Das Blut des Sichellands. Christine Boy

Das Blut des Sichellands - Christine Boy


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der Wachriegen hielten Ausschau nach Nachwuchskämpfern. Anders als bei den Prüfungen der unteren Klassen wurden hier häufig schon vielverprechende Angebote an die Zöglinge gemacht, nach ihrer Ausbildung dem einen oder anderen Regiment beizutreten und in vielen Fällen entschied sich an diesem Tag die ganze Zukunft eines jungen Gebieters der Nacht. Kein Wunder also, dass die meisten Probanten dem Ereignis auch ein Stück weit nervös entgegensahen.

      Andere allerdings maßen dem bevorstehenden Tag weit weniger Bedeutung zu. Ihre Wege waren schon vorgezeichnet, ihr Name schon auf der einen oder anderen Notiz dick unterstrichen und ihre Siegesliste länger als die der Turmwachen.

      Natürlich gehörte Lennys dazu. Alle wussten um ihr Talent und sie musste sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen. Dasselbe galt für Rahor Req-Nuur und Garuel Mala-Rii. Allerdings war es eine seltene Gelegenheit, diese besonderen Schüler nun endlich einmal aus der Nähe und bei einer wahren Herausforderung zu bewundern.

      Und so waren die Ränge der aufgebauten Holztribünen auf dem großen Kasernengelände zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder bis auf den letzten Platz gefüllt. Niemand, der durch seine Verwandtschaft oder Bekanntschaft zu einem der Prüflinge oder einem hohen Vertreter der Nacht die Möglichkeit erhielt, diesem Schauspiel beizuwohnen, wollte darauf verzichten. Dies führte auch dazu, dass das Publikum so erlesen wie selten war.

      Natürlich hatte der Shaj der Nacht es sich nicht nehmen lassen, alle Silbergeschäfte für diesen einen Tag ruhen zu lassen, um den lange erwarteten Kampf seiner Tochter mitanzusehen, doch auch die neun Cas waren gekommen, sowie zahlreiche Säbelwächter der Heere, die Tempelvorsteherin Semon-Seys, Celdros Req-Nuur und Afnan, Lennys' Leibdiener aus Vas-Zarac.

      Saton hatte es sich unter einem schattenspendenden Baldachin bequem gemacht und nippte an gekühltem Wein, während er über die ausgelassene Stimmung schmunzelte.

      "Was ist nur los mit den Leuten?" fragte er Wandan und Cala, die zu seiner Rechten und Linken standen. "Sie benehmen sich wie bei einer Krönungszeremonie, dabei sollen hier nur ein paar junge Kämpfer ihr Können beweisen."

      "Tu doch nicht so..." knurrte Wandan. "Du weißt genau, warum sie alle hier sind."

      Saton lachte.

      "Und das ärgert dich immer noch? Oder hast du Angst, dass sich einer von beiden blamiert?"

      "Unsinn..."

      "Wem gilt deine Sympathie? Bohain oder Lennys? Wen möchtest du siegen sehen?"

      "Du bist ungerecht! Natürlich wünsche ich mir, dass sie gewinnt... einerseits. Aber Bohain und ich sind alte Freunde. Und er wurde noch nie von einem Schüler im Duell geschlagen - schon gar nicht von einem so jungen Mädchen! Nicht einmal Celdros ist das damals gelungen! Ich möchte nicht, dass Bohain auf seine alten Tage noch gedemütigt wird."

      Cala schüttelte sachte den Kopf.

      "Wer redet denn von Demütigung? Es ist keine Schande, von der Tochter des Shaj besiegt zu werden. Eher eine Ehre. Und wir wissen ja noch gar nicht, wie es ausgeht."

      "Das stimmt." nickte Saton bekräftigend. "Eigentlich würde es mich überraschen, wenn Lennys ihr Versprechen wahr macht. Und falls dies der Fall ist, hat Cala mehr Grund, sich zu beschweren als du. Du hast es ihm doch hoffentlich gesagt, Wandan?"

      Doch Cala nahm dem obersten Cas die Antwort strahlend ab.

      "Das hat er. Und ich scheue mich nicht, diese Herausforderung anzunehmen."

      "Freu dich nicht zu früh." konterte Wandan schnippisch. "Na endlich... da kommen sie. Meine Güte, wenn ich daran denke, als sie alle ihren ersten Tag hier hatten. Da waren es fast noch Kinder. Sie sind kaum wiederzuerkennen."

      "Wer ist das Mädchen da vorn?" fragte Saton irritiert. "Ist sie in Lennys' Klasse? Irgendwie kommt sie mir bekannt vor.... aber sie scheint viel zu jung für die Prüfung."

