Fremd- oder Selbstbestimmung?. Frank Föder
von der Zeugung der Nachkommen über den Fötus im Mutterleib, sodann der Mensch vom Säugling bis zu seiner Grablegung. Der demokratische Staat läßt sich die Begutachtung der Gene, die Familienplanung, die Erziehung, die Ausbildung, die Ernährung, die Gesundheit, die Erwerbsarbeit, die Wünsche und Erwartungen, die Gewohnheiten, die Altersversorgung und die Bestattung allumfassend angelegen sein.
Demokratie, vermeintlich der Inbegriff von Freiheit, hat das Aufgabenspektrum des Staates ins Unermeßliche gesteigert. Es gibt nichts, was diese Staatsform dem Bürger nicht entzogen, nicht zu ihrem Anliegen gemacht und geregelt hätte. Sie hat ihre Zuständigkeit ohne Begrenzung auf alles Vorkommende erweitert.
Ob gewollt oder ungewollt, der Bürger der modernen Demokratie hat das Kümmern um sein Wohlergehen so gut wie vollständig auf den Staat übertragen.
In der Realität daher nähert sich die Marke der Machtvollkommenheit des Staates neudemokratischer Art den hundert Prozent. Ein wesentlicher wissenschaftlicher Streit ist damit vom Tisch. Der Staat darf alles. Und er nimmt sich auch alles heraus.
Das sei kein Verhängnis, sagen Politologie und Politik, denn die Macht im Staat habe der Bürger inne. Er komme über frei gewählte Abgeordnete in der Volksvertretung zum Zug.. Die Wahl der Entscheider erlaube ihm zu verhindern, daß geschieht, was er nicht will, was nicht in seinem Sinn liegt. Mit Hilfe des Parlaments bestimme er, was zu gelten hat und was geschehen soll
So liest sich die Theorie. Die Praxis verläuft weniger sinngemäß. Viele Bürger daher sind unzufrieden mit dem, was da vonstatten geht. Sie empfinden ihre Belange von den ins Parlament entsandten Abgeordneten entweder gar nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen. Das veranlaßt sie zu zwei unterschiedlichen Verhaltensweisen.
Die einen verlangen, daß ihnen mehr Mitsprache oder Mitwirkung eingeräumt werde.
Nun ist aber die unmittelbare Beteiligung des Bürgers an der Macht in den meisten, in den großen Staaten allemal, aufgrund der Anzahl ihrer Einwohner schlicht nicht zu bewerkstelligen, wie sich leicht erschließt. Hier lassen sich Wunsch und Wille des einzelnen nur über Zwischenträger vermitteln. Man spricht daher von der „repräsentativen“ oder „indirekten Demokratie“.
Das indessen, die Vertretung des Volkes durch Abgeordnete, ist nach vielseitigem Dafürhalten kein Manko. Denn die Mehrheit der Bürger ermisse ohnehin die Tragweite der zu treffenden Entscheidungen nicht.
Doch die Erwartung, die Gewählten glichen das Urteilsdefizit aus, erweist sich nur allzu oft als trügerisch. Zahlreiche Untersuchungen weisen nach, daß die Parlamentsmitglieder oft ihr Votum abgeben, ohne den Sachverhalt, der zur Abstimmung steht, voll durchschaut zu haben.
Nicht zuletzt deshalb gibt es Bestrebungen, die Schwäche der Repräsentation zu minimieren. Die Partei “Die Piraten“ zum Beispiel verbietet ihren Abgeordneten, ein Urteil über einen Sachverhalt abzugeben, ohne zuvor die Meinung ihrer Wähler dazu erfragt zu haben. Darüber hinaus sind die Mitglieder dieser Partei angewiesen, ihren Abgeordneten unmittelbar zu kontaktieren, sobald sie der Schuh drückt. Dieser jedoch wird dadurch täglich mit einer Flut von Mitteilungen überschüttet. Viele der dieserart Bedrängten geben an, daß es ihnen unmöglich sei, die erhaltenen Einwürfe und Aufforderungen zu würdigen, wie es ihnen zukommt. Das ist für beide Seiten verdrießlich. Für das Mitglied, das keine Antwort erhält, und für den Abgeordneten, der mit der kritischen Wertung der an ihn gerichteten Appelle überfordert ist. Die meisten Mandatsträger der Partei haben deshalb entnervt das Handtuch geworfen.
Besserung erwarten andere von einer Vermehrung der Volksbefragungen. Mit Hilfe einer solchen kann der Wähler in der Tat zu einem konkreten Problem seinen Willen offenbaren. Bedauerlicherweise jedoch beanspruchen Plebiszite einen ziemlichen Aufwand. Das schränkt die Möglichkeit, sie vor jeder wichtigen politischen Entscheidung abzuhalten, entschieden ein.
So wendet sich der andere Teil der Unzufriedenen schlicht ab. Diese Mitbürger haben das Vertrauen verloren, daß aus dem System heraus nachhaltige Verbesserungen zu erwirken seien. Sie verzichten daher auf die Wahrnehmung ihres Wahlrechts.
