Zeit der Könige. Julia Fromme
grinste Nicolas zurück. „Berthe, wer sonst soll denn deine Kochkünste loben, wenn ich nicht da bin? Der Schellenberger etwa?“ rief Nicolas.
Berthes Lächeln erstarrte. „Der würde nicht mal einen Braten für den Kaiser loben. Nichts recht machen kann man ihm, immerzu beklagt er sich, dass er nicht seinem Stande gemäß mit Speisen bedacht würde. Dabei ist er auch nur ein Knappe wie Ihr“, grollte sie. „Kommt, setzt Euch, junger Herr“, lud sie ihn an den Tisch.
„Ach Berthe, nimm es nicht so schwer. Jeder andere weiß, wie gut du kochen kannst. Und es ist auch jedem bekannt, was der Schellenberger für ein Mensch ist. Der würde niemanden loben, denn das könnte seinem Stolz schaden“, beschwichtigte Nicolas die alte Frau.
„Ihr habt ja recht, junger Herr. Aber Sorgen mache ich mir schon. Denn was wird denn jetzt werden“, klagte sie, „Eigentlich hängen wir alle vom Wohl und Wehe der Herren ab.“ Sie stellte Nicolas eine große irdene Schüssel mit fetter Brühe hin.
„Deine Künste sind jedem Herrn recht, Berthe“, tröstete der junge Mann sie und schaufelte die Suppe hungrig in sich hinein. Die alte Frau reichte ihm auch einen Teller mit Brot und Käse, und Nicolas langte kräftig zu. Der Tod der Markgräfin hatte ihn nicht weiter belastet, im Gegenteil, er hielt es für eine gerechte Strafe Gottes, dass sie in die Ewigkeit hinübergegangen war. Sie hatte ihm das Leben schwer genug gemacht, seine Dienste ständig in Anspruch genommen und immerzu an ihm herumgenörgelt. Ihr Tod war ihm schon seltsam erschienen, und er war nicht abgeneigt, den Gerüchten Glauben zu schenken, die davon sprachen, dass sie vergiftet worden sei.
Als Nicolas etwas später in sein Quartier kam, erwarteten ihn dort schon ungeduldig die anderen Knappen. „Sag schon, Nico, was ist geschehen in Camburg? Ist die alte Hexe vergiftet worden?“ fragte Modorok respektlos. Die anderen schauten sich erschrocken um, in der Hoffnung, dass keiner der Knechte die losen Worte gehört hatte.
„Sei vorsichtig, Modorok“, warnte Nicolas ihn. „Man weiß nie, wer deine Worte dem Herrn zutragen könnte.“
„Wenn du meinst, dass ich vor Falk Angst habe, muss ich dich enttäuschen. Ich habe ihn in letzter Zeit oft genug im Schwertkampf besiegt, als dass er mir zu nahe treten würde“, begehrte Modorok auf.
„Dir vielleicht nicht, aber vielleicht tritt er nahe an das Ohr des Markgrafen. Und dann Gnade dir Gott!“
„Amen“, kam es leise von den Lippen der anderen Jungen.
„Wo ist der Schellenberger überhaupt?“ wunderte sich Nicolas. „Hat er jetzt ein eigenes Quartier?“
„Nein, Tassilo hat ihn Ritter Wolfger mitgegeben. Der ist nach Altzella, um die Ankunft Albrechts zum Begräbnis der Markgräfin vorzubereiten.“
Nicolas war sichtlich erleichtert, nicht nur um seines Freundes Modorok wegen.
„Nun sag schon, Nico, was weißt du über den Tod der Markgräfin“, drängte Modorok in ihn. Auch die anderen Jungen hatten sich um ihn geschart.
„Da gibt es nichts groß zu erzählen. Sie war halt eines Morgens plötzlich tot“, sagte Nicolas, sich in der Aufmerksamkeit seiner Gefährten sonnend.
„Ohne jegliche Vorzeichen, so ganz plötzlich?“, fragte der jüngere Konrad aufgeregt.
„Na ja, so ganz unerwartet kam es ja eigentlich nicht. Sie hat sich merkwürdig verhalten. Schon das ganze Weihnachtsfest über.“ Er machte eine Pause. Sein Blick schweifte über die Jungen hinweg und zum Fenster hinaus, als würde er in der Ferne die Ereignisse noch einmal an sich vorüberziehen sehen.
„Das Weihnachtsfest war recht traurig einhergegangen“, sagte er unvermittelt. „Nicht so, wie hier, wo an den Feiertagen Spaß und Spiel stattfinden. Die Markgräfin nahm nur mit einigen ihrer Damen das Weihnachtsmahl ein, dann ist sie den ganzen Abend und die halbe Nacht in der Kirche gewesen. Auch den ersten Weihnachtstag hat sie hauptsächlich in der Kirche verbracht. So ging das weiter bis Hochneujahr.“
Nicolas erschauerte. Die Jungen schauten ihn gespannt an. Nach Weihnachten hatte es noch einmal kräftig geschneit und eine dicke Schneedecke die Landschaft rings umher in ein weißes Tuch gehüllt. Nicolas musste damals unwillkürlich an ein Leichentuch denken, so sehr hatte sich Sophie lebendig vergraben. Auch jetzt überkam ihn noch das Grauen, wenn er daran dachte.
