Genesis IV. Alfred Broi
Malawi und deutete den Tunnel entlang. Dabei schaute sie Kendig an, als wolle sie von ihm sein Einverständnis. Er nickte auch sofort, denn seine Freundin hatte Recht.
Also zog die Gruppe lautlos weiter voran bis sie gut einhundert Meter zurückgelegt hatte. Dann blieben alle nochmals stehen und lauschten, doch zu ihrer großen Erleichterung war über ihnen alles still.
Jetzt reagierte Kendig auch wieder auf Rimbo. „Sei still, Alter. Du nervst!“
„Halt bloß das Maul!“ raunte sein Freund zurück. „Das war verdammt knapp, Mann. Auf dem Schirm sah es so aus, als würdet ihr übereinander hocken!“
Kendig musste unweigerlich grinsen. „Haben wir auch!“
„Was? Hör auf, mich zu verarschen!“
„Tu ich gar nicht!“
„Und wie bitte schön soll das gehen?“
„Erzähl ich dir ein anderes Mal. Wir haben hier nicht so viel Zeit wie du und können uns von einer hübschen Frau den Bart kraulen lassen, den du ohnehin nicht hast!“
„Ha!“ erwiderte Rimbo wieder beruhigt und zahm. „Wenn du wüsstest! Die Eier, Mann, die Eier!“
Jetzt lachte Kendig leise auf. „Träum weiter, Alter!“ Er wandte sich an Matu. „Wie lange müssen wir hier noch rumrennen?“
Der Priester grinste. „Wir sind schon da!“ Er steuerte auf eine weitere Treppe zu, die sie schnell erklommen. Die Tür am Ende führte sie wieder an die Oberfläche zurück.
Nur wenige Meter vor ihnen ragte eine gewaltige Mauer auf, die aus riesigen Steinquadern errichtet worden war, an vielen Stellen aber deutliche Spuren des Krieges aufwies.
„Das ist die Burganlage, in der die Universität untergebracht war!“ erklärte Matu und rannte zu einer Stahltür am Fuß der Mauer. Sie war nicht verschlossen und die ganze Gruppe schlüpfte schnell hinein.
Im Inneren fanden sie sich in einem Treppenhaus wieder. Der Pater rannte ohne zu zögern vier Stockwerke hinauf, bevor er durch eine weitere Tür in einen langen, schmalen Gang huschte. Hier gab es etliche kleine Lampen, die für gutes Licht sorgten. Kendig konnte unzählige Türen erkennen, die von dem Gang abgingen.
Matu eilte zielsicher weiter. Nach zwanzig Metern kamen sie zu zwei großen, gläsernen Flügeltüren über denen in goldenen Lettern Zur Bibliothek zu lesen stand.
Matu durchquerte sie und sie gelangten in ein weiteres, jedoch sehr viel größeres Treppenhaus. Der Pater rannte drei Stockwerke hinab, dann sauste er in einen breiten Gang und schon nach wenigen Metern befanden sie vor zwei dunklen, mächtigen Flügeltüren aus massivem Holz. Auch hier stand in goldenen Lettern Bibliothek zu lesen.
Während Kendig sich umschaute, erkannte er, dass die Türen doch nicht vollkommen massiv waren, sondern einige Scheiben aus braun getöntem Glas besaßen. Durch die spähte Matu gerade in den dunklen Raum dahinter.
Da er scheinbar nicht Verdächtiges erkennen konnte, legte er die Hände auf die Türöffner und drückte sie. Mit angespanntem Gesichtsausdruck zog er die Flügel auf, die beinahe lautlos zur Seite glitten.
Die Gruppe huschte hindurch und Kendig schloss die Türen wieder.
Im Inneren fanden sie sich in einem riesigen Saal wieder, in dessen vorderem Bereich einige lange Tischreihen standen, die zum Lesen und studieren vorbehalten waren. Links und rechts an den Wänden fanden sich abgesonderte Lesenischen, um ungestörter lernen zu können. Im hinteren Bereich türmten sich Dutzende deckenhohe Regale mit Büchern auf. Zumindest wäre dies der Anblick gewesen, der sich ihnen vor dem Krieg geboten hätte. Jetzt aber wirkte der Raum eher wie ein Trümmerfeld, in dem Nichts mehr dort stand, wo es sollte; neben der zerstörerischen Verwüstung, die einem Wirbelsturm zur Ehre gereicht hätte, waren überall dunkle Blutflecken zu erkennen. Kendig glaubte noch immer den Geruch von Verwesung zu registrieren, was wohl aber Unsinn war, da alles Leben hier schon vor Jahren ausgelöscht worden war.
