Stein. Sabine Korsukéwitz

Stein - Sabine Korsukéwitz


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aus und wurde über Frankreich nach Britannien, entlang der Nordmeerküsten bis nach Polen und vereinzelt an den großen Flüssen entlang bis in die Schweiz verbreitet. Die meisten Großstein-Konstruktionen sind Gräber: Gemeinschaftsgräber, individuelle Ruhestätten, Gräber mit langen geraden oder gewundenen Zugangsalleen, einfachen oder mehrfachen Kammern, tumuli mit Erde bedeckt, auch Schlüssellochgräber, von denen meist nur noch die Frontplatte stehen geblieben ist: Einsame, abgeflachte Quader von zwei bis drei Metern Höhe mit hochgelegenem Einstiegsloch. Wozu dieses Loch im Stein? Hätte man den Toten nur dort hindurch reichen wollen, wäre es doch praktischer gewesen, einen gewöhnlichen Eingang zu bauen und danach zu verschließen. Sollten die Verstorbenen daran gehindert werden, herauszukommen und Unheil zu stiften? Oder im Gegenteil: Sollte den Seelen Gelegenheit geboten werden durch dieses kreisrunde Loch im Stein in die Freiheit zu fliegen? Wenn zu bestimmten Tages- und Jahreszeiten ein Schaft Sonnenlicht in das Grab fiel, dann hätten die Seelen die Brücke aus Licht betreten können.

      Es gibt Megalith Monumente am Schwarzen Meer, in Nordafrika, besonders in Algerien, im Senegal und im Sudan, auf Malta, in Persien und Indien, Assam, Sumatra, auf einigen Polynesischen Inseln, in Zentral- und Südamerika. In Japan waren Großsteingräber weit verbreitet und es existieren sogar schriftliche Quellen darüber. Aber im siebten Jh. n.Chr. wurde diese Tradition plötzlich abgebrochen: Kaiser Kôtoku verbot den Bau solch extravaganter Ruhestätten – wegen der Verschwendung menschlicher Arbeitskraft.

      Die best erhaltensten Zeugnisse alter Kulturen sind noch in der Sahara zu finden. Angefangen von Feuersteinwerkzeugen und Schleifwannen, die man an manchen Stellen so unversehrt findet, als seien sie gestern gefertigt worden, kann man unerwartet im Wüstensand auf Steinssetzungen stoßen: Auch hier Dolmen, Trilithe – drei Steinsäulen mit einer Deckplatte, mehrreihige Steinkreise und Croissants, sichelförmig angelegte Steinsetzungen, die wohl den Dünen abgeschaut waren.

      Von einer wunderbaren, einfachen Würde sind die dallages am algerischen Ahaggar-Gebirge: kreisförmige oder quadratische Areale, die mit schwarzen Steinen gepflastert sind, manche von menschlicher, andere von gigantischer Größe. Niemand weiß, wie viele von ihnen es in der Weite der Wüste noch gibt, wie viele unter Wanderdünen verschwunden sind. Waren es Gebetsstätten? Der Mensch scheint ja sehr früh das Bedürfnis entwickelt zu haben, die höheren Mächte auf sich aufmerksam zu machen. In Europa wurden zu diesem Zweck Kathedralen errichtet. In der Einsamkeit der Sahara genügte dazu ein Kreis aus Stein: ‘Schau her, hier bin ich. Hör mich an.’ Und warum war Gott immer im Himmel, immer oben? Das hat mit dem Inbegriff von Macht zu tun, den wir schon als Kinder lernen: Klein sein bedeutet, schwach, hilflos zu sein, ausgeliefert. Die Großen sind die, von denen Wohltaten und Bedrohung ausgehen. Sie türmen sich über uns, ihre Augen können Blitze schleudern und sie tun, was ihnen beliebt.

      So weit verbreitet und in einem relativ zur Menschheits- und Erdgeschichte, sehr kurzen Zeitabschnitt von 3000 Jahren gedrängt, wie die Megalith Kulturen waren, möchte man gern glauben, dass sie gemeinsame Schöpfer, einen universellen Zweck hatten. Im 19 Jh. war die Ansicht verbreitet, alle diese Monumente seien Spuren einer Herrenrasse, den ‘Kindern der Sonne’, die sich von Ägypten her über die Welt ausgebreitet hätten. Heute vertritt man diese Meinung nicht mehr, wohl weil man von Herrenrassen ein für alle Mal genug hat. Das Einzige, das diese Werke miteinander gemeinsam haben, ist nach unserem Kenntnisstand die Übergröße. Vielleicht war es im Verlauf der Ich- und Welterkentnis des Menschen an der Zeit, sich zum ersten Mal am Gigantismus zu versuchen.

      Am beeindruckensten aber von allen megalithischen Hinterlassenschaften scheinen die einzeln stehenden Steine zu sein. In wie vielen Sagen, in Literatur und abergläubischen Volksmärchen spielen sie eine Rolle! Sie berühren etwas in unserem Unterbewusstsein. Das Aufrichten aus der Vierfüßler Haltung ist ein elementarer Schritt in der Menschwerdung gewesen. Aufrichten heißt weiter schauen, mehr sehen. Auch: sich größer machen – bei vielen Säugetieren und in allen menschlichen Kulturen eine Drohgebärde. In jedem Fall ist das Aufrichten, der erhobene Finger, die Senkrechte eine Aufmerksamkeits-heischende Geste.