„Am meisten hat mir die kleine Christina leid getan“, fuhr Nicolas mit seinem Bericht fort. „Die ganze Zeit über war sie in der Obhut ihrer Damen und kein Kind in der Nähe, mit dem sie hätte spielen können.“
Als das Frühjahr seine ersten zarten Fühler ausstreckte, hatte man die Markgräfin schon beinahe vergessen, so selten ließ sie sich sehen. Ihre Mahlzeiten nahm sie vorwiegend in ihrer Kemenate ein. Sonst brauchte sie wenig und nur einige ihrer vertrautesten Dienerinnen durften zu ihr. Dann begannen die Tage wieder wärmer zu werden, der Winter musste das Land aus seinem eisigen Griff freigeben. Endlich konnte man wenigstens tagsüber die Läden von den Fenstern nehmen und ein wenig Sonne und Tageslicht in die Räume lassen. Das schien auch der Dame gut zu tun, nach und nach erschien sie immer öfter wieder in der Halle, um mit ihren Hofdamen und einigen Rittern ihrer Begleitung die Mahlzeiten einzunehmen. Hin und wieder hörte man sogar das Lachen des Kindes, wenn seine Mutter mit ihm scherzte.
„Im Februar hat die Markgräfin einen Brief von Albrecht bekommen.“
„Woher weißt du das?“, unterbrach ihn Ragin, der ebenso wie Thilo hinter Modorok und Konrad stand.
„Das hat mir ihre Zofe erzählt.“ Nicolas grinste und die Jungen lächelten ihn wissend an.
„Ich weiß zwar nicht, was in dem Brief stand, aber irgendwie hatte es den Anschein, dass von dem Tag an die Gräfin wieder ins Leben zurückkehrte.“
„Und wieso war sie denn dann plötzlich tot?“, wollte es Konrad nun nochmals genau wissen.
„Ja, das war sehr unheimlich“, sagte Nicolas und senkte seine Stimme, als wolle er nicht, dass der Geist Sophies ihn belauschte.
„Eines Abends, es war der 25. März, kam Sophie mit ihrer Tochter in die Halle, um das Abendessen zusammen mit ihren Höflingen einzunehmen. Irgendwie sah sie bleicher als sonst aus. Und das wollte was heißen!“ Nicolas lachte rau auf. „Unruhig und etwas gehetzt, so als hätte sie eine schlechte Nachricht erhalten. Auch aß sie an diesem Abend wenig und zog sich beizeiten in ihre Gemächer zurück. Einige Stunden später hörten wir dann Lärm im oberen Stockwerk. Die Burg ist nicht groß, und so bekam auch bald jeder mit, dass mit der Markgräfin etwas nicht stimmte.“
„Und? Was dann?“, drängte nun auch Thilo, als Nicolas mitten in seiner Erzählung stockte.
„Dann war sie einfach tot“, sagte er tonlos.
„Wie, dann war sie tot? Wie ist sie denn nun gestorben, war sie krank?“ Langsam riss Modorok der Geduldsfaden.
„Mach`s doch nicht so spannend, Nico. Da läuft einem ja eine Gänsehaut über den Rücken“, meinte nun auch Ragin.
„Kurz nachdem wir im Obergeschoß Gerenne und Rufen gehört haben, kam einer ihrer Ritter runter und informierte die anwesenden Höflinge darüber, dass die Markgräfin gestorben sei. Die Dienerschaft munkelte von Gift, das man Sophie verabreicht hätte, doch bestätigen konnte das niemand. Wer würde auch freiwillig zugeben, dass er von so einer Tat weiß. Na, offiziell hieß es jedenfalls, sie sei an einem plötzlichen Fieber gestorben.“
„Und wieso bist du mit der Nachricht nach Meißen gekommen und nicht einer ihrer Ritter?“, fragte nun Modorok.
„Ich gehörte sowieso nicht zum engeren Kreis Sophies. Ihr Hofmeister hat mich wahrscheinlich als entbehrlich eingeschätzt und mit der Todesnachricht nach Meißen geschickt. Sicher hatte er keine Lust, sich selbst dem Unmut von Sophie Ehemann auszusetzen.“ Nicolas zuckte mit den Schultern, als ließe ihn dieser Umstand vollkommen kalt.
„Dennoch war ich froh, dass der Markgraf noch nicht da war. Irgendwie fand ich es ungerecht, dass ausgerechnet ich das Glück hatte, so eine miese Nachricht überbringen