Während Esha erschrocken aufstöhnte, verdunkelte sich Kendigs und Malawis Antlitz. Shamos aber stand große Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Wie sollte es bei dieser Verwüstung noch Hoffnung geben, dass zu finden, was sie suchten?
Doch Matu reagierte gar nicht auf sie alle. Mit schnellen Schritten durchmaß er die Halle und wandte sich am Ende nach links.
Dort gab es eine weitere Tür, durch die er sie führte. Es folgten drei kurze, schmale Gänge mit fast kreisrundem Querschnitt, die wie Röhren wirkten. Sie waren vollkommen aus Glas gefertigt und boten einen beeindruckenden Blick in Höhlen unterschiedlicher Größe, die die Gänge mehrere Meter über dem Boden durchquerten. Esha erinnerten sie an die Verbindungsröhren zwischen den Hochhäusern in der Innenstadt von Ara Bandiks. Offensichtlich hatten sie die Burganlagen verlassen und waren dabei, in den Berg dahinter einzudringen. Zwischen den Röhren gab es weitere Treppenhäuser, die in den Stein gearbeitet worden waren. Dort war es stockfinster. Am Ende waren sie sicherlich sieben Stockwerke in die Tiefe gestiegen, bevor sie einen letzten gläsernen Tunnel, der eine sanfte Rechtsbiegung vollführte, durch eine besonders große und farbenprächtige Höhle durchquerten.
Dann öffnete sich der Tunnel und vor ihnen erschienen zwei weitere tiefschwarze Flügeltüren.
Sie waren reich verziert, doch Kendig kannte keines der Zeichen auf ihnen, wohl aber einige merkwürdige, mutierte, monströse, gespenstisch und vor allem überraschend lebendig wirkende Tierreliefs, bei deren Anblick er eine kurze Gänsehaut bekam.
Matu blieb stehen, schaute einmal stumm in die Runde, dann öffnete er die Türen.
Vor ihnen tat sich ein ziemlich großer Raum auf, den Kendig in diesen Ausmaßen hier nicht erwartet hatte. Er war sicherlich dreißig Meter lang und zwanzig breit. Er war vollgestopft mit alten, massiven und mächtigen Tischen, Schreibtischen und Regalen, auf und in denen etliche Bücher zu finden waren. Spuren von Zerstörung waren nicht zu sehen, alles wirkte einfach nur wie vor langer Zeit verlassen.
Das Licht, um all das zu erkennen, fiel von der gut zehn Meter hohen Kuppeldecke in den Raum hinein, die, wie Kendig überrascht feststellte, aus einer modernen Stahlkonstruktion mit Glasdach bestand, dadurch genügend Licht von den funkelnden Kristallen an den Wänden der sie umgebenden Höhle bekam und gleichzeitig einen atemberaubenden Blick auf die sicherlich gut einhundert Meter hohe Höhlendecke erlaubte.
Matu atmete einmal tief durch. „Der Raum für die Schriften aus den Anfängen unserer Zeit!“ Er schaute zu Shamos, der neben ihm stand. „Wenn es noch einen Ort gibt, an dem wir finden können, was wir suchen, dann ist das hier!“
VIII
„Okay Leute!“ rief Mavis in sein Mikrofon. Seine Stimme klang kraftvoll, aber auch irgendwie enttäuscht. „Das muss jetzt wirklich reichen! Wir sind hier, um die Dinger zu testen, nicht um uns mit ihnen einen runter zu holen!“
Als Antwort erhielt er mehr oder weniger verständliches Murren und Stöhnen. Da er selbst nicht viel anders empfand, verzichtete er auf einen weiteren Kommentar.
Klar war, dass er sich nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal diesen Spaß empfunden hatte, den ihm sein Boritas in der letzten Stunde bereitet hatte. Die Maschine, an deren Entwicklung er selbst beteiligt gewesen war, sprengte in der Tat alle Hoffnungen, die sie in sie gesetzt hatten. Sie war schnell, dabei irrsinnig wendig und überaus robust. Das Triebwerk, der Kugelantrieb, die seitlichen Fahrwerke, all das funktionierte reibungslos und auch im absoluten Grenzbereich von Fliehkraft und größter Belastung exakt und ohne Störungen. Dabei leistete der Kreiselkompass perfekte Arbeit und ermöglichte den Piloten so, nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung, die kontrollierte Handhabung der Maschine.
Mit den Boritas wollte man eine Waffe entwickeln, die den Insektenbestien auf Augenhöhe entgegentreten konnte. Die schnell genug war, um mit ihrem irren Tempo mithalten zu können und dabei gleichzeitig wendig genug war, um nicht in den Fängen der meist in Rudeln auftretenden Monstern gefangen zu werden. All das hatten die sechs Männer in der letzten Stunde