Schrecken der Vergangenheit. Nadine Kim Wulf

Schrecken der Vergangenheit - Nadine Kim Wulf


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      <<Und du sag nicht immer Kröte zu meinem Hund>>, knurrte sie Karsten an.

      <<Ich geh duschen>>, sagte Nik und warf Winston einen bösen Blick zu. <<Verräter.>> Der Hund schnellte zurück auf den Bauch und kommentierte die Aussage mit einem Schnaufen durch die Nase.

      <<Ja bitte>>, fügte Karsten abschließend hinzu und wartete noch eine Weile, bis er in der oberen Etage die Tür zum Bad hörte. Er wollte sicher sein, dass sie sich ungestört weiter unterhalten konnten. Langsam trat er um Thea herum und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Arbeitsplatte. <<Also? Was ist los?>>

      Sie atmete heftig durch die Nase und schloss kurz ihre Augen.

      <<Er hat wieder diese Träume, Karsten. Er denkt, ich merke es nicht. Aber er wacht nachts schreiend auf und läuft dann durch das Haus.>>

      <<Scheiße. Aber wieso jetzt? Ich dachte, er hätte es überwunden?>>

      Thea schüttete die letzte Portion Rührei in die Schüssel und legte alles beiseite. <<So etwas überwindet man nicht.>> Sie wusch sich die Hände unter dem Wasserhahn und trocknete sie an einem Geschirrtuch ab.

      <<Du weißt, was gestern für ein Tag war?>>

      Karsten schluckte. <<Wie könnte ich das vergessen?>>

      Einzelne Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Bilder, in denen er seinen besten Freund gerade erst wieder gefunden und doch fast für immer verloren hätte. Es war der Tag, an dem er endgültig beschlossen hatte, dem LKA in Düsseldorf den Rücken zu kehren. An jenem Abend saß er, wie so oft, allein in seinem Büro und bearbeitete seine Akten. Er erinnerte sich daran, als wäre es erst gestern gewesen. Als das Telefon klingelte und man ihn zu dieser Geiselnahme gerufen hatte. Sein Blut gefror zu Eis, als er davon erfuhr, dass Nikolas, den er jahrelang nicht mehr gesehen hatte, einer der Opfer war. Zunächst glaubten alle an ein tragisches Unglück, doch der Fall entpuppte sich mehr und mehr zu einem über Wochen geplanten Mordkomplott. Und es hätte nicht viel gefehlt und der heimtückische Plan, Nik zu töten, wäre aufgegangen. Karsten hatte mit ansehen müssen, wie die Kugel ihn getroffen hatte. Es war der schrecklichste Moment in seiner Laufbahn als Polizist. Ein Moment, den er so nie wieder erleben wollte. Und wie es der Zufall wollte, wurde kurz darauf eine passende Stelle bei der Kripo in Iserlohn frei. Was gleichzeitig der Startschuss in sein neues, altes Leben bedeutete. Ein Leben unter Freunden und einer Familie. <<Du glaubst also, dass ihn das beschäftigt?>>

      <<Im Unterbewusstsein mit Sicherheit. Wir sollten versuchen, ihn abzulenken. Ich habe mir bereits das ganze Wochenende frei schaufeln können.>> Ihre Miene wurde plötzlich wieder heiter. <<Und glaub mir. Nik wird heute eine ganze Menge Ablenkung zu verdauen haben.>>

      Karsten musterte sie mit verengten Augen. <<Was weißt du?>>

      <<Lass dich überraschen>>, sagte sie und zwinkerte ihm ein Auge zu.

      <<Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass mein Patenonkel gerade die Freundin meines Vaters anbaggert.>> Die Stimme hinter ihnen gehörte zu Maximilian, der sich genau wie sein Vater kurz zuvor in die Küche gestohlen hatte und neugierig das Frühstück inspizierte. Seine Freundin Anni trat hinter ihm hervor und tat es ihm gleich.

      Die beiden waren noch nicht sehr lange offiziell ein Paar. Aber jeder hier wusste, dass da schon viel länger etwas zwischen den beiden lief. Und zwar schon, während Maximilian eine Stelle in Boston angenommen hatte.

      <<Guten Morgen ihr zwei.>>

      <<Morgen Thea. Das sieht wirklich hervorragend aus. Kann ich beim Tischdecken helfen?>>, fragte Anni und stopfte sich bereits eine Gurkenscheibe zwischen die Zähne.

      Thea runzelte die Stirn. <<Ich dachte, dass hättest du schon gemacht.>>

      <<Hab ich doch auch. Geschirr steht drüben. Man muss es nur noch auf die Plätze verteilen.>>

      Jetzt verdrehte sie die Augen. <<So viel zu dem Thema: Meister der Tischdekoration.>>

      <<Was denn? Woher soll ich denn wissen, wo wer sitzt?>> Karsten verteidigte sich vehement.

