Die Leben des Michael Kassel. Hannes van de Lay

Die Leben des Michael Kassel - Hannes van de Lay


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ich ein schiefes, verlegenes Lächeln auf. Die Situation war mir unangenehm. »Wie bitte, ich habe Sie nicht verstanden«, entgegnete ich.

      »Heißes Fett! Sie haben sich doch bestimmt gefragt, woher die Narben sind?« Er grinste immer noch.

      Irritiert durch seine Direktheit und durch sein Grinsen, das mir irgendwie unangenehm war, setzte ich mich erst einmal auf mein Bett, bevor ich ihm antwortete. »Um ehrlich zu sein, an so etwas Ähnliches habe ich gedacht.« Ich räusperte mich verlegen.

      »Das macht nichts«, erwiderte er lachend und seine Augen musterten mich aufmerksam. »Soll ich Ihnen die Geschichte erzählen?«

      Ich weiß nicht, was mich auf diesen Gedanken brachte: Vielleicht war es sein Verhalten, vielleicht auch seine Stimmlage, die mich glauben machen sollte, die Geschich- te wäre amüsant.

      »Tun Sie sich keinen Zwang an«, brachte ich heraus und fragte mich insgeheim, was dieser Kerl überhaupt in meinem Zimmer zu suchen hatte.

      »Vor ein paar Wochen«, begann er und untermalte seine Worte mit einer großartigen Geste, »da hatten ein paar Kumpels und ich eine Grillparty organisiert. War echt `ne tolle Party, bis halt zu dem Missgeschick.«

      ›Vorurteile sind die Hemmschwelle zur Toleranz‹, hatte ich irgendwo einmal gelesen. Aber ich konnte nicht anders, dieser Kerl war mir einfach unsympathisch und es wurde nicht besser dadurch, dass er so großspurig sein ›Missgeschick‹ schilderte.

      »Nun, Sie wissen ja sicher, wie das auf solchen Partys abläuft. Man wirft den Grill an, legt Fleisch und Würstchen auf und wartet, bis sie gar werden. Natürlich muss man sich die Wartezeit vertreiben und dazu gehört auch ein schön gekühltes Bier. Was soll ich lang drum herum reden. Die Wartezeit war lang und so hatte ich ganz schön einen intus, als ich die Friteuse umwarf. Unglücklicherweise fiel ich mit ihr zu Boden und das heiße Fett und die Pommes platschten auf mich drauf.«

      Was war mit diesem Kerl bloß los? Zweifellos hatte er einen schrecklichen Unfall hinter sich, aber wie er diesen Unfall schilderte, das klang so, als sei er auch noch stolz darauf. Na ja, vielleicht war es seine Art, damit fertig zu werden!

      »Und soll ich Ihnen noch etwas sagen?« Er stemmte sich langsam im Bett hoch, setzte sich auf die Bettkante und kniff seine Augen zusammen. »Nicht dass sich das Fett in mein Fleisch einbrannte, war das Schlimmste.« Er machte eine Pause und sah mich durchdringend an. »Wissen Sie was?«

      Ich zuckte mit den Schultern, da ich keine Lust hatte auf seine Frage zu antworten.

      »Das Schlimmste war der Gestank des verbrannten Fleisches.« Er lachte laut auf und warf seinen Kopf dabei in den Nacken. Dann starrte er mich wieder an. »Können Sie das verstehen?«

      Ich nickte ihm leicht zu.

      Plötzlich stand er auf und reichte mir die Hand. »Wie unhöflich von mir, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Gerhard Schneider.«

      Verwirrt schüttelte ich ihm die Hand. Dieser Mann hatte sein Verhalten von einem zum anderen Augenblick vollkommen geändert. Das Grinsen in seinem Gesicht war verschwunden. Es war einem freundlichen Lächeln gewichen.

      »Es tut mir Leid, aber ich kenne meinen Namen nicht. Ich habe Amnesie.«

      Er sah mich verständnisvoll an und erhöhte für einen kurzen Augenblick den Händedruck, bevor er meine Hand losließ.

      »Macht nichts, was sind schon Namen«, sagte er und lockerte damit die gespannte Atmosphäre ein wenig.

      »Erlauben Sie mir die Frage«, begann ich zögernd, »aber was machen Sie hier? Warum sind Sie hier in diesem Zimmer?«

      »Nun, die Hoteldirektion hat mich vom vierten Stock hierher verlegt.« Mit gesenkter Stimme ergänzte er: »Ich habe mir sagen lassen, das Essen soll hier besser sein.«

      Ich taute ein wenig auf und begann ebenfalls zu lächeln. Was für ein komischer Kauz, dachte ich bei mir. Vielleicht war das seine Art. Er sah eben in allem das Positive, und wenn er nun mal Lust hatte, alles eine Nummer größer weiterzugeben, dann sollte er das auch tun dürfen. Ich befand insgeheim, ich könnte ruhig ein wenig toleranter sein.

