Sichelland. Christine Boy

Sichelland - Christine Boy


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die seines eigenen Schlafgemaches erkannte. Neben seinem Bett standen die Leibdienerin Sara, der Schmied Akosh und ein Wachsoldat. Jetzt setzte sich Sara auf die Kante seines Bettes und betupfte seine Stirn mit einem feuchten Tuch.

      „In eurem Zimmer, Afnan. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, ihr seid bald wieder auf den Beinen.“ Dann drehte sie sich zu den beiden anderen Männern um. „Ich denke, es ist nur halb so schlimm. Vielen Dank für eure Hilfe. Das Wichtigste für ihn ist jetzt Ruhe.“

      Akosh und der Wachmann nickten und verließen den Raum. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, wandte sie sich wieder an den Kämmerer.

      „Ihr hattet großes Glück. Ihr habt euch den Kopf an einem Stein aufgeschlagen, vermutlich, als ihr gestolpert seid. Aber euer Sohn hat euch gefunden und mich gleich gerufen.“

      „Vielen Dank...“ erwiderte Afnan matt. „Ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Und die anderen beiden... haben sie mich hereingetragen?“

      „Ja. Sie kamen gerade zufällig vorbei. Aber eure Verletzung ist nicht allzu schlimm. In ein paar Tagen habt ihr sie vergessen.“ Sanft strich sie über den frischen Verband um Afnans Kopf.

      „Wo... wo ist Vilo?“

      „Er schläft nebenan. Er war furchtbar aufgeregt und hatte große Angst um euch. Aber inzwischen hat er sich beruhigt. Ich habe ihm gesagt, dass ihr nur ein wenig schlafen müsst und bald wieder ganz gesund seid.“

      Afnan versuchte, sich aufzusetzen, sank aber gleich darauf wieder erschöpft in die Kissen zurück. „Wenn ich nur wüsste, was genau passiert ist...“ stöhnte er.

      „Eine Weinranke war um euren Fuß geschlungen. Ihr seid wohl wirklich nur einfach gestolpert und dann direkt auf diesen Stein gestürzt. Aber neben euch lag eine zerbrochene Sijakflasche auf dem Boden. Sie hätte euch weit schlimmer verletzen können als dieser Stein.“

      Nur mit Mühe konnte Afnan Saras Worten folgen, aber dann nickte er.

      „Jetzt ist es schon das zweite Mal, dass ihr meiner Familie geholfen habt. Erst Vilo und jetzt mir. Ihr seid ein Segen für diese Burg, Sara.“

      „Aber ich bitte euch... Es ist Vilo, dem ihr es zu verdanken habt, dass ihr so schnell gefunden wurdet. Und ...“

      „Nein... nein, Sara. Wirklich. Ich weiß, ihr bekommt hier nicht von allen die Anerkennung, die ihr verdient. Wir Cycala sind eben sehr eigen, wenn es um Fremdländer angeht. Aber wir sind auch in der Lage, unseren Irrtum zu erkennen.“

      „Ihr solltet jetzt nicht so viel reden. Ihr braucht erst einmal viel Ruhe. Es steht mir nicht zu, euch Anweisungen zu erteilen, aber es wäre besser, wenn ihr in den nächsten drei Tagen im Bett bleibt.“

      Afnan lächelte schwach. „Ihr wisst doch, dass das nicht geht. Gerade jetzt, wo die Shaj unser Volk durch diese schweren Tage bringen muss.“

      „Ihr könnt ihr am besten helfen, wenn ihr alles tut, um wieder zu Kräften zu kommen. Und jetzt schlaft. Wenn es euch recht ist, möchte ich morgen gern noch einmal nach euch sehen und den Verband wechseln.“

      „Wie könnte ich euch jetzt auch nur einen Wunsch abschlagen, Sara? Ihr seid eine gute Heilerin, das haben wir alle schon lange erkannt. Aber wir sind eben stolz. Zu stolz. Bevor wir unsere Gesundheit in die Hände Fremder legen, erdulden wir lieber Schmerz. Das ist sehr dumm. Aber ich bin froh, dass wir langsam klüger werden.“

      „Euer Lob bedeutet mir sehr viel, Afnan. Und ich freue mich, wenn ich euch und allen anderen hier ein bisschen helfen kann.“ Sie erhob sich, füllte noch einen Becher mit Kräutertee und stellte ihn auf den kleinen Tisch neben dem Bett. „Das hier solltet ihr bis morgen früh austrinken. Es beschleunigt die Heilung der Wunde.“

      „Ich danke euch nochmals. Gestattet ihr mir noch eine Frage?“

      „Bitte.“

      „Wenn.. wenn es zu Kämpfen kommen sollte... werdet ihr dann auf unserer Seite stehen?“

      Es war das erste Mal, dass ein Sichelländer Sara diese Frage stellte.