Jene braven Bürger indes, die sich den Urnengang nicht versagen, sind nicht viel zuversichtlicher. Ein großer Teil von ihnen gibt seine Stimme nur ab, um Schlimmeres zu verhindern. Die Besorgten wählen, wie sie gern erklären, das geringere Übel.
Überdies werfen die meisten Demokratien die kritischsten abgegebenen Stimmen einfach in den Papierkorb. Sie schließen die Kandidaten der Parteien, die eine Mindestanzahl an Voten nicht erreichen (in Deutschland fünf Prozent), vom Einzug ins Parlament aus. Bei der Wahl zum deutschen Bundestag im September 2013 wurde auf diese Weise fast jede sechste abgegebene Stimme ( 15,7 Prozent) eliminiert - die Meinung der Unangepaßten.
Die obsiegende Partei erhält selten mehr als vierzig Prozent der gültigen Voten. Da stets ein großer Teil der Wahlberechtigten sein Stimmrecht verfallen läßt, haben in der Realität selten mehr als fünfundzwanzig Prozent der Wahlbürger für diejenige Partei votiert, die den Sieg davonträgt. Es ist also allenfalls nur jeder Vierte der Wahlberechtigten, auf dessen Regung sich anschließend die Regierung stützt. Und unter diesen sind viele, die lediglich andere Gewinner, zu denen sie noch weniger Zutrauen hatten, verhindern wollten.
Von zehn Erwachsenen in den Demokratien haben nur noch zwei das Vertrauen, daß die Person oder die Partei, der sie ihre Stimme geben, tatsächlich das zu leisten imstande ist, was sie vorgibt (gemäß der amerikanischen PR-Agentur Edelmann, die jährlich Tausende Bürger aus 33 Nationen dazu befragt und daraus ein „Vertrauensbarometer“ fertigt). Und auch diese zwei, die den Staat tragen, werden regelmäßig enttäuscht. Das ist ein Sachverhalt, der kaum eine gute Grundlage liefert für das System, von dem das Dasein dieser Welt abhängt.
Die moderne Demokratie hält sich die Teilung der Gewalten als besonderen Vorzug zugute. Dieses Konzept soll die alleinige Macht der Exekutive vereiteln. Sie soll zum Zug kommen lassen, was die Mehrheit des Volkes erheischt.
Der Gedanke und der Vorsatz verlangen, daß die Legislative die treibende Kraft verkörpere. Demgemäß gebührte ihr, der Exekutive zu bedeuten, was sie tun soll. Im Anschluß obläge ihr zu kontrollieren, ob die Regierung vollführt, was ihr aufgetragen worden ist.
Von diesem Ansatz freilich ist in der modernen Demokratie so gut wie nichts mehr zu vermerken. Das Parlament fabriziert zwar noch Gesetze, aber nicht aus eigenem Antrieb. Nicht nur den Anstoß, auch den Inhalt der Dekrete setzt die Exekutive.
Das hohe Haus hätte, von der Vorgabe her, auszuführen, was ihm von unten, vom Bürger, aufgetragen worden ist. Statt dessen vollzieht es, was ihm von oben, von der Regierung, oktroyiert wird. Es ist zum Erfüllungsorgan der Exekutive mutiert.
In allen modernen Demokratien spielen politische Parteien die entscheidende Rolle. Sie sind in ihnen de facto, in vielen sogar de jure, zum Verfassungsorgan erhoben.
Deren stärkste hat uneingeschränkt das Sagen. Sie stellt die Regierung. Hat sie im Parlament nicht die Mehrheit, muß sie mit einer oder mehreren anderen Parteien ein Bündnis eingehen.
Die Abgeordneten der Koalitionsparteien aber verstehen sich anschließend nicht etwa als Impulsgeber und Überprüfer derer, die sie ins Amt gesetzt haben, sondern als deren gehorsame Gefolgsleute.
Die Parlamentsmitglieder, so wollte es das Prinzip und so verlangte es die Vernunft, sollten frei, allein ihrem besseren Wissen und ihrem Verantwortungsgefühl unterworfen, in den Kammern ihre Arbeit verrichten. Doch nähmen sie sich das heraus, könnten sie die Erhaltung ihres Mandats in den Wind schreiben.
Die Koalitionsfraktionen erzwingen Geschlossenheit, nichts anderes als Gehorsam gegenüber der Regierung. Zwar kann das Mitglied er betreffenden Fraktionen in den Vorbesprechungen seine Meinung kund tun. Bei der Abstimmung im Parlament aber hat es den Beschluß der Exekutive zu verfechten. Die Gewissensfreiheit der Abgeordneten steht nur mehr auf dem Papier. Die Mehrheit des Parlaments ist zu einer Formation von Steigbügelhaltern und Beifallspendern verkommen.
Die Gewaltenteilung, sofern man von ihr noch sprechen will, ist reduziert auf Koalition und Opposition. Wobei allerdings die Opposition über keine reale Macht verfügt. Sie kann Entscheidungen