Fremd- oder Selbstbestimmung?. Frank Föder
die Völker- und Menschenrechte einen verläßlichen Gewährleister haben? Gibt die herausgebildete Form der Demokratie Brief und Siegel, daß sie Krieg, den äußeren, wie den inneren, zuverlässig dauerhaft eliminiert?
Ist die Demokratie der Neuzeit fürwahr der Schlüssel, der die Zukunft öffnet?
Nehmen wir einmal an, das Ziel, auf das die politischen Anstrengungen aller Wohlmeinenden gerichtet sind, sei erreicht: alle Staaten seien Demokratien. Wäre damit die Zukunft der humanen Zivilisation gewährleistet?
Außenpolitisch wäre jetzt Abrüstung angesagt. Die Staaten müßten sich dessen begeben, was sie seit ihrer Entstehung ausmacht. Sie waren gehalten, sich in ihrem Umfeld zu behaupten, etwas Machtvolles darzustellen. Das war ihr Sinn. Von dem wäre fürderhin zu lassen.
Kann dem entsprechend eine Regierung unbeschadet auf den Nachdruck verzichten, den ihr bei erforderlichen Verhandlungen eine schlagkräftige Truppe vermittelt?
Der totalen Entwaffnung im übrigen steht eine Erfahrung entgegen, die die Staaten seit ihrer Frühzeit mit sich herumschleppen, diejenige, daß unter ihnen stets der stärkere recht hat.
Diese Weisheit schwingt unverkennbar latent bei der Begründung dafür mit, daß die Musterdemokratie dieser Welt die gewaltigste Militärmaschine unterhält. Denn von ihren Nachbarn hat sie nichts zu fürchten.
Die US-Regierungen geben vor, ihrem Staat sei die Aufgabe der Ordnungsmacht zugefallen. Diese Obliegenheit bedinge das präsentierte Potential.
Ohne Zweifel hat diese Auffassung eine gewisse Berechtigung. Doch wie stünde es damit auf einem vollständig von Autokratien befreiten Globus? Benötigte die Welt der vereinten Demokratien nach wie vor einen militärisch potenten Ordnungshüter?
Möglich ist, daß die Staaten, selbst von Militär entblößt, die von den USA ausgeübte Polizeigewalt in der demokratischen Welt zunächst als nötig und zuträglich erachteten. Mit der Zeit aber wird die einseitig vergebene Allmacht von vielen wahrscheinlich doch als Bedrohung empfunden werden. Ist dann zu erwarten, daß die USA sich ihrer schimmernden Wehr entledigten?
Der allgemeinen Abrüstung steht ein weiterer Gesichtspunkt entgegen:
Den Staaten haftet eine Eigenschaft an, die ihnen nicht zu nehmen ist, sie sind enorm selbstsüchtig. Ihre Obwalter, die demokratischen noch mehr als die autokratischen, müssen das Wohl ihrer Mitbürger im Auge haben. Die Regierungen können sich nur halten, wenn sie ihren Anhängern fortlaufend bessere Lebenschancen vermitteln. Außerdem sind die Staatsregierungen den Gegenwärtigen ihrer Anvertrauten verpflichtet, nicht etwa der kommenden Generation und schon gar nicht der Menschheit als ganzer. Sie haben den Nutzen ihrer aktuellen Mitbürger zu mehren. Demokratische Politik deshalb ist gekennzeichnet durch Unbedenklichkeit sowohl gegenüber der Erhaltung der Natur und der Ausbeutung der Ressourcen, als auch gegenüber den Ansprüchen und Bedürfnissen der Menschen nach und neben ihr. Uneigennützigkeit widerspricht dem Wesen der Demokratie.
Die Demokratie als Staatsform nötigt diejenigen, denen sie Macht verleiht, zur bedenkenlosen Vorteilssuche für diejenigen, die sie tragen. Das macht sie zuvorderst zur Gebietsfetischistin.
Benachbarter Raum weckte schon immer die Begehrlichkeit der Staatenlenker. Er gewinnt mit der Verknappung des nutzbaren Bodens und der Schrumpfung der Rohstoffe vermehrt an Bedeutung. China kauft Land, wo es dies kriegen kann.
Auch demokratisch gewählte Regierungen bleiben auf Erweiterung des Gebiets ihres Staates erpicht. Die USA rissen sich Alaska und Puerto Rico unter den Nagel. Pakistan und Indien kämpfen um Kaschmir. Japan erhebt Anspruch auf die südlichen Kurilen. Dänemark und Kanada streiten um die eisige Insel Hans.
Gegenwärtig reklamieren China, Vietnam, die Philippinen, Malaysia und Taiwan den Besitz winziger unbewohnter Eilande im Ozean, die nur die wenigsten Atlanten kennen, wie die Paracel, die Spratley, die Senkaku Inseln, das Scarborough-Riff. Denn mit der Inhabe dieser Schären ist rechtlich eine Menge Meer verbunden. Und auf dessem Grund sind Bodenschätze aufgeklärt. Hier schmort die Lunte an einem Pulverfaß.
