Heil mich, wenn du kannst. Melanie Weber-Tilse

Heil mich, wenn du kannst - Melanie Weber-Tilse


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räuspernd zu sich heran und drückte ihm das Tablet in die Hand. »Lesen Sie bitte, Mr. Baker. Ihre Fragen können Sie gern später stellen!«, sagte sie und warf ihm einen scharfen Blick zu.

      »Sie sind gut informiert. Richtig, ich war mit Annabell dort, allerdings hieß sie zu jener Zeit noch Thompson. Und ich wusste schon, dass es die große Liebe zwischen ihr und Jonathan ist, noch bevor die beiden selbst es wussten!«, erklärte Phil, während sich Ryan mit dem Tablet wieder setzte und schweigend las.

      »Erzählen Sie mir ein bisschen von Ihrem Aufenthalt im Zentrum«, bat sie lächelnd, entfernte die Bettdecke und legte die mageren Beine ihres Patienten frei. Dieser begann bereitwillig, von seiner Zeit mit den Delfinen zu berichten. Laura kannte den Leidensweg, der hinter ihm lag, aber dennoch hörte sie aufmerksam zu, während sie routiniert alles erledigte, was zu ihren täglichen Aufgaben gehörte.

      »Und am Ende war es Jonathan, der dafür sorgte, dass ich den Platz hier erhalten habe und mich zukünftig von Ihnen quälen lassen darf«, endete Phil, kurz nach dem Laura die Bettdecke wieder hochgezogen hatte.

      »Mr. Briggs hat gut daran getan, Sie hier unterzubringen, Philip. Gleich wird einer meiner Kollegen erscheinen und Sie zur Muskeltherapie abholen«, sie drehte sich zu Ryan und bedeutete ihm, aufzustehen. »Und während Sie eine tolle Massage genießen, sollte ich mit Jessica telefonieren!«, zwinkerte sie dann in Richtung ihres Patienten. »Vielleicht hat sie ja noch ein paar Tipps für mich!«

      Ein breites Grinsen legte sich auf Philips Gesicht. »Tun Sie sich keinen Zwang an. Ich gewinne den Eindruck, dass Jessica noch von Ihnen lernen kann.«

      »Wir werden sehen«, lachte sie, nahm das Tablet von Ryan entgegen, sperrte es und schob es dann zurück in die dafür vorgesehene Halterung. »Bis später, Phil!«

      Verfolgt vom leisen Lachen des Patienten verließen die beiden das Zimmer. Kaum, dass sich die Tür geschlossen hatte, veränderte sich Lauras Miene und sie fuhr mit blitzenden Augen zu Ryan herum. »Sie werden nie wieder ... hören Sie, nie wieder in Gegenwart eines Patienten solch ein Benehmen an den Tag legen, Ryan!«, fauchte sie.

      Überrascht zog ihr Gegenüber die Augenbrauen hoch. »Aber einem bettlägerigen Patienten sagen, dass er seinen Arsch selbst hochkriegen muss, ist in Ordnung?«

      »Sie haben die Akte, die ich Ihnen auf dem Tablet freigeschaltet habe, doch gelesen. Oder?«

      Er nickte. »Ja. Aber ...«

      »Nichts aber. Philip Drexler hat multiple Sklerose im fortgeschrittenen Stadium. Um genau zu sein, liegt seine EDSS bei acht von zehn möglichen Punkten.« Sie stemmte die Arme in die Hüften und musste den Kopf anheben, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Bei zehn Punkten wird Philip sterben, Ryan und dass weiß er. Aber ich werde den Teufel tun und ihm das schenken, was die meisten erwarten würden, dass er es braucht.«

      »Und das wäre?«

      »Mitleid.«

      »Und deshalb springen Sie so mit ihm um?« Ryans Blick drückte noch immer Unverständnis aus.

      »Ganz genau. Weder Mitleid noch Bedauern werden etwas daran ändern, dass er an dieser Krankheit elendig verrecken wird. Und warum sollte man nicht wenigstens versuchen, ihm den letzten Rest Würde zu lassen, den er besitzt und ihn wie einen Menschen behandeln?«

      Ryan

      Wutschnaubend drehte sich Laura von ihm weg und rauschte den Gang entlang. »Folgen Sie mir, Mr. Baker, wir werden nicht fürs Schwätzen bezahlt.«

      Irritiert schaute Ryan ihr kurz hinterher, bevor er sich ebenfalls in Bewegung setzte. Die Kleine hatte Power und Biss. Eigentlich zwei Dinge, die er bei Frauen schätzte, aber heilige Scheiße, die war ja, bis auf ihre Arbeit, sowas von stocksteif, dass er genauso gut einen Eisklotz hätte anflirten können. Wirklich schade, denn ihr Hinterteil war nicht von schlechten Eltern. Aber das Zentrum hatte zum Glück nicht nur diese kleine Giftspritze zu bieten. Das Schwesternzimmer war voll von jungen Früchten gewesen, die nur darauf warteten, alle gepflückt zu werden.

