Zeit der Könige. Julia Fromme

Zeit der Könige - Julia Fromme


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an. Dem wurde heiß bei dem Gedanken, was der Kaiser wohl mit ihm machen würde, witterte dieser eine neuerliche Verschwörung oder Verrat. Nicolas war dem Kaiser aufgefallen. Er war recht stolz gewesen und hatte es nur sehr schwer über sich gebracht, die nötige Demut beim Bedienen an der Tafel walten zu lassen. Heinrich war argwöhnisch geworden und hatte sich vorgenommen, den Jungen näher unter die Lupe zu nehmen.

      „Ich weiß es nicht, Majestät. Der Herr von Auenstein ist auch verschwunden. Wie ich hörte, sind sie zu einer Wallfahrt nach Palästina aufgebrochen.“

      „Wallfahrt, ja?“ Der Kaiser schnaubte verächtlich. „Dieser Hurensohn Dietrich hält sich im Heiligen Land auf. Was auch immer er sich davon verspricht. Er ahnte wohl nicht, dass ich überall Augen und Ohren habe und wahrscheinlich im Gegensatz zu ihm weiß, dass sein Bruder Albrecht bei mir auf taube Ohren gestoßen ist und sein Land im Chaos versinkt. Welch gute Gelegenheit für mich, jetzt in die Mark Meißen zu reisen und dort unsere Interessen zu sichern.“ Heinrich grinste wölfisch. „Ich werde das Lehen einziehen. Das Silber der Bergwerke kann ich sehr gut gebrauchen. Vielleicht finden ja die Ungläubigen Gefallen an Dietrich, dann braucht er es ohnehin nicht mehr.“ Ein kaltes Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Kaisers.

      Schon lange hatte Heinrich ein Auge auf die Besitzungen des Meißner Markgrafen geworfen, gab es hier doch unermessliche Vorkommen an Silber und anderen wertvollen Erzen, die den Meißnern unsäglichen Reichtum und damit große Macht beschert hatten. Sie ließen sich nicht vom Kaiser in seine Ränkespiele einspannen und verließen ihr Land nur, um auf den einberufenen Reichstagen zu erscheinen. Aber Albrecht hatte er zuletzt gar nicht vorgelassen und Dietrich war heimlich nach Jerusalem verschwunden.

      „Wer war dieser Junge eigentlich, den Dietrich hier zurückgelassen hat? Ich sah ihn bei ihm, als er sich vor einigen Wochen im Audienzsaal befand“, fragte der Kaiser seinen Kammerdiener. Vielleicht sollte er einige Häscher aussenden, die den Kerl zurückbrächten. Er würde dann schon aus ihm herausbringen, was er wissen wollte. Er, der Kaiser, kannte da einige wirksame Methoden. Erst kürzlich ließ er einen ungehorsamen Diener bis zum Hals in die Erde eingraben, nachdem dieser einen Krug mit Wein über den kaiserlichen Rücken gegossen hatte.

      „Ein Vasall des Markgrafen, der seinen Knappendienst bei Wolfram von Auenstein ableistet. Wohl ein armer Schlucker ohne Land und Titel“, antwortete der Diener.

      Das Abendläuten der Basilika unterbrach des Kaisers Gedanken. Eigentlich war er auf dem Weg zur Andacht gewesen, als ihm auffiel, dass weder der Auensteiner noch dessen Knappe unter seinem Gefolge waren. Und gab es wahrhaftig jetzt wichtigeres, als sich mit der Abwesenheit solch eines unbedeutenden Bengels zu befassen.

      Wolfram und Nicolas waren an Bord der „Santa Teresa“ bis nach Tirana gekommen. Ab hier sollte sie ein Schiff die Küste entlang bis nach Aslan Limani, das die Griechen auch Piräus nannten, bringen.

      Das Wetter hatte umgeschlagen und die schon fast frühsommerlichen Temperaturen der letzten Tage waren von starkem Regen und heftigem Wind abgelöst worden. Mit einem flauen Gefühl im Magen starrte Nicolas auf das Boot, dass am Kai liegend an seiner Vertäuung zerrte, als wolle es sich auf das Meer hinaus in die Fluten stürzen, um am Getümmel der Wellen teilzuhaben. Die letzten Handelsgüter waren bereits an Bord gebracht worden. Der Kapitän wollte noch bis zum Abend warten, da sich das Wetter bessern sollte. Allerdings hatte er keine allzu große Hoffnung. Doch er musste in drei Tagen in Aslan Limani sein. Hier würde seine Ladung auf ein größeres Schiff verladen werden, das dann nach Khios segelte und von da weiter nach Latakia an der Syrischen Küste.

