Zeit der Könige. Julia Fromme

Zeit der Könige - Julia Fromme


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Nacht und Nebel? Wieso kommst du ganz allein und anscheinend heimlich zurück?“ Tassilo hob bedeutsam die Brauen.

      „Die Markgräfin ist tot“, begann Nico.

      „Ach!“, rief Tassilo. „Gott sei ihrer armen Seele gnädig. Und wie ist das gekommen, Nico?“, fragte er.

      „Sie ist vor zwei Tagen an einem seltsamen Fieber gestorben.“

      „Und ihre Tochter? Hat sie auch das Fieber?“

      Mit „Fieber“ bezeichneten die Leute alle möglichen Krankheiten, die man nicht genau benennen konnte. Und so waren es oft die Schwindsucht, Lungenentzündung oder Darmkrankheiten, die die Menschen dahinrafften, ohne dass man es so genau wusste.

      „Eigentlich hat es niemanden so recht verwundert, denn seit ihrer Flucht aus Meißen ist sie immer sehr melancholisch gewesen und sprach kaum mit einer Menschenseele. Das einzige Wesen, das sie ständig um sich hatte, war ihre kleine Tochter Christina.“

      „Und was ist mit der Markgrafentochter geschehen?“, fragte Tassilo mit angehaltenem Atem.

      „Ein Vertrauter der Markgräfin hat sie sofort in ein Kloster gebracht, um sie vor möglichen Zugriffen der Feinde des Markgrafen zu schützen“, antwortete Nicolas.

      „Das sind natürlich schwerwiegende Neuigkeiten, die du da bringst, Nico. Der Markgraf wird für morgen erwartet. Am besten du bleibst in deinem Quartier bis ich bei ihm war, um ihn zu informieren. Er ist schon so nicht gut auf dich zu sprechen. Wenn du ihm jetzt auch noch die Nachricht vom Tod seiner Frau überbringst, fürchte ich, dass er etwas Unüberlegtes tun wird.“

      „Ich danke Euch, Herr Tassilo.“ Nicolas war seinem Lehrmeister dankbar, dass dieser ihn bei seinem schweren Auftrag unterstützen wollte. Die Magd brachte nun auch endlich den heißen gewürzten Wein, den sie alle hier in Meißen so schätzten. Eine halbe Stunde später wurde das Nachtmahl aufgetragen und Nicolas machte sich mit Heißhunger über die einfachen Speisen her. Die alte Berthe freute sich, ihn zu sehen und zwinkerte ihm aufmunternd zu. Tassilo ließ sich von seinem Schützling im Anschluss an das Mahl noch einmal ausführlich von den Vorgängen in Camburg berichten, bevor er Nicolas entließ. Im Quartier der Knappen angekommen, legte er sich in einer Ecke auf einen Strohsack und war auch bald fest eingeschlafen, bevor die Anderen Gelegenheit hatten, ihn nach seinen Erlebnissen der letzten Monate auszufragen.

      „Na warte, so kommst du uns nicht davon“, sagte Modorok und grinste die anderen Jungen verschwörerisch an. Doch sie mussten noch bis zum übernächsten Morgen warten, bis ihnen Nicolas von den Ereignissen berichten konnte.

      Die Holzläden vor den Fenstern klapperten im eisigen Wind. Es war finster in den Räumen, hatte man die schützenden Fensterläden noch nicht abgenommen. Seit dem späten Herbst des letzten Jahres waren sie nun schon dort, und der Winter wollte in diesem Jahr immer noch kein Ende nehmen. Albrecht saß zusammengesunken in einem Sessel, dessen hohe Lehne ihn vor der Zugluft vom Fenster her schützte. Doch selbst das prasselnde Kaminfeuer vor ihm konnte ihn nicht erwärmen und er erschauerte immer wieder. Die Kälte, die ihn gefangen hielt kam von innen heraus, und selbst die Feuer der Hölle würden ihn wohl nicht erwärmen können.

      Am gestrigen Abend war er zusammen mit einigen Getreuen wieder in Meißen eingetroffen. Die Stadt war noch schwer gezeichnet von den Kämpfen mit seinem Bruder und dessen Verbündeten, dem Bischof von Prag. Sie hatten die Stadt geplündert und gebrandschatzt und sich so nicht gerade die Sympathie der Einwohner erworben. Die eisige Ablehnung und Feindseligkeit der Meißner hatte Dietrich auch bewogen, sich während der Abwesenheit des Markgrafen nach Weißenfels zurückzuziehen.

      Als Albrecht die markgräflichen Gemächer betrat, hoffte er, dass seine Frau Sophie ihn erwarten würde. Er hatte ihr kurz nach seinem Aufbruch nach Italien einen Brief gesandt, indem er sie bat, ihn in seinem Kampf gegen seinen Bruder und letztlich den Kaiser zu unterstützen. Zu mächtig war ihre Familie in Böhmen, als dass man deren Gewicht und Stimme außer Acht lassen durfte. Außerdem wollte er in Frieden mit ihr leben. Irgendwie beschlich ihn das Gefühl, sie in den neun Jahren ihrer Ehe so gut wie gar nicht kennengelernt zu haben. Immer nur beschäftigte er sich mit dem Streit um sein Erbe, hielt sich nie groß mit Gefühlen auf, bemühte sich nie, Sophie in sein Leben einzubeziehen. Gott hatte es gewollt, dass ihnen nur eine Tochter geblieben war. Diese wurde bereits im zarten Alter von vier Jahren mit Hartmann von Lobdeburg verheiratet. An ihrem zwölften Geburtstag sollte sie aus der elterlichen Obhut entlassen und zu ihrem Ehemann gebracht werden, der bisher selbst noch im jugendlichen Alter war.