      Damit Laura, Ms. Higgins, verbesserte er sich schnell selbst, aber nicht wieder direkt etwas zu motzen hatte, würde er bis dahin gesittet ihren kleinen Hiwi spielen. Willig war er, nur nicht so, wie sie es gerne wollte. Und bisher musste er noch nicht wirklich helfen. Wenn so die nächsten Tage abliefen, war das ein echt easy Job.

      Sie gingen von Zimmer zu Zimmer und er lernte die sechs zu betreuenden Patienten kennen. Wobei dieser Philipp zu Anfang der Runde es wirklich am schlechtesten getroffen hatte. Das Frühstück für alle war schon vor ihrem Rundgang verteilt worden und Laura wies ihn an, die Tabletts mit dem dreckigen Geschirr abzuräumen. Easy.

      »In der Frühschicht, sollte nichts anliegen, haben wir jetzt um 10 Uhr unsere Pause«, klärte ihn Laura auf und er konnte das freudige Grinsen kaum unterdrücken. »Eine halbe Stunde steht uns zu, keine Minute länger. Verstanden Mr. Baker?«

      »Logisch, Ms. Higgins, die Uhr kann ich lesen.«

      Mit zusammengekniffenen Augen blitzte sie ihn wütend an, sagte aber nichts zu seiner kleinen Provokation.

      »Sie finden zum Aufenthaltsraum zurück?«

      »Kein Problem. Ich hab auch einen guten Orientierungssinn.«

      Er zwinkerte, was an ihr abprallte wie ein Squashball an der Wand. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Würde er sich eben anderen Bällen zuwenden.

      »Ladys«, lächelnd betrat er den Raum und ein Kicherkonzert vom Feinsten empfing ihn von den Schülerinnen, während zwei ältere Frauen ihn genauso wütend, wie es Laura vorhin getan hatte, anschauten. »Oh, zwei neue Schönheiten«, ließ er seinen Charme spielen, denn eine Pflegekraft, die ihn nicht ausstehen konnte und alles bierernst nahm, reichte ihm. Und tatsächlich, eine leichte Röte zierte sofort deren Gesichter und Ryan ließ sich zufrieden auf den freien Stuhl fallen.

      »Ach Mist, ich hab doch tatsächlich mein Frühstück vergessen.« Er hatte kaum die Worte ausgesprochen, da wurde ihm von allen Seiten etwas zu geschoben und eine dampfende Tasse Kaffee stand vor ihm.

      Absolut easy.

      Eine Stunde später musste er sich eingestehen, dass es doch nicht so easy war, wie er die ganze Zeit dachte. Warum war er auch fürs Waschen zuständig? Reichte doch, wenn er beim Heben half, etwas wegräumte. Aber jetzt auch noch das?

      Grinsend drückte ihm Laura den Waschschaum und einen Lappen in die Hand. »Phil ist uns sicher behilflich, damit wir das Schutztuch unter seinen Allerwertesten bekommen. Nicht wahr?«

      Phil schien genauso begeistert wie Ryan zu sein. Denn Laura hielt ihm den Haltegriff entgegen, an dem er sich ein Stück hochziehen konnte. Dabei sah doch jeder Blinder, dass seine Kraft dafür überhaupt nicht ausreichte. Aber Ryan hielt die Klappe und sah dem finster dreinblickenden Patienten zu.

      »Gott Laura. Ich bin mir sicher, dass Jessie bei Ihnen in die Lehre gegangen ist. Wollen Sie mich etwa umbringen?«

      Ihr glockenklares Lachen hallte durchs Zimmer. Mit den Patienten ging sie freundlich, ja teilweise schon liebevoll um. »So schnell stirbt es sich nicht. Und nun hopp.«

      »Sport ist Mord, das hab ich schon immer gesagt«, murmelte er, als er nach oben griff und sich festhielt. Erst jetzt erkannte Ryan, was Laura vorhatte. Natürlich wusste sie, dass Phil sich nicht hochziehen konnte, aber allein, dass er es versuchen würde … gut, das war tatsächlich schlau von ihr gewesen. Beherzt griff sie zu, hob ihn ein Stück an. »Mr. Baker, das Tuch.«

      Blitzschnell legte er die Sachen aus der Hand und platzierte den Schutz unter Phils Hintern.

      »Dann wollen wir Sie mal saubermachen, Phil.« Sie ging ans Bettende und zog das Tablet hervor. »Wie ich sehe, waren Sie auch schon auf dem Schieber.«

      »Japp. Früher war es allerdings wirklich angenehmer. Seine Sitzung abhalten und dabei Zeitung lesen zu können weiß man erst zu schätzen, wenn’s nicht mehr geht.«

      Lauras


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