Zeit der Könige. Julia Fromme

Zeit der Könige - Julia Fromme


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für alle, die mir am Herzen liegen“, fügte er hinzu.

      „Dann bring ihn mit. Aber gerade jetzt ist besondere Vorsicht geboten. Also, zu niemandem ein Wort. Schärfe das deinem Freund ein.“

      „Wir werden schweigen wie ein Grab. Ich danke Euch, Euer Gnaden.“

      Wolfram von Auenstein wollte Protest erheben. Doch Dietrich winkte ab.

      „Ich vertraue dem Burschen. Er wird uns keinen Kuckuck ins Nest holen.“ Damit war für ihn die Sache erledigt. Er nickte Nicolas noch einmal kurz zu, dann war dieser entlassen.

      Wahrscheinlich war der Markgraf nun vollends verrückt geworden. Die Nachricht vom Tode seiner Gemahlin hatte auch einen letzten Rest von Anstand und Gewissen, den er noch besitzen mochte, hinweggefegt. Sollten sie ihm doch trotzen, die Ministerialen des Kaisers, sein Bruder Dietrich und die von ihm beeinflussten Ritter und Adligen und nicht zuletzt die Bürger von Meißen und anderer Städte der Markgrafschaft. Er würde sie alle vernichten, mit Feuer und Schwert. Er würde die Weißenfeldschen Besitzungen seinem Territorium einverleiben und seinen Bruder in den tiefsten Kerker, den er besaß, einsperren. Vor einem Brudermord schreckte er doch zurück, aber Dietrich sollte ihm nie mehr in die Quere kommen. Nur ein kleines Hindernis galt es noch zu überwinden. Er musste Dietrichs habhaft werden. Denn dieser hatte sich in der Zwischenzeit ins Heilige Land abgesetzt.

      Kapitel 7

       Burg Meißen

       Juli 1195

      Der Morgen dämmerte gerade in einem ersten fahlen Grau herauf, da erscholl vom Burghof Hufgetrappel und das Rufen von Stimmen, gerade so, als wolle jemand überstürzt die Burg verlassen. Ragin erhob sich noch leicht benommen nach einer unruhigen Nacht von seinem harten Lager. Die anderen schliefen fest, einer der Jungen murmelte im Traum unverständliche Worte. Die Luft war noch kalt, und Ragin fröstelte, als er, nur mit seiner Bruche bekleidet, an das offene Fenster trat, das notdürftig mit Sackleinen verhangen war. Um auch das ganze Tageslicht der Jahreszeit ausnutzen zu können und damit teures Licht zu sparen, hatte die Markgräfin einst veranlasst, dass die Fenster in den Unterkünften der Knappen nur bei strengem Frost mit hölzernen Läden verschlossen wurden. Noch hingen die Schatten der Nacht unter den Mauern des Burghofes. Einzelne Fackeln brannten in der Nähe des Torhauses und erleuchteten die Szenerie, die sich Ragin bot, mit ihrem flackernden Licht. Mindestens ein Dutzend Packpferde standen, zum Teil schon beladen, in der Mitte des Hofes. Das mächtige braune Schlachtross des Markgrafen hatte man an einen großen Karren gebunden, der von zwei riesigen Kaltblütern gezogen wurde. Der Karren war bis oben hin vollgestopft mit Kisten und Fässern. Ragin konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was da unter ihm vor sich ging. Ein Reitknecht, er hatte ihn bereits einige Male im Gefolge Albrechts gesehen, führte das Reitpferd des Markgrafen, einen prächtigen Apfelschimmel, auf den Hof. Das edelsteinbesetzte Zaumzeug allein hätte die Familie eines Leibeigenen ein ganzes Leben lang ernähren können. Jetzt funkelte es im Schein der Fackeln und verriet Ragin, dass der Markgraf wahrscheinlich auf eine größere Reise gehen würde. Dass sich ihr Schicksal an diesem Morgen für immer ändern sollte, ahnte der junge Mann allerdings nicht.

      „Ragin, Ragin, wach auf!“ Konrad stürmte aufgeregt in den Schlafraum. Als er Ragin am Fenster stehen sah, hielt er kurz inne.

      Nachdem Nicolas und Modorok verschwunden waren, hatte Konrad zunächst geglaubt, sie seien von Albrecht mit dem Auensteiner auf eine Mission geschickt worden. Doch als sie auch nach Wochen noch wie vom Erdboden verschluckt blieben, und keiner über ihren Verbleib etwas wusste, keimte in dem Jungen der qualvolle Gedanke auf, dass seinen Freunden etwas Schreckliches zugestoßen sein musste. Aber dann belauschte er ein Gespräch Tassilos mit dem Burgvogt. Letzterer erzählte dem Waffenmeister, dass Albrecht getobt und geschrien hätte, als er erfuhr, dass Wolfram von Auenstein bei Nacht und Nebel aus der Burg verschwunden sei und mit ihm die beiden Knappen. Auch die Familie Wolframs hatte Meißen verlassen. Keiner konnte sagen, wohin sie gegangen waren. Konrad wusste nicht, warum Nicolas einfach verschwunden war, ohne ihm etwas davon zu sagen. Doch die Tatsache, dass er sich nicht verabschiedet hatte, ließ in ihm die Gewissheit aufkommen, dass er ihn nie mehr wiedersehen sollte. Er schlich sich in den Stall und weinte bitterlich. Und dennoch stahl sich eine wage Hoffnung in sein kleines Herz, dass er Nicolas doch eines Tages gesund und munter wieder begegnen würde.

