Schrecken der Vergangenheit. Nadine Kim Wulf

Schrecken der Vergangenheit - Nadine Kim Wulf


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Mann hielt kurz inne. Dann nahm er einen Rucksack vom Stuhl und machte sich daran, einige Sachen darin zu verstauen. Blöderweise war auch ihr Handy dabei. <<Versuchen Sie sich ein bisschen auszuruhen. Wenn ich zurück bin, bekommen Sie etwas zu essen.>>

      <<Bitte. Sie können mich doch jetzt nicht einfach alleine lassen.>>

      Erneut hielt er inne. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus.

      <<Ich verspreche Ihnen, wenn ihr Freund das tut, was ich von ihm verlange, werden Sie bald wieder bei ihm sein. >>

      <<Und wenn nicht?>>, fragte sie zögernd.

      Der Fremde schüttelte den Kopf. <<Keine Sorge. Das wird er. Schließlich liebt er Sie.>>

      <<Dann bin ich also nichts weiter als ein Druckmittel?>>

      Er sagte nichts. Das war auch überhaupt nicht nötig. Warum sonst entführt jemand eine Person. Natürlich fungierte sie als Druckmittel. Aber wieder stellte sich die Frage: Warum?

      <<Trinken Sie den Tee. Sie brauchen Flüssigkeit>>, sagte er und verließ die Hütte. Thea hörte, wie er von draußen die Tür mehrfach verriegelte. Sie war nun allein. Mit sich, ihrer Angst und mit den ganzen offenen Fragen, auf die sie keine Antwort hatte.

      Mit eiskalten Händen zog sie ihre Knie heran, ließ sich seitlich in die weiche Matratze sinken und ließ ihren Gefühlen freien Lauf, indem sie weinte und mit den Fäusten gegen die Wand schlug.

       Montag, 06. Mai, 18 Uhr 20

      Er saß auf einem Rundsessel in der Ecke seines Schlafzimmers und starrte mit unbewegter Miene aus dem Fenster. Nik war wie gelähmt. Die Angst um Thea und die Ungewissheit darüber, wo sie war und ob sie überhaupt noch lebte, drohten ihn innerlich zu zerreißen. Seit Stunden schon zermarterte er sich sein Hirn, auf der Suche nach einer Erklärung. Doch so sehr er sich auch bemühte. Er fand einfach keine schlüssige Antwort auf das Warum.

      Nichts hatte in den vergangenen Tagen darauf hingedeutet, dass so etwas passieren würde. Thea hatte sich benommen, wie immer. Sie waren glücklich. Und dass sich der Entführer nicht bei ihm meldete, empfand er als ein nicht allzu gutes Zeichen.

      Zum gefühlt hundertsten Male schaute er auf sein Handy und überprüfte den Akkustand und die Netzverbindung. Alles wie gehabt. Nichts. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und suchte in den Kontakten nach Karstens Nummer. Aber auch diesmal fehlte ihm der Mut, seinen Freund anzurufen und um Hilfe zu bitten. Nur so langsam gingen ihm die Alternativen aus. Er war hin und her gerissen. Er wollte alles tun, um Thea wohlbehalten wieder zu ihm zurück zu holen. Leider hatte er keine Ahnung, was richtig und was falsch war. Er wusste nur, dass ihn die Situation komplett überforderte und er dem Druck nicht viel länger Stand halten konnte. Sein Daumen kreiste über den Anrufbutton als das Handy urplötzlich in seiner Hand vibrierte und kurz darauf die ihm wohl vertraute Melodie eines eingehenden Anrufes ertönte. Es hätte nicht viel gefehlt und ihm wäre das Smartphone aus der Hand gerutscht. Abrupt setzte sich Nik auf und schaute mit bebendem Atem auf das Display. Der Anrufer war anonym. Langsam führte er das Handy an sein Ohr und schloss die Augen.

      <<Sagen Sie mir jetzt endlich, was sie von mir wollen?>>, brachte Nik mühsam hervor.

      <<Es freut mich, dass Sie zur Vernunft gekommen sind.>>

      <<Ich verstehe nicht…>>

      <<Die Sache mit dem BMW. Sie haben den Wagen verschwinden lassen. Und sie haben sich an meine Bedingung gehalten und die Polizei nicht informiert. Allerdings… sollten sie noch einmal darüber nachdenken, ihren Freund anzurufen, werde ich nicht mehr so nachsichtig sein.>>

      Nik schluckte überrascht, hatte aber keine Zeit, sich jetzt Gedanken darüber zu machen. <<Dann lassen Sie mich sofort mit Dr. Meissner sprechen. Ich muss wissen, ob es ihr gut geht.>> Mittlerweile war Nik aufgestanden und lief nun unruhig, wie ein Puma im Käfig, vor seinem Bett auf und ab.

      <<Wie ich schon sagte. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut>>, hörte er den Mann sagen.