      „Ja... das werde ich.“

      „Wisst ihr auch, was euch dann erwartet?“

      „Wie meint ihr das?“

      „Zrundir kämpft mit barbarischen Waffen, aber sie sind auch Meister der Folter. Und wenn es sich bewahrheitet, dass auch das Mittelland und Manatar in den Kampf eingreifen... so haben wir mit noch viel mehr zu rechnen.“

      „Ich weiß nicht, worauf ihr...“

      „Sara... eine Heilerin wie ihr es seid, kann großen Schaden von uns abwenden. Nein, sagt nichts. Ich weiß, Vilos Schnupfen und meine kleine Schramme sind keine große Herausforderung. Aber ich bin überzeugt, dass ihr eine große Gabe besitzt. Eine Gabe, die Leben retten kann. Ich bin kein Krieger. Ich bin ein Geliebter der Erde. Die Gebieter der Nacht sprechen nicht über Heilung und Behandlung. Sie kämpfen und entweder sie siegen oder sie sterben. Alles andere zählt für sie nicht. Aber ich weiß...dass... dass … das nicht alles ist. Wir brauchen eure Fähigkeiten, Sara.“

      „Ich werde jedem helfen, der meiner Hilfe bedarf. Aber ich habe keine große Erfahrung mit solchen Verletzungen und...“

      Afnan hob die Hand. „Ihr habt viel über uns gelernt, seit ihr hier seid. Das weiß ich. Einige von uns haben euch sicher Unrecht getan und vielleicht kann ich es auf meine Art wiedergutmachen. Also hört mir gut zu. In der Bibliothek gibt es ein Buch. Eines, das nicht für die Augen von Fremdländern bestimmt ist, wenn es nach unseren Gesetzen geht. Es heißt „Von Feindes Feuern“. Ihr... ihr solltet es lesen. Ihr werdet dadurch viel über den Großen Krieg erfahren und... und von dem Leid, das so viele Cycala erdulden mussten. Es wird euch vorbereiten auf das, was kommen kann... und kommen wird....“ Er hielt inne.

      „Ihr müsst jetzt wirklich schlafen, Afnan. Ich komme morgen wieder.“ Sie reichte ihm den Becher und ging zur Tür. Bevor sie ging, sagte sie:

      „Ich danke euch, für euren Rat. Sprecht nicht mehr darüber. Niemand kann euch etwas vorwerfen, was ihr nach einem solchen Sturz gesagt habt.“

      Afnan lächelte. Er hatte Sara richtig verstanden. Und sie ihn auch. Das wusste er.

      Es kam häufig vor, dass Lennys' Wutausbrüche bis in den Burggarten hinausschallten. Weitaus seltener jedoch, dass sie dabei ausschließlich die cycalanische Sprache verwendete. Vielleicht war dies der Grund, dass Sara entgegen ihrer Prinzipien doch etwas aufmerksamer hinhörte, als sie am nächsten Morgen einen kurzen Spaziergang zwischen den Wildrosenhecken machte. Rasend vor Zorn schien Lennys ihren anscheinend völlig verstummten Gegenüber mit Verfluchungen nur so zu überschütten.

      „Sic meya tyr issem!“ dröhnte es von oben. „Venryda cardo y te pas! Chez tyra!“ Glas klirrte. Dann ein weiterer, eher blecherner Schlag, als hätte sie einen metallenen Gegenstand auf den Tisch geschlagen.

      „Yano tesdir zallama sic samarey! Ven, Rahor, ven mago tan? Patrac!“

      Rahor? Sara zuckte zusammen als der Name fiel. Und da ertönte auch schon Rahors Stimme, allerdings viel leiser und zögernder.

      „Es kommt nicht wieder vor. Ich war wirklich der Meinung, mein Schreiber hätte....“

      „Es ist mir egal, was dein Schreiber hätte tun sollen!“ brüllte Lennys lautstark und wieder für jeden verständlich zurück. „Bei der nächsten Verfehlung, wie gering sie auch sein mag, kostet es deinen Kopf! Verschwinde! Los, hau ab! Ich will dich heute nicht mehr sehen!“

      Hastig lief Sara zu ihrem Zimmer zurück. Sie war erleichtert, dass Rahor wohlbehalten zurück war, aber zugleich fühlte sie auch Angst in sich aufsteigen. Hatte Lennys etwa schon von dem Betrug erfahren? Auf halbem Weg hielt sie inne. Wenn Lennys Rahor dabei erwischte, wie er die Novizin in ihrem Privatgemach besuchte, würde sie ihre Drohung womöglich wahr machen. Trotzdem hatte Sara keinen Zweifel daran, dass der Cas sich bald mit ihr treffen würde. Und hier draußen auf ihn zu warten, war noch gefährlicher. Jeder, der zufällig vorbeikam,


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