Unvergängliches Blut - Sammelband. S.C. Keidner

Unvergängliches Blut - Sammelband - S.C. Keidner


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gähnte und reckte sich. »Ich muss zu meinem Vater«, sagte er. »Sehen wir uns morgen?«

      »Ich werde auf den Feldern sein. Mutter hat unsere Hilfe beim Abernten angekündigt.«

      »Ich werde auch da sein.« Er senkte die Stimme. »Wir sollten uns bald wieder nachts rausschleichen.«

      Taran kicherte. »Falls du es schaffst, ungesehen zu entkommen.«

      Bei ihrem letzten Versuch einer Liebesnacht war Gregorius von seinem Vater entdeckt worden, als er aus der Hütte schlich. Statt ein Schäferstündchen mit ihr zu verbringen, hatte er sich eine Standpauke über die Wajaren anhören müssen. Er verzog das Gesicht. »Ich werde mich bemühen. Heute Nacht klappt es nicht. Vater sagt, wir gehen früh zu Bett, damit wir zu Sonnenaufgang auf den Feldern anfangen können zu arbeiten. Lass uns das morgen bereden. Ich habe schon ein paar Ideen.« Er verabschiedete sich mit einem verschmitzten Lächeln von ihr.

      Zurück in ihrer Hütte legte Rodica Feuerholz nach und starrte selbstvergessen in die Flammen, bevor sie sich zu Taran umdrehte, die das Abendmahl aus eingedickter Milch, Trockenfleisch und Brot auf den Tisch stellte. »Gregorius ist ein netter junger Mann.«

      Tarans Wangen wurden heiß. »Das ist er.«

      »Aki hat mich gefragt, was ich davon halte, wenn du Gregorius Frau wirst.«

      Panik stieg in Taran hoch, ließ ihren Puls flattern. Sie würden im nächsten Sommer ihren zwanzigsten Jahrestag begehen, das Alter, in dem man sich einen Mann oder eine Frau aussuchte. Gregorius und sie waren sich dessen bewusst, hatten sich aber keine Gedanken darüber gemacht. Andere Dinge waren viel wichtiger! Es lag doch noch ein ganzer Winter vor ihnen, bis es so weit war! »Aber … ich … ich meine, Gregorius und ich … wir haben davon noch nicht gesprochen!«

      »Glaubst du, er ist der Richtige für dich?«

      Verblüfft sah sie ihre Mutter an. Ob Gregorius der Richtige war? »Ich ‒«, stammelte sie überrumpelt. Welche Antwort gab man seiner Mutter auf diese Frage? Sie beschloss, ehrlich zu sein. »Ich weiß es nicht.«

      Sonderbarerweise schien Rodica über diese Antwort erleichtert. »Dann ist er es nicht. Wenn er es wäre, wüsstest du es.«

      Taran sank auf den Stuhl. »Wie weiß man es? Dass es der Richtige ist?«

      »Dein Herz wird es dir sagen. Ein Leben ohne ihn wäre unvorstellbar für dich.« Rodica lächelte wehmütig.

      Ein Leben ohne Gregorius? Der Gedanke jagte ihr keine Angst ein. Sie mochte Gregorius und verbrachte gerne Zeit mit ihm. Aber er teilte ihre Träume nicht und sie nicht die seinen. Wenn sie ihre Träume leben wollte, dann ginge das nur ohne ihn. Und wie fühlte es sich an, wenn einem das Herz zuflüsterte, wer der Richtige war? Ihr Herz sagte nichts zu Gregorius. Sie wagte es, noch einmal nach ihm zu fragen, ihrem Vater. »War … war mein Vater der Richtige für dich?«

      Der Schatten großen Schmerzes flog über Rodicas Gesicht. »Ja, das war er.« Sie lächelte, doch Taran konnte sehen, dass sie die Tränen nur mit Mühe zurückhielt. »Trotzdem ich ihn verloren habe, war die Zeit mit ihm die schönste meines Lebens. Die ich um nichts missen möchte.«

      Taran war verwirrt. Mutter litt so sehr an der Erinnerung an ihren Vater und doch bereute sie es nicht, ihn geliebt zu haben? War die vergangene Liebe so groß, dass sie die Schmerzen wettmachte?

      Rodica legte ihre Hand auf die Tarans. »Eines Tages wirst auch du den Richtigen finden. Ich werde Aki sagen, dass wir all dies im nächsten Sommer besprechen, dann hast du genügend Zeit, um dich zu entscheiden. Und nun lass uns essen.«

      Kapitel 3

      Olwenus Einschätzung war falsch gewesen. Mit den ersten kalten Winden des Herbstes kamen die Wajaren. Das Laub der Bäume hatte sich bunt gefärbt und die Felder waren endlich abgeerntet. Es wurde schneller dunkel und die Siedler, die im Sommer abends lang draußen gesessen hatten, zogen sich immer früher in ihre Hütten zurück. Der kalte Wind schnitt in die Haut und ließ sie die wärmende Nähe der Feuer suchen.

