Der Wüstensklave. J. D. Möckli
Noch sind sie allein, was Yari ausnutzt, um die beiden Gebäude aufmerksam zu mustern. Direkt vor ihnen steht offensichtlich der Stall. Das Holzgebäude ist zweistöckig und besitzt auf dieser Seite zehn Boxentüren sowie an der einen Seite ein großes Tor, das jetzt offensteht und den Blick auf einen Raum mit zahlreichen Kutschen freigibt. Das Gasthof selbst ist ein weißes Gebäude, das im Stil des römischen Reiches erbaut worden ist, und besitzt sogar drei Stockwerke, wenn man die Dachfenster nicht mitzählt. Hinter dem Stallgebäude kann Yari noch eine große Wiese entdecken, die in viele kleinere Weiden unterteilt ist, auf denen sich die Pferde der Gäste tummeln.
Yari ist gerade mit seinen Beobachtungen fertig, als ein Stallbursche in Begleitung eines Sklaven auf sie zukommt. »Guten Tag, der Herr, darf ich Ihnen die Pferde und die Kutsche abnehmen? Haben Sie schon Boxen und einen Weideplatz reserviert oder soll ich die Tiere in zwei der unreservierten Boxen mit Weideplatz unterbringen?«
Ernst sieht Kai den Stallburschen an, der schon nach den Zügeln greift. »Gern, aber lassen Sie meinem Sklaven noch die Zeit, das Gepäck von der Ladefläche zu nehmen. Es sind zwei Boxen mit Weideplatz auf den Namen Mutsuo reserviert.« Kai lässt die Zügel los und deutet Yari gleichzeitig an, dass er die genannten Sachen von der Ladefläche nehmen soll.
Yari weiß, dass er jetzt wieder den gehorsamen Sklaven spielen muss, weshalb er ohne zu murren die stumme Bitte ausführt und dann mit einem leicht wehmütigen Blick den Pferden nachsieht, die von dem Stallburschen bis zum großen Tor geführt werden, wo man sie von der Kutsche befreit, die von zwei Sklaven mit vereinten Kräften auf einen freien Stellplatz geschoben wird.
Unterdessen ist der Stallbursche dabei, die beiden Pferde abzuschirren. Erst als Yari sieht, dass ihnen die Trensen abgenommen werden, geht er zu Kai, der geduldig neben der Tür auf ihn wartet und dabei so tut, als würde er etwas in seinen Taschen suchen und nebenbei die Versorgung der Pferde überwachen.
Nun sieht er Yari grinsend an. »Na, ist alles zu deiner Zufriedenheit erledigt worden? Die beiden haben direkt hinter ihren Boxen ein schönes gemeinsames Weidestück, das sie durch eine zweite Boxentür erreichen können.«
Erst als er sieht, dass sein Liebster nicht mehr zu dem Stallgebäude blickt, wendet Kai sich dem Eingang zu und betritt, gefolgt von dem schwer beladenen Yari, den Gasthof.
Kaum hat Kai den Empfangstresen erreicht, wird er schon vom Besitzer des Gasthofes begrüßt. »Herr Mutsuo, was für eine Freude, Sie wieder in meinem bescheidenen Haus begrüßen zu dürfen. Diesmal haben Sie sogar ihren eigenen Sklaven dabei. Hätten Sie mir diesen angekündigt, dann hätte ich ihm einen Strohsack unter dem Dach herrichten können, jetzt muss er leider im Heulager schlafen, da wir unter dem Dach keinen freien Platz mehr haben.« Trotz seines Wortschwalls schüttelt er Kai heftig die Hand, der sich dabei immer wieder fragt, ob ihm der andere den Arm abreißen will.
Trotzdem lächelt Kai ihn freundlich an. »Guten Tag, Herr Kagayama, das ist kein Problem, mein Sklave wird sowieso bei mir im Zimmer schlafen.« Mit dem Kopf deutet er leicht nach hinten, wo Yari mit ihren Sachen in den Händen abwartend dasteht.
Geschäftig trägt Kagayama nun die Information in das Gästebuch ein. »Ist notiert. Es ist allerdings so, dass Sklaven im Restaurant nicht willkommen sind und auch die gemeinsame Gästedusche auf den einzelnen Etagen nicht benutzen dürfen. Sie kriegen ihren Haferbrei mit Zitronensaft in der Küche und hinter dem Haus gibt es eine Kaltwasserdusche und ein Plumpsklo, beides haben wir extra für die Sklaven bauen lassen.«
Als Kai hört, was Yari essen soll, wird ihm beinahe schlecht, doch irgendwie schafft er es, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. »Das ist kein Problem, ich wollte sowieso fragen, ob ich mein Essen wie immer auf meinem Zimmer einnehmen und vielleicht auch eine extragroße Portion bekommen kann. Ich bin nämlich am Verhungern. Was die Dusche angeht … darf ich ihn denn mit in die Dusche nehmen? Sie wissen schon …« Verschwörerisch zwinkert er dem anderen zu, der das mit einem dreckigen Grinsen quittiert.