      Doch Albrecht sollte Sophie nicht mehr antreffen. Wenige Tage vor seiner Ankunft war sie gestorben. Zunächst traute sich keiner so recht, ihm zu erzählen, was geschehen war. Nur wenige Höflinge waren noch in Meißen. Die meisten kehrten schon vor Weihnachten auf ihre Besitzungen und in ihre Dörfer zurück, wo sie die Wiederkehr des Markgrafen abwarten wollten. In so unruhigen Zeiten war es ja auch gar nicht so gewiss, ob er überhaupt wiederkehren würde oder ihn der Kaiser nicht gleich einkerkern oder sogar hinrichten ließ. Dass Albrecht gar nicht bis zum Kaiser vorgedrungen war, davon wusste man in der Mark Meißen nichts.

      Letztendlich war es sein Waffenmeister, der ihm vom Tod Sophies berichtete.

      Am Morgen rief Albrecht Nicolas zu sich, um sich die letzten Begebenheiten nochmals schildern zu lassen.

      „Die durchlauchtigste Markgräfin zog sich nach dem Abendmahl in ihre Gemächer zurück“, begann Nicolas. Er fühlte sich äußerst unwohl, wie er dem Markgrafen gegenüberstand, der völlig emotionslos durch Nicolas regelrecht hindurchstarrte.

      „Bei Tisch erschien sie noch recht gesund“, fuhr er fort, „obgleich sie sehr bleich aussah und eine gewisse Unruhe ausstrahlte. So aß sie auch nicht viel und ging nach kurzer Zeit zusammen mit ihrer Tochter zurück in die Kemenate. Doch wunderte sich keiner darüber, da sie nie lange in der Halle blieb.“ Nicolas verstummte und wartete darauf, wie der Markgraf reagieren würde. Nicolas wusste ganz genau, wie wenig ihn Albrecht mochte, und ihm wurde recht unbehaglich zumute, als der Markgraf weiterhin keine Reaktion zeigte. Er konnte ja nicht wissen, dass Albrecht gehofft hatte, seine Frau und sein Kind hier anzutreffen, und dass ihn diese Nachricht so niederschmetterte, dass er zunächst zu keiner Regung fähig war. Mit einem Winken seiner linken Hand schickte er Nicolas hinaus.

      Vor der Tür hörte Nicolas regelrecht, wie der Stein von seinem Herzen zu Boden fiel, und so schnell er konnte, rannte er über den Hof in Richtung der Quartiere der Knappen. Tassilo kam ihm schon am Eingang entgegen und sein Lächeln zeigte Nicolas, dass sein Betreuer froh war, ihn unversehrt zu sehen.

      „Nicolas, was hat der Markgraf gesagt? Hast du etwas von seinen Plänen erfahren können?“ fragte er aufgeregt.

      „Nein, Herr, natürlich nicht. Er hat eigentlich überhaupt nichts gesagt, hat nur vor sich hingestarrt und mich dann mit einer Geste hinausgeschickt.“ Nicolas atmete noch einmal tief durch. „Ich könnte aber nicht behaupten, dass ich darüber recht betrübt bin“, grinste er Tassilo an.

      Tassilo nickte nachdenklich. „Ich glaube nicht, dass du wieder nach Camburg gehen wirst. Geh in dein Quartier, Nicolas. Ab morgen wirst du deinen Dienst als Knappe bei Herrn von Auenstein wiederaufnehmen.“ Über Tassilos runzliges Gesicht huschte ein verschmitztes Lächeln. „Der arme Herr Wolfram läuft mit vollkommen verrosteter Rüstung umher, da sie ihm bei diesem feuchten Wetter niemand einölte“, scherzte er. „ Die anderen Ritter haben ihn bereits ausgelacht. Nun lauf los, Nico, vielleicht ist auch noch etwas zu essen in der Küche. Die alte Berthe hat dich schon vermisst.“

      Das ließ sich Nicolas nicht zweimal sagen, seit dem frühen Morgen hatte er nichts mehr zu sich genommen. Die Köchin war noch in der Küche. Auf dem gewaltigen Herd köchelte in einem eisernen Kessel eine Hühnerbrühe leise vor sich hin. Immer wieder kam es vor, dass auch außerhalb der festen Mahlzeiten ein hungriger Magen zu füllen war. Vor allem jetzt, bei diesem nasskalten Wetter erwies sich jedermann dankbar, wenn er nach einem langen Ritt oder stundenlangem Wachdienst auf den Zinnen eine heiße Brühe schlürfen durfte. Berthe wusste auch, dass, falls jemand in der Burg erkranken würde, eine heiße Brühe Wunder vollbringen konnte. Und so hatte sie immer einen Vorrat auf dem Feuer kochen.

      Sie


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