      Und mehr als das: Sich Aufrichten bedeutete für den frühen Menschen: Sich dem Himmel nähern, den Göttern entgegen treten. Nicht ohne Grund ist der Baum (in Abwandlung: das Kreuz) eines der wichtigsten Symbole der Menschheit, in allen Kulturen bekannt und in vielen Märchen und Mythen verewigt als Himmelsbaum, an dem die Planeten hängen, als Lebensbaum, kosmischer Baum der parsischen Avesta, im Ägyptischen Totenbuch, als Nabel der Welt; im Judentum wie im Christentum gibt es ihn. Die Esche Yggdrasil, tausendfach in Stein geschlagen in Form der Rune HAGAL oder HAGALAZ aus dem Jüngeren (neueren) Futhark, dem germanischen Runenalphabet: HAGAL ist entstanden aus den Runen YR für Eibe oder Esche, die die Verbindung zum irdischen Hier bezeichnet (auch ALGIZ nach dem älteren Futhark) und der Rune MAN oder MANNAZ, die den Einfall göttlichen Lichts darstellen sollte – aus beiden ergibt sich ein Baum, dessen Zweige nach oben und nach unten zeigen, der menschliche und göttliche Sphäre miteinander verbindet. Und so drückte auch mancher Fingerstein ein erstes Streben aus, nach oben im Versuch, der leidensvollen Verhaftung mit dem irdischen Leben zu entgehen; eine Sehnsucht nach Versöhnung der irdischen und der himmlischen Welt.

      Die schönste Auslegung von Fingersteinen ist die für den Ursprung ägyptischer Obelisken. Laut dem römischen Offizier und Universalgelehrten Plinius dem Älteren sollten diese ‘Balken’ aus Granit die Sonnenstrahlung nachahmen und das sei die Bedeutung des Wortes. Heute wissen wir, dass dieTradition der Obelisken von Vorgängern der Pharaonen stammt: Atum, der Gott von Heliopolis, so glaubte man, sei seinem Volk zuerst in einem Fels erschienen, der sich aus den Urwassern erhob, um das Strahlen der Sonne auf seinem Gipfel zu empfangen. Folglich wurden im Haupttempel ein hoher Stein aufgestellt, vermutlich von einem Deckstein aus Gold gekrönt. Die Nachfolger-Kultur übernahm diese Sitte und passte sie ihrem ästhetischen Empfinden und handwerklichen Geschick an. Zwei Obelisken, auf den Befehl der Pharao-Regentin Hatschepsut errichtet, hatten Spitzen aus Bernstein, die die Sonnenstrahlen einfangen und verstärken sollten.

      Oder sollten mit Menhiren, Dolmen, Obelisken tatsächlich erd- und kosmische Strahlungen aufgefangen werden? Und wie sollten unsere primitiven Vorfahren darauf gekommen sein? Es gibt Orte auf dieser Erde deren besondere Kraft sich sensiblen Menschen mitteilt, oder wie der französische Schriftsteller Maurice Barrès schrieb: “Stätten, wo der Geist weht”: (Es soll aber nicht verschwiegen bleiben, dass Barrès ein rassistischer Nationalist war, dessen Sorte sich nur allzu gern jeglichem altertümelndem Mystizismus hingibt.)

      Dennoch: Ist es nicht so, dass wir uns an manchen Orten wohl und innerlich bestärkt und an anderen instinktiv unwohl fühlen? Ist es nicht denkbar, dass die Menschen einer früheren Zeit, in der die Erde noch nicht so überbaut und sie selbst von keiner Reizüberflutung abgelenkt waren, dass sie damals solche Orte stärker empfanden? Man sagt uns, die Erde sei von energetischen Linien überzogen, einem ganzen Netz davon. Es seien Erdströme, hervorgerufen durch die Erdbewegung, Magnetismus und unterirdische Gewässer. Forschungen haben ergeben, dass sich viele megalithische Monumente, Pyramiden, Tempel und Kathedralen gerade über solchen energetischen Knotenpunkten befinden. Menhire könnten aufgestellt worden sein, um diese Kräfte zu nutzen. Steine können Strahlungen speichern und abgeben, das ließ sich an einem sonnengewärmten Stein leicht erfahren. Sonne ist Lebenskraft, Fruchtbarkeit. Steine können Kraft speichern und Dolmen Konstruktionen oder Steinkreise darüber hinaus wie Verstärker wirken. Das Aufrichten ‚steinerner Balken’ schafft zusätzlich noch die Verbindung zwischen Himmel und Erde, ein mächtiges Instrument und ein Zweck, eine Notwendigkeit, die den schier unvorstellbaren Aufwand erklären würde, der hier betrieben worden ist. Nur eine tief empfundene Dringlichkeit, keine frivolen Eitelkeiten, könnten die Erfindungen ausgelöst haben, die zur Errichtung dieser Giganten nötig waren. Manche wollen die Dolmen mit ihren drei oder vier Säulen, der Deckplatte und der Höhle darunter als kosmische Musikinstrumente sehen. Die Deckplatte wäre demnach die Klangplatte eines gigantischen Xylophons und die Höhle darunter der Resonanzboden. Steine, die unter Spannung stehen, kann man mit einem Fingernagel klingen lassen. Und Musik besitzt eine eigene Magie, die in Kirchen und Tempeln immer schon eingesetzt worden ist. Das ist ein uralter Instinkt. Eine solche Auslegung der Megalith-Monumente ist verführerisch. Sie würde vieles erklären und praktisch keine Ungereimtheiten übriglassen, wie alle anderen Erklärversuche. Ein Menhir, der die Musik des Universums empfängt und weitergibt – welch


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