Auf ihren Spuren. Sabine von der Wellen
Weil Katja immer noch die Paprika in der Hand hält, raune ich: „Leg in den Wagen, was du meinst, was wir brauchen.“ Das bringt mir ein erneutes Lächeln ein, dass mich seltsamerweise selbst lächeln lässt.
Ich schiebe den Wagen und Katja beginnt einzupacken. Ich bin froh, dass ich so viel Geld abgehoben habe, sonst hätte ich gleich an der Kasse ein Problem. Außerdem scheint Katja zu vergessen, dass wir das auch noch nach Hause tragen müssen.
Aber sie blüht richtig auf und ich fühle mich damit eigentlich ganz wohl. Und jedes Mal, wenn sie an etwas nicht heranreicht, weil es zu hoch im Regal steht, und sie sich vergeblich danach reckt und ihre schlanke Taille zeigt, bin ich natürlich bereit, ihr zu helfen. Und nicht selten berühren wir uns dabei oder sie schenkt mir ein Lächeln oder einen Blick, der es in meinem Bauch seltsam summen lässt.
Als wir mit schweren Tüten bepackt nach Hause gehen, ist Katja gut gelaunt und ich bin es auch.
„Es macht so Spaß, mit dir einzukaufen“, ruft sie und ich nicke nur, statt ihr das Kompliment zurückzugeben. Aber ich habe das Gefühl, wenn ich den Mund aufmache, dann kommt irgend so ein säuselnder Unfug heraus. Darum sage ich nichts dazu. Ich hatte die ganze Zeit nicht viel gesagt. Aber das brauchte ich auch nicht, weil Katja viel sagte. Sie erklärte mir, wie froh sie ist, auf uns gestoßen zu sein und dass ihr Leben endlich etwas geordnet ist und sie eigentlich ganz glücklich bei uns ist.
Das „eigentlich“ beziehe ich auf mich. Ich bin wahrscheinlich der Unruhepol in ihrem ansonsten glücklichen WG Dasein, der es ihr immer wieder schwer macht. Ich beschließe, mich etwas mehr zusammenzureißen.
Beim Fahrstuhl sind wir beide froh, die schweren Tüten abstellen zu können. Katja prustet genauso, wie ich, obwohl sie nur leichte Sachen in ihren Tüten hat. Ich schleppe die Getränke, Äpfel, Möhren, Gurken, Dosen mit Ravioli, ein Riesenglas Nutella, Kartoffeln und Zuckertüten. Außerdem habe ich die Seife, Schampon und das Waschmittel, dass unter meinem Arm klemmt.
„Du bist echt stark!“, murmelt Katja mit einem Blick, der mich warm durchflutet, als wir mit dem Fahrstuhl hochfahren, für den wir einen Pin eingeben müssen, um in unser Stockwerk gelangen zu können. „Und du bist unglaublich süß“, lässt sie noch folgen, bevor die Tür aufgeht und Timo uns erblickt. Er sieht, mit was wir gerade kämpfen und nimmt Katja schnell ihre Tüten ab, statt mir das Waschmittel, das unter meinem Arm klemmt und mittlerweile abzustürzen droht. „Hey, ich wollte auch gerade los!“, ruft er dabei.
Wer es glaubt.
Wir bringen alles in die Wohnung und ich bin erst mal abgeschrieben. Katja versorgt die Waren und Timo textet sie zu, was sie damit kochen können. Bei dem Noire Duschgel säuselt er: „Heute Abend? Gemeinsame Dusche?“ und Katja nickt mit leuchtenden Augen.
Ich gehe kopfschüttelnd in mein Zimmer.
Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, mit Katja zusammen zu duschen. Das übersteigt meinen Horizont und lässt mich auch kaum Luft bekommen.
Aber das Timo so locker bei Katja seine Wünsche anzubringen wagt, haut mich um. Er ist so unglaublich mutig! Ich bin mit meinem gemeinsamen Einkauf mit ihr schon voll zufrieden. Das war ja schon eine Glanzleistung.
Aber dass Timo sie in die Dusche ziehen will und sie mit dem extra von ihr ausgesuchten Duschgel einreiben wird, dass macht mich doch ziemlich fertig und mein Kopf will einfach nicht aufhören, diesen Aspekt immer wieder auszuloten. Und zwar mit mir an Timos Stelle.
Ich werfe mich auf meinen Schreibtischstuhl und stelle schnell und fast schon panisch den PC an. Ich kann es kaum erwarten, dass sich endlich das Spiel hochlädt. Wenn ich spiele, vergesse ich alles. Auch Katja.
Endlich ist wieder Wochenende.
Es ist über eine Woche vergangen und ich habe von diesem Marco nichts gehört, Manuel hat nichts Neues herausgefunden, ich immer noch nicht die Kombination des Tresors geknackt und das Noire Duschgel ist schon wieder leer.