      Langsam regten sich auch die anderen, und rieben sich verschlafen die Augen. „Was ist los? Welcher Teufel hat dich kleine Kröte geritten, hier so herumzuschreien?“ Wütend funkelte Gernot von Bergstädt, einer der älteren Knappen, den jüngeren an. Doch völlig unbeeindruckt und sich der Tatsache bewusst, dass das, was er gleich zu berichten hatte, ihm die volle Aufmerksamkeit der anderen einbringen würde, baute sich Konrad vor seinen Kameraden auf. „Der Markgraf verlässt Meißen und…“

      „Wieso? Woher weißt du das? Wo treibst du dich überhaupt herum, während wir anderen hier schlafen?“ fiel ihm Gernot unbeherrscht ins Wort.

      „Das wollte ich gerade erzählen, aber du lässt mich ja nicht zu Wort kommen“, ereiferte sich Konrad.

      „Sei still, Gernot. Nun, Konrad, erzähl…“ Ragin nickte ihm aufmunternd zu.

      „Also, gerade als ich in einer Ecke des Hofes fertig war, meine Notdurft zu verrichten, hörte ich die Ritter Albrechts sagen, dass der Markgraf Meißen verlässt und nach Altzella geht. Angeblich will er dort Abbitte tun und den Mönchen einen Teil des vormals von ihm gestohlenen Schatzes wiederbringen. Weißt du, was damit gemeint ist, Ragin?“

      Dieser nickte und fragte: „Woher weißt du, dass er nach Altzella will? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er den Schatz, den sein Vater einst dem Kloster vermacht hatte, und den Albrecht sofort nach dessen Tod wieder herausforderte, zurückbringen will. Er begründete seine Tat damals damit, dass die heiligen Männer das Gold unrechtmäßig erworben hätten, konnte dies aber nie beweisen.“

      „Vielleicht drückt ihn sein schlechtes Gewissen, jetzt wo die Markgräfin tot ist“, gab Gernot zu bedenken.

      „Nein, das glaube ich nicht. Aber ich denke, er nutzt es als Vorwand, dass die Markgräfin dort zu Grabe getragen wurde, um sich im Kloster zu verkriechen, und Pläne zu schmieden, wie er seine Macht erhalten kann. Hinter den geheiligten Mauern eines Klosters wird sich nicht so schnell einer erdreisten, den Markgrafen anzugreifen. Und seinen Schatz nimmt er mit, damit er dann genügend Söldner anheuern kann, um seinen Bruder zu besiegen.“

      „Vielleicht will er sich auch dem Kaiser auf seinem Palästinazug anschließen und holt sich nur den Segen für sein Vorhaben?“ mutmaßte der neunzehnjährige Kaspar.

      „Oh nein, Kaspar. Niemals! Du hast nicht miterlebt, wie heftig sein Zorn auf den Kaiser war, nachdem dieser ihn nicht empfangen hat. Denn so war der Markgraf wochenlang von Meißen fern, während sich hier die Ereignisse überschlugen und die Feinde Albrechts ihre Macht festigen konnten. Sein Bruder und der Thüringer, das sind seine ärgsten Feinde. Glaube nicht, dass er so schnell aufgibt, und ihnen das Terrain überlässt. Und dann die Markgräfin; sie ist gestorben, ohne dass Albrecht sich mit ihr aussöhnen konnte. Das lastet schwer auf seiner Seele. Doch auch dafür macht er Dietrich und den Kaiser verantwortlich. Bei sich selbst sucht er die Schuld nicht.“

      „Woher weißt du das alles, Ragin?“ fragte Wolfram erstaunt.

      „Ich habe meine Quellen, mein Freund“, antwortete Ragin gelassen, „und glaub mir, wenn Albrecht jetzt geht, wird er den Tag verfluchen, an dem er das beschlossen hat.“

      „Was heißt das? Was weißt du, was wir nicht wissen? Was spielst du für ein Spiel, Ragin?“ Die anderen stürmten beinahe zornig auf ihn ein. Beschwichtigend hob der die Hände.

      „Keine Angst, meine Freunde. Ich weiß auch nicht viel mehr als ihr. Aber ich habe Augen im Kopf und Vertraute in der Burg, die meiner Familie zugetan sind. Kommt, lasst uns zu Meister Tassilo gehen. Der wird uns sagen, was wir jetzt tun sollen, denn offensichtlich hat der Markgraf momentan keine Verwendung für uns.“ Ragin wollte sich schon abwenden, um seine Beinlinge und seine Tunika überzustreifen, da fiel


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