Götzendämmerung III. Jörg Werner

Götzendämmerung III - Jörg Werner


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Majorin und legte die Zeitung beiseite. Bernie schien besser informiert, als es den Anschein hatte.

      „Garçon“, rief Elsbeth, woraufhin sich die Majorin eiligst entschuldigte und sich zu Pierre an die Bar flüchtete. Der schickte einen Rupert zum Tisch der Nervensägen und begab sich mit der Majorin nach hinten in eine verschwiegene Nische am Ende der Bar. Neben ihnen, im Aquarium, sprangen von Zeit zu Zeit ein paar Hagelbutts durch künstlichen Eisregen und schleimige Brühe spritze herum. Die wenigen, noch verbliebenen, Gäste mieden diesen Bereich.

      „Die Crew der Tannhäuser macht sie darauf aufmerksam, dass der Da-Da-Raumeintritt in circa zwei Stunden erfolgt, bitte begeben sie sich allmählich in ihre Ruhequartiere.“

      Pierre schaute sich verstohlen um und beugte sich flüsternd zur Majorin über den Tisch. „Ich glaube jetzt habe ich genau diese Art Information für sie, auf die sie gewartet haben.“

      „Gut Pierre, aber ich muss selber mit dem Rupert sprechen.“

      „Das habe ich mir schon gedacht, sie haben nur noch knapp zwei Stunden Zeit, danach wird der Rupert sein Gedächtnis rebooten müssen.“

      „Hier“, sie schob dem Ober ein Bündel zusammengerollte Geldscheine hinüber, die der hastig verstaute. „Wo finde ich den Engel?“

      „Weniger ein Engel, ein Rupert eben. Sie finden ihn in der Nachttankstelle auf Deck Zero, dort spielt er an der Krake, dem mehrarmigen Banditen.“

      Die Ruperts gehörten zu den exotischsten Erscheinungen, intelligenten Lebens in der Galaxie. Niemand wusste zu sagen ob sie ihre Existenz einem Betriebsunfall der Evolution verdankten oder den Experimenten einiger haltlos zugedröhnter, zynischer Götter. Einige Skeptiker behaupteten, sie seien gar nicht wirklich existent, sondern nur eine geklonte Variante des Personals aus einer Liebesschnulze aus der Ära des Absolutismus im Imperium. Kurzum, die Ruperts waren die zur Perfektion optimierten Dienstboten, die überall zugegen waren, ohne bemerkt zu werden. Ein Rupert konnte spielend in einem Haushalt aufwarten, putzen, bügeln, waschen, Türen aufhalten, den Gleiter fliegen und die Kinder verdreschen, ohne dass ihn jemand zur Kenntnis genommen hätte. Allerdings hatten die Ruperts eine gewöhnungsbedürftige Deformation, ihr Kurzzeitgedächtnis war fotografisch und hielt bis zu fünf Tagen alles fest, darüber hinaus fiel es ihnen schwer sich auch nur ihren eigenen Namen zu merken, ihr Langzeitgedächtnis glich einem schwarzen Loch. Dies galt als einer der Gründe dafür, dass man die Ruperts großzügig übersehen konnte, sie waren als Informationsquelle völlig untauglich – zumindest nach fünf Tagen. Auch jeder Aufenthalt im Da-Da-Raum, selbst im tiefsten Kälteschlaf, löschte jede Erinnerung.

      Pierre war der Majorin von einem ihrer Agenten empfohlen worden. Er gebot über ein Netz von Ruperts an Bord der Tannhäuser, die ihn mochten, weil er sie zur Kenntnis nahm und Pierre besserte ihr und sein Gehalt durch den Verkauf von Informationen auf. Das war ein sicheres Geschäft, weil die Ruperts übersehen werden mussten, das gebot die gesellschaftliche Konvention, zumindest für jene, die dazugehören wollten. Dies bewies mal wieder, überlegte die Majorin, wie bescheuerte und gefährlich es sein konnte, dazugehören zu müssen. Da übersah man oft das Naheliegende.

      Ihr Rupert hingegen war nicht zu übersehen, wie er schief auf einem Hocker vor dem mehrarmigen Banditen hing, der munter vor sich hin klingelte, während die Zylinder mit Golfsymbolen vorbei rasten. Sieben Golfbälle in Reihe machten so viel Lärm, wie eine Blechbläserattacke.

      Die Nachttankstelle war das Revier der Ruperts, hier durften sie sein wie sie waren, wenn sie unter sich blieben. Laut, schrill und zügellos, ein Vorteil schnellen Vergessens lag in mangelndem Scham und der Überflüssigkeit von Reue. Eine Nachttankstelle war Ruperts-Land, definitiv, wo sonst konnten so viele Hirntote ohne Zuhause mit exzellenten Kurzzeitgedächtnis, enormen Durst und wenig Geld abhängen?

