Stein. Sabine Korsukéwitz

Stein - Sabine Korsukéwitz


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flüchtige Wesen aus dem Jenseits...

      Salz und Silicium – zwei Minerale, die die Welt veränderten. Das dritte war das Eisenerz. Zwar hatten die Ägypter die verwandelnde Kraft des Feuers schon entdeckt und die Metallschmelze erfunden. Jedoch besaßen sie kein Eisen. Die Waffen ihrer Soldaten waren aus Bronze, einem Kupfer-Zinn-Gemisch. Das Ausschmelzen von Eisen wurde im Kaukasus entdeckt, wo das Erz reichlich vorhanden war. Als der Pharao, der damals mächtigste Mann der Welt, davon hörte, schickte er seine Handwerker aus, um die neue Kunst zu lernen. Aber die Schmiede des Kaukasus hüteten ihr Geheimnis. Der Pharao bettelte um Eisen und bekam keines. Er musste sich mit winzigen Mengen Magnetit zufriedengeben, der beim Goldwaschen im nubischen Sand anfiel. Folglich reichte in Ägypten das Eisen nur zu Herrschaftssymbolen, wie dem eisernen Helm, den Ramses II trug, und zu Zauberamuletten.

      Auch in der Bibel wird Eisen erwähnt: Den besiegten Juden war es verboten Waffen zu besitzen. Ihre Schmieden waren zerstört. Wenn sie also Werkzeug brauchten, Sicheln, Sensen und Messer, so waren sie gezwungen, sie für teures Geld bei den verachteten Philistern zu kaufen. Die wiederum waren versprengte Indogermanen, die die Schmiedekunst auf ihren Raubzügen im heutigen Anatolien gelernt hatten.

      Eisen und Stahl machten Kleinasien zum neuen Zentrum der Macht. Reiche fielen und wurden geboren aufgrund der neuen Waffen, die der Bronze überlegen waren. Hethiter eroberten das Mitannireich und wurden ihrerseits besiegt. Die Griechen stiegen zu neuen Herren auf und ihre weitgerühmte Demokratie verdankt man möglicherweise dem Umstand, dass ihre Adligen Bronzewaffen und -rüstungen trugen. Kupfer und Zinn waren nämlich seltener und teurer als Eisenerz. Folglich wurde das Heer des Fußvolks mit billigeren Eisenwaffen ausgestattet – und besaß nun bessere Waffen als ihre Herren.

      Als die Römer begannen, ihr Weltreich auszubauen, förderten sie überall, wohin sie kamen, die Metallgewinnung. Schmiede wurden am Arm gebrandmarkt als wertvoller persönlicher Besitz. Sie wussten genau, welchem Umstand sie ihre Siege verdankten. So wertvoll wurde Eisenerz, dass es in zahlreichen Dichtungen verherrlicht wurde. Stahl aus Noricum, dem heutigen Kärnten, wurde von Tacitus gelobt, von Horaz und Ovid besungen.

      Gegenstände, die so wichtig sind für die Gemeinschaft fördern die Entstehung von Mythen: Im heutigen Westfalen sind noch niedrige Stollen erhalten, so klein, dass sie wohl nur von zwergenhaften Menschen benutzt werden konnten (oder auf dem Bauch kriechend). Daher hat sich im deutschen Sprachraum die beliebte Sage von den bergbauenden Zwergen entwickelt.

      Aber auch die Römer trafen auf Grenzen. 500 v. Chr. waren die Kelten allen anderen Völkern überlegen. Sie fanden direkt unter ihren Füßen einen Stoff, mit dem sich Stahl direkt, ohne lange Verfahren herstellen ließ: Manganeisenerz. Und da sie nun bessere Waffen hatten, als die römischen Legionäre, beherrschten sie eine Zeit lang fast ganz Europa.

      Warum aber machten die meisten Völker nach der Entdeckung der Steinbearbeitung einen gewaltigen Satz vorwärts, manche aber nicht? Noch heute gibt es einige wenige Menschengruppen, die leben wie in der Steinzeit und sogar vor den UN um ihr Recht auf diese Lebensweise kämpfen: Amazonas-Indianer, Buschmänner – die San, die Inuit und einige der australischen Aborigines.

      Bis noch vor wenigen Jahrzehnten stellte man das gern als Faulheit, mangelnde Intelligenz und Initiative dar. Betrachtet man inzwischen die Nachteile, die wir uns durch den unerbittlichen Fortschritt eingehandelt haben, dann sieht die Sache etwas anders aus. Aber warum nur verspürten sie so gar keinen Drang nach technischer Weiterentwicklung, nach dem Mehr, dem Bequemer, dem Geplanten und Berechenbaren? Aufhören, wenn man genug hat? Wer tut das schon? Was ist genug?