Es duftet wirklich toll. Ich liebe diesen Duft. Aber ich hasse den Gedanken, dass es ziemlich freizügig verwendet wurde.
Manuel mag den Duft auch, hat er gesagt. „Wow, was für ein Zeug!“, hatte er begeistert einmal ausgerufen, obwohl er all die Tage zuvor nichts gesagt hat. Das ließ mich skeptisch von meinem Brot aufsehen, dass ich gerade schmierte und Manuels hingerissenes Grinsen ließ mich schwer schlucken.
Sofort glitt mein Blick zu Katja, die auf dem Sofa lümmelte, die Füße auf dem Tisch und sich irgend so eine Soap ansah. Sie sah nicht zu uns. Aber ich sah ihr Profil und ich sah, dass sie lächelte.
„Willst du auch ein Brot?“, rief ich ihr zu.
Ich bin in letzter Zeit wirklich bemüht, nett zu sein. Aber das fällt mir nicht leicht, wenn alles um mich herum im Duschvergnügen schwelgt. Nicht dass mich stört, dass ich davon verschont bleibe. Gott bewahre! Aber ich hasse es, dass ich behandelt werde, als wäre ich kein vollwertiges Mitglied dieser WG, bloß weil ich noch nicht volljährig bin.
Katja sah mich überrascht an. Dann säuselte sie: „Gerne. Mit Käse bitte … und vielleicht ein paar Gurkenscheiben.“
Ich nahm eine Scheibe Brot, belegte es großzügig mit Käse und holte die Gurke aus dem Kühlschrank, wusch sie ab und schnitt einige Scheiben ab, um sie auf dem Käse zu verteilen. Als ich es auch noch halbierte und viertelte, sah Manuel mich mit gerunzelter Stirn an. Ich weiß, er kennt das nicht, dass ich jemanden bediene. Ich habe da auch eigentlich ein Problem mit.
Ich rief brummig, weil mir Manuels Blick natürlich bewusst war: „Kannst es abholen!“
Katja sah mich an. Sie hatte diesen bittenden Blick drauf, der im nächsten Moment zu Manuel lief, der sofort Anstalt machte, sich vom Stuhl zu schieben. Aber ich war schneller, griff den Teller und brachte ihn zu Katja.
„Danke, Joel. Das ist wirklich süß.“ Sie belohnte mich mit einem Lächeln und ich ging wieder zu meinem Platz und konnte mich nicht verstehen. Ich verstehe in letzter Zeit sowieso nichts mehr.
Ich kann Timo nicht verstehen, der alles Mögliche mit Katja anstellt und doch klar äußert, dass sie nur eine WG Mitbewohnerin ist. Letzte Woche hat er mir von einem Mädel erzählt, dass er total toll findet und hat sie für heute Abend ins Kino eingeladen. Ich weiß nicht, ob Katja das weiß.
Ich kann auch Manuel nicht verstehen, der alles für Katja tut, obwohl sie ihm immer wieder klar zu verstehen gibt, dass er ihr nichts bedeutet.
Ich verstehe mich auch nicht. Ich will nichts von Katja. Ganz bestimmt nicht. Und doch passieren in ihrer Gegenwart seltsame Dinge, wie das mit dem Brot.
Gut, damit kann ich leben. Aber es passieren auch andere, die machen mich fertig.
Ich denke, sie werden davon ausgelöst, dass meine Mitbewohner keine Rücksicht nehmen. Überhaupt keine.
Letzten Samstag musste ich mir nachts die Kopfhörer aufsetzen, um Timo und Katja nicht zu hören. Timo hat sein Zimmer neben meinem und ich bin fast ausgeraste.
Aber ich konnte nichts tun. Die anderen stempeln mich sowieso schon als verklemmtes Kind ab. Dabei habe ich nur darum gebeten, dass unsere Regeln eingehalten werden. Aber an denen liegt wohl nur mir etwas.
Und einmal musste ich spät abends pinkeln. Auf dem Weg zum Badezimmer habe ich Manuel flüstern gehört. Er war in seinem Zimmer und seine Tür war offen, weil wohl die andere Person hinauswollte. Ich gehe davon aus, dass sie hinauswollte, denn Manuel flehte: „Einmal! Komm! Mein Schwanz wirds dir ewig danken.“
Ich war nicht überrascht, als ich Katja leise erwidern hörte: „Heute nicht.“
Ich weiß jetzt, dass Manuel auf Frauen steht und nicht auf Männer, wie ich anfangs dachte. Oder auf beides.
Zumindest rächte sich dieses Erlebnis in der letzten Nacht.
Ich hatte einen Traum, der mich jetzt noch zutiefst erschreckt. Nein, erschrecken ist nicht das richtige Wort. Er entsetzt mich. Und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich nicht doch mehr von Cecilia Hyde in mir habe, als ich bisher ahnte.
Schon