      In der Nacht, in der die Wajaren die Siedlung überfielen, träumte Taran von Pferden, von Rappen, Schimmeln, Braunen und Füchsen. Die Tiere jagten durch die Grasländer, die Mähnen und Schweife fliegend, das Stampfen der Hufe dumpf auf dem Boden. Sie stand auf einem Felsen und beobachtete sie, fasziniert von der Kraft ihrer Bewegungen. Die Herde schwenkte ab und galoppierte zum Horizont, an dem sich die Sonne feuerrot zur Erde neigte. Seltsamerweise wurde das Geräusch der Hufe lauter, je weiter sie sich entfernten.

      Sie schreckte hoch und sah ihre Mutter wie erstarrt am Feuer stehen. Rodicas aufgerissene Augen spiegelten Entsetzen und Fassungslosigkeit wider.

      Ein gellender Schrei ertönte. Hufgetrappel und triumphierendes Gebrüll.

      »Lass’ den nich’ entkommen!«

      »Her mit dir!«

      Schreie. Weinen.

      Taran sprang auf, rannte zum Eingang und schlug das Fell beiseite. Feuerschein flackerte auf. Er kam von brennenden Hütten. Unzählige Pferde und Reiter hoben sich als schwarze Schatten vor dem gelben Licht ab. Ein Reiter warf eine Fackel auf eine Hütte. Die trockenen Matten ging sofort in Flammen auf, die sein Gesicht beleuchteten. Es war hart, kantig, mit dunklen Augen. Eine Frau floh aus der Hütte. Der Reiter gab seinem Pferd die Sporen und riss sie zu sich hoch. Cailina. Sie schrie. Der Reiter lachte und verschwand mit ihr zwischen den Bäumen. Taran presste entsetzt die Faust gegen den Mund.

      Rodica erwachte aus ihrer Starre. »Wajaren! Wir müssen weg!«

      Sie ergriff Tarans Hand und zog sie hastig nach draußen, weg von den Reitern und dem Feuer in die Dunkelheit hinter der Hütte. Sie stolperten über Grasbüschel und tote Äste. Die Kakofonie des Überfalls, Schreie, das Prasseln des Feuers und das Gebrüll der Vampire verfolgten sie unerbittlich. Tarans Nachtkleid verhedderte sich in niedrig hängenden Zweigen und spitze Steine und Dornen stachen in ihre nackten Füße. »Das ist die falsche Richtung!«, keuchte sie. »Da vorne sind die Felsen. An denen kommen wir nicht vorbei!«

      Rodica beachtete sie nicht und eilte weiter. Plötzlich standen sie vor den Klippen, die schwarz und unbezwingbar vor ihnen aufragten. Der volle Mond hing über den Felszinnen und schien höhnisch zu ihnen hinunter zu grinsen. Als die Siedler diesen Platz ausgewählt hatten, dachten sie, die Felsen würden Schutz bieten. Für Rodica und Taran waren sie zur Falle geworden.

      »Wir kommen nicht weiter!«, rief Taran verzweifelt.

      »Gibt es denn gar keinen Spalt, in dem wir uns verstecken können?« Rodicas Blicke irrten über die glatten Steinflächen.

      »Nein!«

      »Dann müssen wir am Fels entlang in den Wald! Dort können wir uns verstecken!«

      »Das geht nicht, Mutter! Das Unterholz ist zu dicht! Wir müssen zurück auf den Pfad!«

      »Hier sind noch zwei!« Der frohlockende Ruf ließ sie zusammenfahren.

      »Lauf!«, brüllte Rodica und rannte los.

      Sie war nicht schnell genug. Der Reiter erschien vor ihnen wie aus dem Erdboden gewachsen. Er sprang vom Pferd und stürzte sich auf Rodica, begrub sie unter seiner riesenhaften Gestalt.

      »Mutter!«

      Taran schrie auf. Eine kräftige Hand umfasste ihren Oberarm und zog sie auf ein Pferd. Sie schlug nach dem Reiter. Der drehte ihr kurzerhand die Arme auf den Rücken und hebelte sie schmerzhaft nach oben. »Schön brav sein!«, zischte er.

      Sie gab die Gegenwehr wimmernd auf. Ihr Fänger lenkte das Pferd zurück zu den brennenden Hütten. Die Siedler waren zusammengetrieben worden. Weinende Kinder krallten sich in die Röcke ihrer Mütter. Viele der Frauen schluchzten, die Männer standen mit versteinerten Mienen da. Die Reiter umkreisten sie wie eine Meute hungriger Wölfe, bereit sich jeden Moment auf sie zu stürzen.

      »Was haben wir?« Ein hünenhafter Mann mit schwarzem zum Pferdeschwanz gebundenem


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