      Dann ging die Tür auf und das Essen wurde serviert. »Aha, der erste Gang«, frohlockte mein Bettnachbar und ich schüttelte flüchtig lächelnd den Kopf.

      Später am Abend, die Sonne hatte sich schon hinter dem Horizont verkrochen und der Mond strahlte sein kaltes Licht zum Fenster herein, gingen meine Gedanken erneut auf Wanderschaft. Sie suchten wieder einmal nach meinem Ich, das irgendwo dort draußen seine Spuren hinterlassen haben musste, die nur darauf warteten, von mir gefunden zu werden. Irgendwo gab es vielleicht - nein, bestimmt sogar - einige Menschen, die mich vermissten. Dieser Gedanke bedrückte mich und beschwor ein Gefühl der Hilflosigkeit in mir herauf. Gewiss war die Antwort irgendwo in meinem Kopf verborgen, doch im Moment half alles Forschen nichts. Hingegen wurden im Schlaf immer wieder bruchstückhaft Bilder in mir hochgespült, die ich nicht deuten konnte. Besonders eines war mir noch gegenwärtig.

       Die Trommeln klangen beunruhigend und ich spürte ein Beben durch meinen Körper ziehen. Das Wiehern von Pferden und das Schlagen von Hufen mischte sich dem Trommeln bei. Jemand zerrte an mir. Schleifte mich irgendwohin. Panik überkam mich. Was würde geschehen? Was nur würde geschehen ...

      Die Bilder verschwammen immer wieder und jeglicher Versuch, sie weiter zu verfolgen, schlug fehl. Welche Wurzeln hatte dieser Angstraum?

      Oder war es eine Erinnerung? Was würde noch nach und nach erwachen? Würde ich das Leben vor meinem Unfall je wieder fortführen können oder es überhaupt wollen?

      Ein leises Stöhnen riss mich aus meinen Gedanken. Mein Bettnachbar wälzte sich unruhig im Schlaf hin und her. Das fahle Mondlicht verlieh seinem Gesicht fast unheimliche Züge. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

      Er tat mir Leid, wie er so dalag. Er musste auf seine Weise mit seinem Schicksal fertig werden. So wie ich und wie auch der Junge mit der Baseballmütze. Doch da hatte er sich schon wieder beruhigt. Sein Atem ging langsam und regelmäßig. Meiner auch.

      Ich fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      »Hey! Aufwachen, Langschläfer. Die Sonne ist auch schon munter!«

      Unwillig öffnete ich die Augen und blickte in das grinsende Gesicht meines Zimmergenossen. Murrend richtete ich mich auf und sah hinaus. Ich kniff die Augen zusammen, da das grelle Licht schmerzte.

      »Und, haben Sie gut geschlafen?« Ich drehte mich langsam zu diesem grinsenden Gesicht hin und wollte ihm eigentlich sagen, dass ich gerne weitergeschlafen hätte und mir seine gute Laune ziemlich auf die Nerven ging, wenn nicht in diesem Augenblick die Schwester zur Tür hereingekommen wäre. Sie wünschte uns beiden einen guten Morgen und wandte sich dann der Nervensäge zu, so dass ich fürs Erste wieder meine Ruhe hatte.

      Eine Stunde später war ich auf dem Weg zu dem Jungen. Ich hatte mir die Zimmernummer von der Schwester geben lassen.

      Mir war ein wenig mulmig zu Mute. Wie würde er reagieren, wenn er mich sah? Egal, sagte ich mir. Lass es einfach auf dich zukommen und mach dich nicht verrückt. Aber das war leichter gesagt als getan und so spürte ich eine gewisse Nervosität, als ich leise an die Zimmertür klopfte.

      Es war kein Laut zu vernehmen. Sachte drückte ich die Klinke hinunter und schob den Kopf ins Zimmer. Es war ein kleiner Raum, in dem sich nur ein Bett befand. Vor diesem stand ein kleiner Tisch und zwei Stühle. Auf einem von ihnen saß der Junge, vor sich ein Schachspiel und ein Buch.

      Ich trat ein, doch er schien mich nicht zu bemerken. Er war völlig in sein Spiel vertieft.

      Ich schloss leise die Tür hinter mir.

      »Axel?« Erschrocken sah der Junge zu mir auf. Sein Blick verriet mir, dass er mich wiedererkannte. Plötzlich wechselte sein Gesichtsausdruck von Erkennen zu Hoffnung.

      »Spielen Sie Schach?« Seine Augen leuchteten.

      Zweifellos überraschte mich seine Frage. Ich atmete


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