      "Racyl Req-Nuur - Rahors Schwester. Sie ist nur als Zuschauerin hier." Irgendetwas schien Wandan auch an diesem Umstand zu missfallen. "Fragt sich nur, für wen."

      "Wie meinst du das?"

      "Beobachte sie nachher einfach, wenn die Schüler herauskommen. Dann siehst du, was ich meine."

      Saton beschloss, sich nicht von Wandan die Laune verderben zu lassen und erwartete gespannt die Eröffnung der Prüfung.

      Tinogal, der Kasernenvorsteher und Bohain, der oberste Säbelmeister und Ausbilder dieser Klasse, traten als erste in die Mitte des runden Platzes. Dann verlas Tinogal feierlich die althergebrachten Willkommensworte und erklärte noch einmal, was genau das Publikum erwartete. Die meisten kannten das Regelwerk in- und auswendig, dennoch bejubelten sie jeden Augenblick der Zeremonie.

      Gekämpft wurde nach der Reihenfolge ihres Könnens, das in den vergangenen Jahren durch ein kompliziertes Notenverfahren dokumentiert worden war, beginnend beim schwächsten Schüler. Zunächst würden sich drei alte Säbelmeister als Gegner zur Verfügung stellen, die zuerst die Grundtechniken prüfen würden, bevor sie schlussendlich zu einem echten Gefecht aufforderten.

      Natürlich sollte dieses nicht tödlich enden, jedoch war bekannt, dass es bei derartigen Auseinandersetzungen durchaus schon zu schweren Verletzungen gekommen war.

      Die fünf besten Schüler des Jahres aber würden sich Bohain gegenüber sehen und gegen ihn ihr Können beweisen. Niemand erwartete einen Sieg, aber ein solch würdiger Gegner vermochte die Prüflinge durchaus zu Techniken herausfordern, die sie sonst nicht zeigen konnten.

      "Wer darf eigentlich gegen Bohain ran?" fragte Cala neugierig. "Außer Lennys natürlich.."

      "Rahor Req-Nuur." erwiderte Wandan. "Das war ja klar. Dann der junge Mala-Rii. Das ist auch keine Überraschung."

      "Und sonst?"

      "Ich glaube, der eine heißt Karuu. Frag mich nicht nach seinem Nachnamen. Und diese... Caja... oder so ähnlich."

      "Caja? Das klingt wie Cala..." lachte sein Freund.

      "Sonst hast du nichts mit ihr gemein. Sie ist ziemlich ehrgeizig, das stimmt schon. Und nicht die Schlechteste. Aber auch nicht herausragend."

      Dann wurden die Prüflinge aufgerufen. Jubel brandete auf und obwohl jeder Einzelne mit viel Applaus begrüßt wurde, so war es doch nicht verwunderlich, dass Lenyca Ac-Sarr den meisten Beifall bekam.

      Satons Blick schweifte über die Menge und blieb an Racyl Req-Nuur hängen.

      Natürlich hatte das blonde Mädchen besonders ihren Bruder beklatscht, doch ihre Augen klebten förmlich an Lennys.

      "Hast du das gemeint?" fragte er Wandan. "Dass sie meine Tochter anhimmelt?"

      "Mehr als das. Die beiden wurden schon ein paar Mal zusammen gesehen."

      Der Shaj atmete erleichtert auf. "Ich könnte mir einen schlechteren Umgang für Lennys vorstellen als eine Req-Nuur. Du wirst mir in einer ruhigen Minute ein bisschen mehr über sie erzählen müssen."

      Die Säbelschüler nahmen in der vordersten Reihe Platz und nur allmählich ebbten auch die Beifallsstürme ab. Vier Feuerschalen wurden in die Mitte des Areals getragen und entzündet. In ihrer Mitte sollten die Kämpfe stattfinden.

      Es stellte sich schnell heraus, dass Tinogal gut daran getan hatte, die schlechteren Schüler gegen einfache Säbelmeister antreten zu lassen, die Bohain in Sachen Können und Gewandtheit weit unterlegen waren. Schon an diesen Männern bissen sich die angehenden Kriegerinnen und Krieger beinahe die Zähne aus und nur Zweien gelang es, die harten Duelle für sich zu entscheiden, wenn auch nur eben so.

      Eine kurze Pause folgte, dann betrat Bohain den Kampfplatz.

      Die Menge blieb still, die Spannung war fast greifbar.

      Zuerst hob Caja den Säbel. Die geforderten Angriffs- und Verteidigungshaltungen beherrschte sie gut, wenn auch nicht ganz fehlerfrei. Bei einer schnellen Drehung, bei der zugleich der Säbel von einer in die andere Hand geworfen werden musste, entglitt ihr beinahe die Waffe.

      "Sie wird nicht die geringste Chance haben." prophezeite


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