Auch an den arktischen und antarktischen Gebieten melden Demokratien Besitz- oder Ausbeutungsrechte an, darunter die USA und Rußland. Der Streit um die Regionen auf Mond und Mars ist abzusehen.
Im Juni 2016 beschlossen Senat und Kongress der USA, ihrem Land das alleinige Schürfrecht im Weltraum zuzubilligen – im Gegensatz zum UN-Weltraumvertrag von 1967, der dies ausdrücklich verbietet.
Allgemein geht es bei der Landnahme ungerecht zu. Denn die Großmächte haben, allein von ihrer materiellen Substanz her, die besseren Möglichkeiten, sich an den Polen, im Weltmeer, im Weltraum zu bedienen. Den Kleinstaaten bleibt der Schmelz der Genügsamkeit.
Kein Staat kann den Anspruch auf nutzbares Areal aufgeben. Das kann sich keiner seinen Bürgern gegenüber leisten. Vollends unbillig, wenn nicht widersinnig ist es, von einem Staat zu verlangen, daß er sich eines Stücks seines Gebiets entäußere.
Die Ukraine kann die Gebietsverluste, die ihr abverlangt werden, ohne Gegenwehr nicht hinnehmen. Spanien fordert die Angliederung von Gibraltar, denkt aber nicht im entferntesten daran, seine nordafrikanischen Besitzungen, Ceuta und Melilla, an Marokko zurückzugeben.
So, wie die Dinge liegen, muß es den Staaten darum gehen, ihren Gebietsumfang zu erhalten. Deshalb haben sie das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das sie sich nach dem zweiten Weltkrieg mühsam abrangen, durch Beschluß der UN-Vollversammlung von 1970, der sogenannten Prinzipienerklärung, wieder außer Kraft gesetzt.
Denn beibehalten hätte dieses Recht bedeutet, daß Separationsbestrebungen hätte nachgegeben werden müssen. Es hätte verlangt, Tibetern und Tschetschenen, Korsen und Kurden die Selbständigkeit nicht zu verweigern.
Gerade der demokratische Staat kommt nicht ohne Bevormundung und Beglückung aus. Die Erweiterung seiner Zuständigkeit auf alles Vorkommende entzieht mehr Freiheit als jede andere Modalität dieser Agentur. Fremdbestimmung aber sowie die Dominanz eines anderen Volkes, das wird von vielen Angehörigen weniger bevorzugter Gruppen als drückend empfunden. Häufiger als in den alten Monarchien, die ihren Landesteilen oft weitgehend Eigenständigkeit zugestanden, kommt es in der modernen Demokratie zum Bürgerkrieg.
Es gibt kaum eine Demokratie der Neuzeit, die es nicht mit einem Volksteil zu tun hätte, in dem der Gedanke der Unabhängigkeit schmort. Und den Diktatoren gleich ist jede demokratische Regierung gehalten, ihre aufsässigen Minderheiten mit Gewalt wieder unter ihre Botmäßigkeit zu bringen.
Dabei ist für Demokratie die Widerwehr gegen Selbständigkeitsbestrebungen besonders fragwürdig. Ist doch dieser Beschaffenheit vorgeschrieben zu respektieren, was ihre Bürger wollen. Demgemäß müßte sie über Volksabstimmungen in den betroffenen Landesteilen klären, ob die dortige Mehrheit im Staatsverbund bleiben will oder nicht. Darüber indessen befragen die Regierungen, wenn überhaupt, nur die Gesamtheit ihrer Bürger. Hier bewahrheitet sich, was Benjamin Franklin vermutete: Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit abstimmen.
Ein Gebietsverlust ist keinem Staat zuzumuten. In einer Welt, in der selbst die unwirtlichste Gegend und der Meeresboden voller wertvoller Güter stecken, ist der Verzicht auf einen Flecken Erde, den er besitzt oder dessen er habhaft werden kann, für keinen Staat akzeptabel.
Auf die Bewohner kann Staat keine Rücksicht nehmen. Deren Wunsch und Wollen, allemal wenn es um Eigenständigkeit geht, rührt an seine fundamentalen Belange. Staat kann naturgemäß nicht anders, als den Vorteil der Mehrheit seines Volks zu suchen. Wer folglich auf dem jeweiligen Stück Land zuhause ist, diese lästige Beigabe, hat keinen Ärger zu machen. Der Besitz von viel Gebiet ist ein Trumpf, der jede andere Begehr sticht. In einer Zukunft, die den Staaten gehört, gilt dieses Politikgesetz ohne jeden Abstrich.
Ende August 2018 erklärten der serbische und der kosovarische Präsident sich bereit für eine „Grenzkorrektur“. Serbien würde seine kosovarisch bewohnten Gebiete an den Kosovo, dieser seine serbisch bewohnten Gebiete an Serbien abtreten. Diese Absicht fand im politischen Bereich keine Unterstützung, teilweise wurde sie als „extrem unverantwortlich“ qualifiziert. Schließlich