Stein. Sabine Korsukéwitz

Stein - Sabine Korsukéwitz


Скачать книгу
plötzlich tauchen im Dunst vor ihnen graue Schemen auf, grobschlächtig und riesenhaft, eine lange Reihe davon, und dahinter noch eine Reihe. Unzählbar stehen sie dort, die Wächter, dunkel und still. Die räuberische Horde bleibt stehen, duckt sich, wittert – geflüsterte Beratung. Die Riesen rühren sich nicht. Was ist das? Was wird geschehen, wenn man versucht, an ihnen vorbei zu gelangen? Es wird gestikuliert, gedeutet, geschubst: Geh du zuerst! Nein du! Nein, du! Keiner kann sich entschließen. Und die Riesen stehen und starren. Zu unbegreiflich, zu unheimlich sind diese grauen Wächter. Und während man unentschlossen starrt, leuchtet der Himmel schon golden; ein Hahn kräht. Die rechte Stunde ist vertan. Die Horde kehrt um. Der Angriff wurde abgewehrt ohne einen Speerwurf, ohne einen Laut.

      Menhire, die bretonischen Fingersteine, verwitterte Brocken Granit, deren einstige Form nur zu ahnen ist. Auch 1000 Dolmen (keltisch: tol = Tisch, men = Stein) – drei Tragsteine, darüber eine Deckplatte – stehen an der bretonischen Atlantikküste. Man nimmt an, dass es Gräber sind. Unter manchen fand man Knochen, Grabbeigaben. Nicht unter allen. Vielleicht wurden sie geplündert, vielleicht waren nie welche da. Und die 5000 Menhire? Wozu sie errichtet wurden unter unendlichen Mühen, zu welchem Zweck, teils einzeln, teils in langen Reihen, das lässt sich nicht mehr sagen. Ganz bestimmt waren es Heiligtümer, aber auf der Basis welcher Vorstellungen? Symbolisierten sie gefallene Krieger, eine Armee aus Stein, oder hilfreiche Geister, die Seelen der Ahnen, einen steinernen Wald? Hatten sie irgendwie mit den Gestirnen zu tun, wie der Steinkreis von Stonehenge? Unwahrscheinlich. Zwar verlaufen einige der Reihen von Ost nach West, aber nicht alle. Vergeblich hat man gemessen und nach Bezugspunkten am nächtlichen Firmament gesucht. Astrologische Observationsstätten wie Stonehenge in England lassen sich hier nicht sicher nachweisen.

      Der Altertumsforscher Carl Schuchardt, der Erfahrungen mit den klassischen Mittelmeerkulturen hatte, verglich die bretonischen Anlagen mit griechischen Feststraßen, das war kreativ, blieb aber Spekulation: Dort führten gepflasterte Straßen von einem Anlegeplatz am Meer zu einer Kultstätte, so seine Theorie – auch in der Bretagne gäbe es entsprechende Verbindungen zwischen alten Anlegeplätzen im Golf von Morbihan und den Steinalleen, die zu einem Cromlech (llech – das walisische und bretonische Wort für Stein) also zu einem Steinkreis führten, mit einer einzelnen rauen Granitsäule in der Mitte. Aber warum dann gleich vier Alleen parallel nebeneinander?

      Zu viele Stücke fehlen für den schlüssigen Beweis. Viele Menhire sind umgefallen, zerschlagen und als Baumaterial verschleppt worden. In Plouharnel, Bretagne, lieferte ein 20 Meter langer Steinkorridor zu einem Gemeinschaftsgrab das Rohmaterial für ein nahes Dorf.

      Zwischen 1830 und 1840 ist bei Saumur in Zentralfrankreich die tonnenschwere Deckplatte eines Großstein-Grabes als Brücke über einen Bach zweckentfremdet worden. Bei der Gelegenheit lernten wohl die französischen Bauern im Schweiße ihres Angesichts die Leistungen ihrer Vorfahren zu schätzen: 18 Ochsenpaare mussten vor das Trumm gespannt werden, um es zu bewegen und vier Eichen von je einem Meter Durchmesser wurden gefällt um die notwendigen Rollhölzer zu liefern, bevor die Sache auch nur in Gang kam. Eine Brücke! Welch profane Entfremdung eines Werks aus einer Zeit, in der nur höchste religiöse Ziele und die Urangst vor der Endgültigkeit des Todes die Verwendung solche Steinkolosse rechtfertigten. Die Häuser der Lebenden waren dieser Mühe nicht wert. Sie wurden aus Holz errichtet und Lehm, Schilf und anderen vergänglichen Materialien, mit einer einzigen Ausnahme: Skara Brae in den Orkneys. Dort war Holz so knapp, dass den Bewohnern der Insel nichts anderes übrig blieb, als ihre Behausungen aus flachen Steinplatten aufzuschichten. Das Aufstellen aber von massiven Steinriesen blieb eine Abnormität.

      Einige Autoren haben die Fingersteine als frühgeschichtliche Kunst sehen wollen. Das widerspricht der Theorie von der religiösen Kultstätte nicht. Schließlich hat sich Andacht und Verehrung immer und überall in Kunst ausgedrückt. Kunst ist die Essenz der Andacht und ein Weg dazu. Doch wer hier verehrt wurde und warum ist damit immer noch nicht erklärt. Auch vorstellbar, dass die frühe Menschheit noch gar keine fest definierten Gottheiten verehrte, sondern sich direkt an die Natur wandte. Sie betrieben eher einen Totenkult als einen Gotteskult. Ihre Heiligen waren die Geister von Quellen, Bergen, Bäumen und Steinen. Waren die Menhire also nicht Statuen für Götter sondern selbst Götter/Geister? Und wer waren die Erbauer?