      Wie die meisten Freizeiteinrichtungen der Tannhäuser, so hatten findige Innenausstatter auch die falsche Tankstelle mit viel Liebe zum Detail, der Wirklichkeit nachgestellt. In einem Hologramm rasten schwere Lastgleiter vorbei und die Energiesäulen glitzerten Purpurn. Darüber stand in leuchtender Schrift ONTORUN. Ein bescheuerter Name fand die Majorin.

      „Hallo Rupert“, sprach ihn die Majorin an.

      „Rudolf Rupert der Siebenundzwanzigste …“, stellte der sich vor „… die Siebenundzwanzig steht für die Anzahl meiner Reboots dieses Jahr. Nennen sie mich einfach Rudolf.“

      „Toll Rudolf, möchtest du etwas trinken?“, fragte sie.

      „Am liebsten einen Withe Hagelbutt, der ist diese Saison total in bei den Herrschaften, aber hier in der Tanke gibt’s nur Loch Lucky oder Licht aus und das ist dasselbe. Aber davon nehm’ ich einen Doppelten.“

      Um sie herum tobte das pralle Leben. Ruperts knutschten in den Ecken, Spielautomaten bimmelten um die Wette, ein Zeitungsständer wurde gerade von einer spontan Stripperin mit ihren Klamotten dekoriert, am Tresen schütteten sie sich gegenseitig literweise Licht aus in die Rachen.

      Sie hatten sich mit ihren Getränken an einen Stehtisch im Hintergrund zurückgezogen. Die Majorin fragte: „Also Rudolf was hast du für mich?“

      Ruperts werteten ihre Informationen und Beobachtungen nicht, da sie diese in keinen längerfristigen Konsens zu setzen vermochten. Was geschah, geschah und danach geschah etwas anderes. So einfach konnte Leben sein, dachte die Majorin: „Also?“

      „Ich bin in meiner aktuellen Erinnerungsphase dem VIP-Deck zugeteilt. Heute Morgen hatte ich Dienst in der Suite der Bub & Beelze Kooperation, die ist momentan von einem stattlichen, sehr distinguierten etwas düstern Adligen belegt.“

      Saa-Tan, schoss es der Majorin durch den Kopf. Der Rupert war wirklich ein Glücksfall.

      „Weiter“, drängte sie. Rudolf nahm einen gewaltigen Zug vom Licht aus.

      „Heute Morgen kamen zwei Herren zu Besuch. Sehr geheimnisvoll, sie waren tief in Kapuzenmäntel gehüllt und konnten gar nicht schnell genug zur Tür herein schlüpfen.“

      „Wann war das?“

      „Sie kamen mit den Morgenzeitungen, die hatten sie mitgebracht.“

      Also waren sie mit dem Kurierschiff von Luzifers Lunte gekommen, überlegte die Majorin.

      „Hast du sie erkannt Rudolf?“

      „Nein habe ich nie gesehen.“

      Das war natürlich eine blöde Frage gewesen, fiel ihr ein, wie sollte ein Rupert sich bei seinen Erinnerungszyklen ein Gesicht merken können.

      „Aber die Herrschaft hat sie mit Michael und Daniel angeredet und dabei irgendwie schmutzig gekichert.“

      „Saa-Tan hat schmutzig gekichert?, staunte die Majorin.

      „Wer?“, fragte Rudolf.

      „Die Herrschaft, ist nicht wichtig, erzähl einfach weiter.“

      „Die Drei haben sich zusammengesetzt, Drinks und Feuerbohnen bei mir bestellt und getuschelt.“

      Plötzlich kam der Majorin ein ungeheuerlicher Gedanke und vor Erregung umklammerte sie ihr Glas so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, wie die Höcker eines Schneekamels.

      Konnte das sein? Sie fragte den Rupert: „Wie sah dieser Michael aus, ohne Kapuze und so, meine ich?“

      „Ein außergewöhnlich schöner Mann, der ungeheuer arrogant war. Dass wir Ruperts übersehen werden, daran habe ich mich gewöhnt, aber das man mich so demonstrativ übersehen kann, dass es wehtut, war selbst mir neu.“

      Erzengel Michael, diagnostizierte die Majorin jetzt völlig kalt und gelassen, soviel verletzende Arroganz konnte nur ein Erzengel aufbringen und Michael war ein Meister dieser Disziplin. Dann war der andere Besucher mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Exzellenz der Erzengel Daniel, seines Zeichens Erster Raumlord und Kommandierender der imperialen


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