      Die Aborigines, seit ca. 30 000 Jahren auf dem australischen Kontinent heimisch, gehören zu den egalitären Kulturen. Sie haben nie feste Machtstrukturen entwickelt und sahen dafür auch keine Notwendigkeit. Das beweist schon ihre Vorstellung von der Erschaffung der Welt. Kein übermächtiger Schöpfergott hat hier in einem Kraftakt alles einfach hingestellt. Am Anfang war Schlamm und Dunkelheit. Dann stiegen die Ahnen vom Himmel, wohlmeinende Tiere, denen sich die naturverbundenen Aborigines besonders nahe fühlten, und sie erschufen die Welt, die Berge, Gewässer und Pflanzen einfach durch ihr Sein und Wandeln. Hier legte sich eines von ihnen zur Ruhe und wurde zum Berg. Dort verspürte eines Durst und sang eine Quelle oder einen Tümpel herbei. So entstanden Meer, Flüsse, Berge und alles was wir heute sehen. Die Schöpfung der Ahnen muss respektiert und durch das Wandern auf den Traumpfaden immer neu gedacht – und also aufs Neue erschaffen werden. Dadurch, dass diese Menschen die Schöpfungsgeschichte oft rituell wiederholt haben, fühlten sie sich eins mit und verantwortlich für die Welt, während die hierarchischen Kulturen sie sich ‘untertan’ gemacht haben.

      Obwohl die australischen Ureinwohner in einer extremen Umwelt lebten, passten sie sich ihr an. Sie haben nie versucht, ihrerseits die Lebensbedingungen zu verändern – das was wir ständig tun. Es heißt, sie benötigten für die Erfüllung aller primärer Bedürfnisse, Nahrungssuche und Unterkunft, nur zwei Stunden täglich. Der Rest blieb ihnen zum spielen, tanzen, träumen – welch paradiesische Welt! In diesem Paradies sind sie geblieben, bis die Weißen kamen und sie daraus mit Gewalt vertrieben.

      Steine spielen eine besondere Rolle in der Aborigines-Kultur. Aber abgesehen von der Herstellung feinster Beile bearbeiteten sie die Steine nicht. Sie bewunderten ihre naturgegebene Schönheit. Und wer einmal gesehen hat, wie der Ayers Rock, Uluru, im Lichtspiel der untergehenden Sonne seine Farben ändert, von ocker-gelb und gold über brennend rot, über rotbraun, magenta, violett zum tiefschwarz vor dem stern-funkelnden Wüstenhimmel, der kann vielleicht ermessen, dass man hier einer solitären Kraft gegenübersteht, die keine menschliche Verbesserung oder Veränderung verträgt, Die australischen Aboriginals brauchen keine Götter, keine Helden, keine Denkmäler. Aber sie haben ihr Gefühl für die Mächtigkeit der Natur nicht verloren. Uluru ist der größte Monolith der Erde und strahlt eine seltsame Macht aus, die sich sogar einem einigermaßen sensiblen Europäer mitteilt. Abends, in der Stille der Dämmerung, wenn die Sonne hinter den Horizont taucht und die Touristenhorden in ihren Bussen verschwunden sind, dann kann man hören, wie Uluru singt.

      Edelsteine oder Gold wurden von den Aborigines nicht besonders hoch geschätzt. Zum Stadium der Metallbearbeitung sind sie nie gelangt, nicht einmal zum Edelsteinschliff, obwohl es Edelsteine gibt auf dem roten Kontinent: Diamanten, Saphire, Rubine, Smaragd und den feurigen Opal, dazu zahlreiche bunte Halbedelsteine. Ihr Schmuck bestand aus geflochtenen Haaren, getrockneten Beeren und Kernen. Sie haben nie ein Streben nach Unvergänglichkeit gekannt, vielleicht, weil sie sich durch die Traumzeit mit der Ewigkeit bereits verbunden fühlten. Sie hatten den Tod nicht so zu fürchten wie wir.

      Die einzigen Steine von Wert für die australischen Ureinwohner, waren auffallend geformte Kiesel, bis zu handtellergroß und abgeflacht, die mit Pflanzenfarben bemalt und bestimmten Ritualen zugeordnet waren. Sie symbolisierten die Verbindung zu bestimmten Teilen der Traumzeit, in die auch lebende Menschen in Schlaf oder Trance jederzeit zurückkehren können. Man könnte sagen, auch sie hatten das Bedürfnis, die Vergänglichkeit zu bewältigen, aber sie entwickelten dazu von Anfang an eine andere Strategie als wir: Nicht die Trennung von der Natur und ihre Überwindung, sondern die Bewahrung der Einheit.

      Ebenso, wie die Aborigines, haben andere Völker in extremen Umweltbedingungen sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiterentwickelt oder, anders ausgedrückt, sich zufrieden gegeben. Aber unsere Welt ist zu klein geworden, der Druck zu groß. Man wird ihnen nicht erlauben, in der selbstgewählten Steinzeit zu verharren. Der Hominide will nicht unbedingt lernen, aber er muss.

      2. Von Hünengräbern und Hinkelsteinen

      Morgennebel über den rauen Felsen der bretonischen Küste. Es riecht herb nach Salzwasser und Tang, nur wenig versüßt vom Duft des blühenden Ginsters. Hohe Wolkenschleier im Osten beginnen sich rosig zu färben, aber hier unten herrschen noch Schatten und Dämmerung. Hölzerne Boote scharren über den Sand, werden hastig ans Ufer gezogen vor dem Zugriff der gierigen Wellen. Zwei, drei halbwüchsige Jungen bleiben am Strand zurück. Eine Gruppe von gebückten Gestalten schleicht sich von der Küste her ins Landesinnere. Speere und Steinbeile heben sich aus den Umrissen ab. Es sind Krieger eines fremden Stammes auf Beutezug nach Frauen oder was sonst gerade fehlt bei ihnen zuhause. Siegessicher sind sie, malen sich in Gedanken aus, wie man sie bei ihrer Rückkehr empfangen wird und welche


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