      Unschlüssig stand Nicolas am Steg, der den Kai mit dem Schiff verband. Wolfram wartete bereits seit einer Stunde an Bord auf ihn. Von der Reling aus redete er ihm gut zu: „Komm schon, du hast gar keine andere Wahl. Willst du allein hier zurückbleiben, ohne Geld, ohne Proviant und so ganz ohne jemanden zu kennen?“ Obwohl Nicolas immer einsam und ohne Familie gewesen war, gab es dennoch einen Unterschied, allein in einem fremden wilden Land zu sein oder sich am märkgräflichen Hof zu befinden inmitten von Menschen, die er mehr oder weniger kannte. Zögerlich setzte er einen Fuß auf den hölzernen Steg, als ihn eine Windbö um ein Haar ins Wasser gerissen hätte. Heftig mit dem Armen rudernd, um das Gleichgewicht wieder zu erlangen, nahm er allen Mut zusammen und rannte über den Steg. Mit einem Satz sprang er auf das Deck, seine wenigen Habseligkeiten, die er zu einem Bündel geschnürt auf dem Rücken getragen hatte, flogen in hohem Bogen über seinen Kopf hinweg und schlitterten einige Meter weit über die Schiffsplanken. Durch den Schwung mitgerissen, verlor Nicolas das Gleichgewicht und prallte gegen seinen Dienstherrn, der ihn relativ unsanft auffing. „Was für ein Tölpel“, sagte Wolfram mehr zu sich selbst als zu dem Unglücksraben. „Heb deine drei Sachen auf und folge mir ins Quartier unter Deck, bevor alles vollends durchweicht ist“, blaffte er ihn an. Nicolas war noch zu verdattert, um groß nachdenken zu können, schnappte sein Bündel und folgte Wolfram durch eine Luke, die über eine steile Leiter in den Bauch des Schiffes führte.

      Im trüben Licht einer Ölfunzel konnte er undeutlich die Umrisse des Raumes erkennen. Er war nicht sehr groß. An den Seiten stapelten sich sperrige Kisten und Ballen mit Waren, die, obwohl sie mit dicken Seilen an den Sparren festgezurrt waren, bedenklich an ihrer Verankerung rissen. Die Lampe schwankte hin und her, tauchte den Raum in ein unruhiges Licht. Schatten tanzten an den Wänden und die flackernden Silhouetten der Gegenstände erschienen wie bizarre Ungetüme.

      Nicolas ließ sein Bündel direkt in der Mitte des Raumes einfach fallen, was ihm einen ungläubigen Blick des Ritters einbrachte. „Was glaubst du wohl, wo du dich hier niederlässt?“, schnauzte er Nicolas an. „Nimm deinen Kram und verstau ihn dort hinten, in der Nische zwischen den Ballen. Oder willst du, dass der Erstbeste, der die Leiter herunterkommt, über dich stolpert. Ich bin weiß Gott nicht scharf darauf, hier unnötig Aufsehen zu erregen.“

      Nicolas machte ein trotziges Gesicht. „Niemals lege ich mich zwischen das ganze Gerümpel. Soll ich erschlagen werden? Schaut doch, wie es an der Verankerung zerrt!“ Damit setzte er sich auf den Boden und würdigte Wolfram keines Blickes mehr. Sollte der doch wütend auf ihn sein, was konnte er jetzt hier unten schon ausrichten, wenn Nicolas ihm den nötigen Gehorsam verweigerte. Auch rebellierte sein Magen bereits, und er wünschte sich, er wäre an Deck geblieben. Zum Glück war die letzte Mahlzeit schon vor einer ganzen Weile gewesen und hatte nur aus einem harten Kanten Brot und etwas verdünntem Wein bestanden. Schon der bloße Gedanke an sein karges Frühstück bescherte ihm eine neue Welle von Übelkeit. Wolfram setzte sich umständlich auf den Boden. Sein schweres Kettenhemd behinderte ihn. Doch es auszuziehen, kam nicht in Frage. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass man gerade in einer fremden Umgebung sich immer gut gerüstet und mit großer Vorsicht bewegen sollte. Mit dem Rücken an einer großen Kiste lehnend, streckte er die Beine aus und schloss die Augen. Es dauerte auch nicht lange und die Strapazen der letzten Tage forderten ihren Tribut und Wolfram verfiel in einen tiefen traumlosen Schlaf.

      Auf Deck wurde ein Rufen laut. Im harten Befehlston erteilte jemand Kommandos, und Nicolas hörte über sich das Getrappel von etlichen Füßen. Trotzt der unruhigen Bewegungen der Dau, fühlte er, wie das Schiff allmählich Fahrt aufnahm. Doch es dauerte keine halbe Stunde und ihm war so schlecht, dass ihn nur noch der Gedanke, schnellstens nach oben an die Reling zu kommen, beherrschte. Er raffte seinen Umhang und rannte die Leiter hinauf. Inzwischen war es Nacht geworden, und fast völlige Dunkelheit hüllte das Schiff ein. Eine Laterne am Bug schwankte im heftigen Wind hin und her und warf ab und zu einen schwachen Lichtschein über das Deck. Da der Himmel nicht vollkommen bedeckt war, konnte Nicolas wage die Umrisse der Reling erkennen. Das Schiff war nicht sehr groß und mit wenigen Schritten war er an der Schiffswand. Er würgte und würgte, doch nichts wollte aus seinem leeren Magen kommen. Nicolas erinnerte sich, nicht einmal einen Schluck Wasser seit dem frühen Morgen getrunken zu haben. Die Kräfte verließen ihn und er sank unglücklich auf die Schiffsplanken, wo er resigniert liegen blieb. Seine Gedanken wanderten nach Hause, zu dem großen Saal, wo er zusammen mit den anderen Knappen geschlafen hatte, zu Berthe, die ihm eine warme Brühe einschenkte, zu seinem alten Lehrmeister Tassilo von Hohnberg. Ob dieser wohl noch lebte? Zuletzt war der alte Haudegen von einem starken Husten gequält worden. Seine Kraft hatte merklich abgenommen. Selbst der Gedanke an die verblichene Markgräfin erschien Nicolas jetzt irgendwie tröstlich, entführte


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