“
„Und alles wird so ruhig. Ja, man hat endlich mal seine Ruhe, kann abschalten und ganz zu sich kommen!“
„Grabesstille!“
„Ich möchte da nicht weg, es ist so schön, mal die Familie zu sehen!“
„Lieber ´ne Ratte im Haus als die Verwandtschaft!“, zitierte er eines seiner Lieblingsphrasen.
Sie wand sich angewidert hin und her und seufzte wieder.
„Schau dir doch wenigstens mal die Kataloge an. Einer deiner Träume wird wahr.
Sie nahm den Katalog, betrachtete ihn und las „Thailand“.
„Thailand, einer deiner großen Träume!“, erklärte er ihr.
„Oder einer deiner großen Träume!“, kommentierte sie.
Er sah sie überrascht an. „Wie? Du liegst mir doch dauernd in den Ohren damit!“
„Oder du mir!“, konterte sie wieder. „Ich höre eigentlich nur zu!“
Er runzelte überrascht die Stirn.
„Außerdem muss man bei so ´nem langen Flug mindestens zwei Wochen bleiben, damit es sich rentiert. Das ist mir echt zu lang. Da müssen wir am ersten Urlaubstag weg und kommen erst am letzten Urlaubstag wieder. Ich hasse das!“
„Hasse das?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich biete dir einen Traumurlaub und du sagst, du hasst das!“
„Außerdem waren wir erst zwei Wochen im Urlaub. Das reicht doch auch mal!“
„Reicht mal. Was soll das denn heißen?“
„Das heißt, dass ich auch mal zuhause bleiben will und nicht dauernd irgendwohin sausen will!“
Er sprang auf. „Aber ich brauche meine Erholung!“, rief er empört aus. „Ich habe einen stressigen Job, muss viele Überstunden machen, bin am Rande meiner Nervenkraft, ich brauche auch mal Erholung!“
Sie zog ihn wieder zu sich aufs Sofa. „Wäre es da nicht besser, einfach mal zuhause zur Ruhe zu kommen?“
Er setzte sich ratlos neben sie. „Aber alle meine Kollegen fahren über Weihnachten in Urlaub. Wie stehe ich denn da, wenn wir wieder nirgendwo waren?“, fragte er mehr sie als sich.
„Ach deine Kollegen und unsere Freunde und die ganze Welt. Was gehen mich die an.“ Sie atmete tief aus, so als ob sie sich entspannen wollte. „Ich habe den Urlaubsterror einfach satt!“
Er sah sie nun völlig entgeistert an. „Urlaubsterror?“
„Ja, Urlaubsterror!“
„Jetzt übertreibst du aber!“
„Nein, ich sage Urlaubsterror und ich meine es auch!“
„Unsinn! Was soll das denn heißen, Urlaubsterror!“ Sie holte Luft und legte dann los. „Ich habe es satt immer allen zu beweisen, wo ich wieder meinen Popo hinbewegt habe. Ich habe die langen Autofahrten mit den endlosen Staus einfach satt, ich habe es satt mit stinkenden Leuten in einem Bus oder in einem unterkühlten, engen Platz in einem Flugzeug zu sitzen, wo ich mir vorkomme, wie ein Huhn in einem Käfig. Ich habe genug von dem Durchschnittsfraß in bahnhofshallenähnlichen Speiseräumen, ich habe es satt, in Betten mit angeschimmelten Matratzen zu liegen, ich habe es satt für alles den zehnfachen Preis im Vergleich mit zuhause bezahlen zu müssen und ich habe es vor allem satt, diese Verhältnisse zuhause auch noch loben zu müssen, weil es alle loben, wie immer jeder rumheuchelt und sich keiner die Wahrheit sagen getraut, weil man sonst als Depp dasteht. Ich habe das alles satt und will einfach nur meine Ruhe!“
Er sah sie mit offenem Mund sprachlos an.
„Ich sehne mich nach Ruhe und Stille. Ich will nicht nach Thailand und auch sonst nirgendwo hin.“ Sie machte eine Pause. „Ich glaube, ich möchte einfach mal zu mir kommen, ja nur mal zu mir!“ Sie atmete tief durch. „Ich möchte einfach wieder einmal so sein, wie ich wirklich bin!“
7
„Oh, nein! Nicht schon wieder ´ne Party!“, rief Jana entsetzt aus. „Wir hatten doch erst die Sommerfete. Und mein Geburtstag ist ja auch bald!“
Birdie sah sie verständnislos an. „Aber, wir machen immer eine Halloween-Party. Das ist schon Tradition!“
„Tradition, Tradition, Tradition!“, schimpfte sie laut. „Das ist vor allem die Tradition, dass sich unsere Freunde und unsere Bekannten auf unsere Kosten hier vollfressen und volllaufen lassen. Und da du bei den Vorbereitungen so gut wie nie hilfst und während der Feten und am Tag danach wegen deiner Sauferei zu nichts zu gebrauchen bist, bleibt auch die ganze Arbeit an mir hängen!“
Er