      Einer lokalen Sage nach lebte hier früher eine zwergische Rasse, die Kérions oder Korrigans. Sie liebten die Steine und lebten in Löchern, die sie in die Berge gruben oder in Steinhäusern, die sie mit Zauberkraft errichteten – so erklärte man sich später die Existenz von Menhiren und Dolmen, als die Kunst ihrer Aufstellung längst in Vergessenheit geraten war. In früherer Zeit hatten die Kérions noch Umgang mit Menschen, die von weither kamen, um sie um Rat zu fragen. Heutzutage sieht man sie nur noch selten und nur am Sabbat. Es gibt alte Leute in der Bretagne, die behaupten, mit Kérions Bekanntschaft zu pflegen, aber es ist verboten allzu viel darüber zu sagen oder gar zu einem Treffen einen Fremden mitzubringen. Das würde den Zorn der Kérions nach zu ziehen. Wem sie sich zeigen, das bestimmen sie selbst. Offenbar haben sie auch entschieden etwas gegen Kameras.

      Sowohl die Sage von den hilfreichen Erdgeistern, als auch die phallische Form der standing stones verleitet bis heute romantisch veranlagte Paare, Nachtens über die Schutzzäune zu klettern um bei Vollmond zwischen den Steinen Fruchtbarkeitstänze aufzuführen. Man möchte sich das lieber nicht so genau vorstellen. Angeblich ist aber manche Bretagne-Touristin dann glücklich schwanger nach Hause zurückgekehrt.

      Vierzig bis 50 000 solcher megalithischer Monumente sind allein in Westeuropa bekannt. Steinkreise, Gräber verschiedener Formen, die alle nur eins gemeinsam haben: Die Verwendung von riesigen – von ‘mega’-Steinen. Ihre Maße und Gewichte sind eine Ansammlung von Superlativen.

      Carnac: 4 Steinalleen, zusammen fast vier Kilometer lang;

      Locmariaquer: Le Grand Menhir Brisé, der größte und schwerste aller Fingersteine, 20 Meter lang, 350 Tonnen schwer;

      Morlaix: der Grabhügel Barnenez, Parthenon der Steinzeit: 14000 Tonnen Steine wurde hier aufgeschichtet;

      Stonehenge: Klassisches Beispiel für frühgeschichtlichen Langstrecken-Transport. Einige der Stonehenge-Brocken stammen aus der Nähe, andere, die je 25 Tonnen schweren ‘blue stones’, kommen aus den Presely Mountains, 140 Meilen im Vogelflug von dem Heiligtum entfernt. Über den Weg und die Art und Weise des Transports ist viel geschrieben worden. Eine mögliche Landroute über die Severn nahe Gloucester wäre 180 Meilen lang gewesen, eine kurze Seeroute und über die Mendip Hills 150 Meilen, während die längste mögliche Route auf Booten oder Flößen um Cornwall herum ungefähr 400 Meilen lang gewesen wäre, aber viel mühselige Schlepperei erspart hätte. Stonehenge war ein Generationenwerk. Nur eine tiefe Überzeugung, ein fanatischer Glaube hat Menschen dazu bringen können über mehrere Generationen hinweg ein solches Werk anzupacken und zu Ende zu bringen. Denn anders als in Ägypten hatten wir es hier nicht mit großmächtigen Herrschern und einem gewaltigen Beamten-Apparat zu tun. Es war die Arbeit von Freeiwilligen. So etwas tut nur, wer an die Ewigkeit glaubt.

      Das Wann hat den Forschern lange Schwierigkeiten gemacht bis zur Erfindung der segensreichen Carbon 14-Methode. Das Wie kann man als geklärt betrachten. Vorbilder dafür sind heute noch zu sehen in den Steinbrüchen von Assam und Afrika. Dort werden heute noch Steine gebrochen, wie in alter Zeit, weiterhin megalithische Monumente produziert.

      Es gab mehrere Methoden: Entweder man trieb mit steinernen Schlegeln eine Rille entlang der Sollbruchstelle in den Fels und sprengte den Block dann mit Hilfe von Feuer und Wasser ab, durch Temperaturschock. Anderswo arbeitete man mit Holzkeilen, die entlang der gewünschten Bruchkante in den Stein getrieben und dann befeuchtet wurden. Durch ihre Ausdehnung sprengten sie das Stück aus dem Fels. Um aber das gewünschte Ergebnis zu erzielen, nämlich einen Block von geplanten Ausmaßen zu erhalten, musste man damals bereits die gleiche Erfahrung, Geschicklichkeit, das Gefühl für die innere Beschaffenheit des Steins besitzen, die heute noch einen guten Steinmetz oder einen Steinbildhauer auszeichnen.

      Wie man die Riesensteine aufstellt, das hat Thor Heyerdahl auf den Osterinseln anschaulich vorgeführt: Ein Grube für das Fundament wurde gegraben, der Stein in eine entsprechende Grundstellung geschleppt und geschoben und dann mit Seilen in die Senkrechte gezerrt. Auch das scheint auf der ganzen Welt gleich gehandhabt worden


Скачать книгу