»Natürlich ist beides möglich. Ich notiere mir gleich Ihre Bestellung.« Erst jetzt greift Kagayama nach einem der Schlüssel, die hinter ihm hängen und reicht diesen an Kai weiter. »Sie haben wie immer das Zimmer mit der Nummer zweiundzwanzig. Soll ich dann auch gleich notieren, dass Sie das Frühstück auch wie immer auf Ihrem Zimmer einnehmen wollen?«
Nach einem kurzen Nachdenken nickt Kai. »Ja, das wäre mir sehr recht. Dann muss ich mich am frühen Morgen nicht mit den anderen Gästen rumschlagen. Das Frühstück hätte ich dann gern extragroß und so gegen halb acht, denn um neun möchte ich wieder aufbrechen.« Kai ist langsam genervt, aber er muss noch warten, bis ihm der Preis für den Aufenthalt genannt wird, da er diesen im Voraus zu entrichten hat.
Eifrig notiert sich der grauhaarige Mann nun alles und sieht dann wieder hoch. »So, das wären dann fünfundvierzig Silbermünzen. Die Versorgung der Pferde ist natürlich im Preis inbegriffen und ich sehe, dass Sie uns am sechsten August wieder beehren werden. Soll der Service dann der Gleiche sein?« Fragend und zugleich abwartend wird Kai nun angesehen, während er die Münzen aus dem Beutel herauszählt.
»Ja, das wäre sehr nett.« Die Silbermünzen auf den Tisch legend, sieht er den älteren Mann an. »Haben wir dann alles erledigt?«
Kais Selbstbeherrschung bewundernd steht Yari mit gesenktem Kopf da. Ihm wäre schon lange der Kragen geplatzt, weshalb er jetzt ehrlich froh ist, dass sie nun endlich die beiden Treppen erklimmen können, die sie in die zweite Etage führen, wo sie nach ein paar Schritten ihr Zimmer erreichen. Zwei Türen weiter kann er auf der anderen Seite die Dusche erkennen, die sich die Bewohner der sechs Zimmer hier oben teilen müssen.
Als Yari hinter Kai das Zimmer betritt, ist das Erste, was ihm auffällt, die offene Tür, die in das kleine Badezimmer führt, das außer der Toilette allerdings nur noch mit einem Waschbecken ausgestattet ist. Erst als er ihre Sachen in eine der Ecken gestellt hat, sieht er sich den Rest des Zimmers an. Neben dem einfachen Bett gibt es noch einen Tisch mit zwei Stühlen, was Yari erstaunt, ist das Bett doch eigentlich nur für eine Person ausgelegt, und dann gibt es noch eine dunkelbraune Kommode. Die Vorhänge sind in einem schlichten Beige gehalten und passen wunderbar zu den weißen Wänden und der pastellgrünen Bettwäsche.
Fix und fertig lässt sich Kai rücklings aufs Bett sinken. »Oh Mann, und morgen noch einmal so lange. Wieso tu ich mir das nur jedes Jahr wieder an?«
Schmunzelnd legt sich Yari neben seinem Sharik auf die Bettdecke und fährt ihm mit einem Finger sanft über die Wange. »Vielleicht, weil in Edo dieser Markt stattfindet und du da laut deinem Großvater die besten Stoffe zu einem günstigen Preis bekommen kannst. Und weil es nur in Edo diesen supertollen Laden gibt, in dem du die Essenzen für Großvaters Wundersalbe bekommen kannst. Ach ja … und weil dieser Hemingway in Edo wohnt und du darum umsonst übernachten kannst, sodass sich die Reise für dich noch mehr lohnt.«
Müde lächelnd sieht Kai Yari an. »Du hast eindeutig zu viel mit Großvater über dieses Thema gesprochen. Außerdem hast du ja beinahe die Hälfte des Weges verschlafen und meine Schulter dabei als Kopfkissen benutzt.« Gespielt beleidigt sieht er Yari an, ehe er ihm die Hand in den Nacken legt und ihn zu sich herunterzieht, um ihm einen Kuss geben zu können.
Genießend lässt sich Yari auf ihr Lippenspiel ein, bis es leise an der Tür klopft.
Murrend lässt Kai ihn los und setzt sich auf. »Das wird wohl unser Abendessen sein.«
Kai will gerade aufstehen, als Yari ihm eine Hand auf die Schulter legt. »Lass mich das machen, wenn du so müde bist. Außerdem ist es als dein Sklave sowieso meine Aufgabe, für dein Wohl zu sorgen.« Noch bevor Kai etwas sagen kann, steht Yari auf und geht, ihm noch einmal zuzwinkernd, zur Tür.
Vor der Tür steht tatsächlich eine junge Sklavin mit einem Tablett in der Hand. Auf diesem steht ein einzelner Teller, der gut mit Gulasch und Bratkartoffeln gefüllt ist, sowie eine Karaffe mit Wasser und ein Glas. Das Besteck neben dem Teller geht beinahe unter, sodass es Yari erst als Letztes entdeckt. »Dankeschön für die prompte Lieferung.« Lächelnd nimmt er ihr das schwere Tablett ab, was sie leicht erröten lässt. »Kei… keine Ursache. Stell das leere Tablett einfach neben die Tür, ich hole es dann später