      <<Was Sie gesagt haben, interessiert mich einen Scheiß! Ich will mich selber davon überzeugen>>, brüllte Nik. <<Das ist meine Bedingung. Vorher rühre ich keinen weiteren Finger mehr!>> Sein Herz raste. Die Worte waren einfach so aus ihm herausgeflossen. Aber nachdem er keine weitere Antwort bekommen hatte, stellte sich nun die Angst ein, zu weit gegangen zu sein. Und jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Bittere Sekunden vergingen. Dann endlich…

      < Also schön. Ich melde mich wieder.>>

      <<Nein. Stopp!>>, schrie Nik. Doch die Leitung war bereits unterbrochen. Fassungslos starrte er auf das Display und spürte, wie überschüssige Energie sich zunehmend in seinem Innersten aufstaute. Mit einem tiefen Aufschrei, schleuderte er sein Smartphone in die Kissen und sank langsam, die Hände vor das Gesicht gelegt, auf seine Knie.

       Zur gleichen Zeit….

      Mittlerweile ging es ihr etwas besser. Die Übelkeit hatte nachgelassen und auch ihr Gemütszustand hatte sich, nach dem anfänglichen Schock etwas beruhigt. Seit Stunden schon war sie mit sich und ihren Gedanken alleine. Genügend Zeit, um die Geschehnisse zu verarbeiten und in die richtigen Schubladen zu sortieren. Und sie war zu dem Entschluss gekommen, dass zumindest im Augenblick keine direkte Gefahr für sie bestand. Das hier war ein Gefängnis auf mindestens vier Sterne Niveau. Thea konnte sich trotz der Fußfessel, relativ frei in der Hütte bewegen. Aber der Unbekannte, der ihr doch irgendwie bekannt vorkam, hatte an alles gedacht. Fast alle Bereiche, egal ob Kühlschrank, Bücherregal oder sogar das kleine, separate Bad, waren für sie zugänglich. Nur eben nicht die Tür oder die Fenster. Bis dorthin reichte die Kette einfach nicht. Auch nicht, wenn sie sich zu strecken versuchte. Und Thea fand auch keinerlei Gegenstände, mit denen sie die Fußfesseln hätte lösen können. Das Besteck bestand aus Plastik und taugte damit nicht einmal zur Selbstverteidigung. Natürlich hatte sie versucht, auf sich aufmerksam zu machen und lange Zeit um Hilfe geschrien. Aber außer ein paar Vogelstimmen und etwas, das sie nicht zuordnen konnte, vernahm sie keinerlei weitere Geräusche. Weder eine Straße, noch ein Auto. Einfach nichts. Sie würde sich also anders behelfen müssen. Und sie wusste auch schon wie. Reden und zuhören gehörte von Berufswegen her zu ihren Stärken. Vielleicht fand sie dadurch einen Zugang zu ihrem Entführer, um mehr über ihn und vor allem sein Tatmotiv zu erfahren. Und um damit vielleicht noch etwas weitaus Schlimmeres, zu verhindern. In der letzten Stunde hatte sie versucht, sich eine passende Strategie zurecht zu legen, doch als sie hörte, dass vor der Tür ein Wagen zum Stehen kam, waren all ihre guten Vorsätze erst einmal dahin. Die Angst in ihr drohte zurückzukehren. Ob sie es wollte oder nicht. Sie hätte alles dafür getan, in diesem Moment unsichtbar sein zu können. Wollte sie doch nie mehr Angst vor jemandem haben müssen. Vor einem Mann schon gar nicht.

      Und auch, wenn es unter solchen Umständen das Natürlichste der Welt war, sie hasste sich dafür. Gerade als sich Thea auf die hinterste Ecke des Bettes gesetzt hatte, wurde das Schloss entriegelt und die Tür mit einem quietschenden Aufschrei geöffnet. Leicht zitternd beobachtete sie, wie der Mann mit schlurfenden Schritten eintrat und ihr einen prüfenden Blick zuwarf.

      <<Geht es Ihnen besser?>>, fragte er ohne sie weiter zu beachten und legte eine große Pizzaschachtel auf dem Tisch ab. Aber er spürte ihre Blicke in seinem Nacken. Und diese Blicke waren keinesfalls nur ängstlicher Natur. Um Gleichgültigkeit bemüht, holte er zwei Teller aus dem Schrank und stellte diese ebenfalls auf dem Tisch vor sich ab. <<Ich hoffe, Sie mögen Schinken und Pilze?>> Thea nickte kurz. <<Gut. Ich wusste nicht, was Sie sonst so zu sich nehmen. Also dachte ich, Pizza mag jeder. Kommen Sie. Setzten sie sich. Sie müssen etwas essen.>> Der Mann wirkte jetzt fast schon fürsorglich. Wieder überkam sie das Gefühl, ihn zu kennen.

      „ Reiß dich zusammen! Denk nach. Du weißt, wie es geht. „

      Entschlossen, aber mit bebendem Atem, gehorchte Thea und setzte sich auf einen gegenüberliegenden Stuhl.

      <<Sie müssen


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