      <<Lass gut sein. Wir erledigen das schon>>, sagte Maximilian grinsend und wieder einmal fiel Thea die enorme Ähnlichkeit zu seinem Vater auf. Dieselben dunklen Augen, große, breite Schultern und einen Charme, dem jede Frau hoffnungslos erlegen war. Sie hatte den Jungen in ihr Herz geschlossen. Genau, wie all die anderen, die das gleiche Schicksal an diesem furchtbaren Tag miteinander teilten. Anni und Chris, die während der Geiselnahme stundenlang um ihr eigenes und das Leben von Nik bangen mussten. Er war schwer verletzt gewesen und hatte es nur dem beherzten Eingreifen von Tom zu verdanken, dass er es überhaupt geschafft hatte. Zu Ihrer Überraschung zeigte sich Maximilian damals sehr offen, um mit ihr über die Probleme seiner Eltern zu sprechen. Die Ehe der beiden stand vor dem endgültigem Aus. Während sein Vater alles dafür tat, die bittere Wahrheit zu verdrängen, hatte seine Mutter bereits einen Neuen kennengelernt. Einen stinkreichen Industriellen, der dazu noch einen kriminellen Hintergrund pflegte. Mit seiner Hilfe war es ein Kinderspiel, den grausamen Plan, seinen Vater verschwinden zu lassen, in die Tat umzusetzen.

      Aber die schlussendliche Wahrheit, dass seine Mutter zu einer eiskalten Mörderin mutiert war, hatte dem jungen Mann so sehr zugesetzt, dass er seither kein Wort mehr über sie verloren hatte. Das Thema „Claudia Berger“ war in diesem Haus tabu.

      Plötzlich hielt sich Anni eine Hand vor den Mund. <<Ich glaube, es geht schon wieder los>>, sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen und rannte ins Bad.

      <<Hat sie was Falsches gegessen?>>, erkundigte sich Karsten besorgt.

      <<Wer weiß, wer weiß>>, säuselte Thea und lächelte Maximilian an. Mit hochroter Miene schnappte er sich zwei von den Platten und ging ins Esszimmer. Karsten und Thea folgten ihnen mit dem Rest. Zusammen hatten sie den Tisch in Windeseile fertig gedeckt. Frisch geduscht gesellte sich auch Nik dazu. Barfuß, so wie er es in seiner Freizeit gerne tat. Dazu trug er eine ausgewaschene, blaue Jeans und ein frisches, graues T-Shirt. Um seinen Hals baumelte ein Handtuch, mit dem er sich das noch feuchte Haar abtrocknete.

      <<Morgen Dad>>, sagte Maximilian und schüttete sich Kaffee ein.

      <<Auch einen?>>

      <<Gern. Ich habe einen Mordshunger.>>

      <<Du warst schon früh aus dem Haus>>, bemerkte sein Sohn.

      <<Konnte nicht mehr schlafen. Außerdem ist die Luft einfach herrlich um die Uhrzeit.>> Nik setzte sich an seinen angestammten Platz und kramte in einer der beiden Tüten nach einem Brötchen. Mit bleichem Gesicht trat Anni an ihm vorbei und setzte sich neben Max auf einen Stuhl.

      <<Besser?>>, fragte er so leise, dass es fast keiner mitbekommen hätte.

      <<Morgen, die Dame>>, stichelte Nik. <<Auch ein Brötchen?>>

      <<Danke. Für mich bitte nicht.>>

      Erstaunt hob Nik eine Augenbraue. Anni war für ihren großen Appetit bekannt. Auch wenn man es ihr nicht ansah. Die Frau war in der Lage, ein ganzes Schwein auf einmal zu vertilgen. <<Nanu? Muss ich mir Sorgen machen? Du und keinen Hunger?>>

      <<Wird schon wieder>>, sagte Anni und stützte ihren Kopf auf dem Arm ab.

      <<Hier. Ich habe dir einen Tee gekocht.>>

      <<Danke Thea.>> Mit zusammengekniffenen Augen begutachtete sie den Becher vor sich. Eigentlich mochte Anni Tee nicht sonderlich. Aber im Augenblick erschien ihr die Wahl des Heißgetränks durchaus angemessen. Vorsichtig nippte sie an der pfefferminzhaltigen Flüssigkeit und ließ sich langsam gegen die Stuhllehne fallen. Mit geschlossenen Augen kämpfte Anni gegen den nächsten leisen Anflug von Übelkeit an und war so mit sich beschäftigt, dass sie Tom und Chris gar nicht hatte kommen hören. Sie zuckte leicht zusammen,


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