Rondaria. Alisha Mc Shaw

Rondaria - Alisha Mc Shaw


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von Vertrautheit über sie gekommen, auch wenn sie nicht verstand, warum. Was konnte er über ihren Vater wissen, dass sie nicht selbst wusste?

      »Zuerst ist es nur ein Drang, eine innere Unruhe ...«, sagte er leise. »Er konnte nicht mehr schlafen, wanderte umher. Es hat ihn nach draußen gezogen. Seine Spaziergänge sind immer länger geworden, von Mal zu Mal. Und irgendwann kam er mit Kratzwunden nach Hause.«

      Aleyna erstarrte und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, aber dennoch hing sie wie gebannt an den Lippen des Fremden. Sie kannte nicht einmal seinen Namen, und doch schilderte er genau das, was sie bei ihrem Vater beobachtet hatte. Als wäre er dabei gewesen.

      »Irgendwann fing er damit an, nächtelang wegzubleiben. Rast- und ruhelos, wie ein wildes Tier in Gefangenschaft. Er wurde dir immer fremder, stimmts?«

      Langsam nickte sie und Tränen liefen ihr über die Wangen. Genau so war es gewesen. Am Anfang hatte sie nicht einmal bemerkt, dass sich etwas veränderte. Aber irgendwann konnte sie ihre Augen nicht mehr vor dem Offensichtlichen verschließen. Ihr Vater hatte begonnen, richtiggehend durchzudrehen. Oft hatte sie ihn erst nach stundenlanger Suche gefunden. Und nicht selten war ihr Vater nackt gewesen, seine Kleidung in Fetzen auf dem Boden verteilt.

      »Es erschien mir, als würden zwei Persönlichkeiten in ihm leben. An manchen Tagen war er einfach nur mein Vater und an anderen das, zu dem er wurde, wenn ein Schub kam. Ich konnte nichts dagegen tun«, flüsterte sie gepresst. Es herrschte einen Moment Schweigen und dann wurde ihr auf einmal bewusst, was sie da gerade gesagt hatte. Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie so das Gefühl der Vertrautheit abstreifen. »Warum zur Hölle erzähle ich dir das überhaupt? Und woher weißt du das alles? Ich kenne nicht einmal deinen Namen, und du sprichst von Dingen, die du eigentlich gar nicht wissen kannst.« Noch während sie die Fragen stellte, fürchtete sie bereits seine Antworten.

      Er schloss die Augen und holte tief Luft. »Es ist ... kompliziert.« Der Typ hob die Hand und fuhr sich durch die dunklen Haare. War er etwa nervös? Sie musterte ihn, während er sichtlich mit sich rang und nach einer Erklärung zu suchen schien.

      Er war einen Kopf größer als sie und sah ziemlich muskulös aus. Seine Haare waren leicht durcheinander, als würde er häufiger mit der Hand hindurchfahren und er hatte ein markantes Gesicht mit schmaler Augenpartie. Was ihn wohl mit der Fremden verband? Er hatte sich ihr sofort in den Weg gestellt, als sie fast auf die Frau losgegangen war. Sie hätte schwören können, dass seine grauen Augen sich verändert und einen bedrohlichen Schimmer bekommen hatten.

      Er seufzte und straffte die Schultern. »Palina war wirklich so etwas wie eine Freundin deines Vaters. Es gab Gründe, warum sie ihn nicht aufgesucht hat, als es ihm so miserabel ging.«

      Aleyna versteifte sich augenblicklich und biss sich auf die Lippe. Versuchte er etwa gerade, diese Frau in Schutz zu nehmen? Es interessierte sie nicht im Geringsten, warum sie nicht da gewesen war. Schweigend wandte sie sich von ihm ab und blickte auf die Grabstätte ihrer Eltern.

      »Aleyna ...« Seine Stimme klang bittend. Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie eine Bewegung wahr und spürte eine Berührung an der Schulter. Mit sanftem Druck zwang er sie, sich zu ihm umzudrehen und ihn anzuschauen. Er sah verwirrt aus und betrachtete seine Hand, als sei sie ein Fremdkörper. »Ich weiß, dass es dir nicht leichtfällt, mir das zu glauben. Aber das nächtelange Verschwinden deines Vaters hatte am Ende nur einen Sinn«, flüsterte er und Aleyna registrierte mit einem Anflug von Enttäuschung, dass er die Hand wegnahm. »Er tat es, um dich zu schützen.« Ihr entwich ein ungläubiges Schnauben. »Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Es ist nicht so einfach. Kannst du dich noch an deine Kindheit erinnern?«

      Etwas verwirrt von seinem abrupten Themenwechsel nickte sie. Was hatte das eine mit dem anderen zu tun?

      »Was soll ich dazu sagen? Ich hatte eine gute Kindheit, glaube ich. Wir haben lange am Waldrand gewohnt, ganz in der Nähe meiner Oma. Ich habe gespielt, wie jedes Kind halt so spielt!«, entgegnete sie etwas unwirsch.

      Alles war vollkommen normal gewesen, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihr Vater alle Zelte abgebrochen hatte und mit ihr umgesiedelt war. Sie dachte gern an die Zeit vor dem Umzug zurück. Der Wald war ihr zweites Zuhause gewesen und eine Zeitlang hatte sie sich sogar eingebildet, dort gemeinsam mit tierischen Kameraden unterwegs zu sein.

      Unwillkürlich glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. So lange schon hatte sie nicht mehr an diese Begleiter gedacht. Ihr Vater hatte ihr schmunzelnd gelauscht, wenn sie am Abend von ihren Erlebnissen berichtet hatte. Aber dann war irgendetwas passiert, an dass sie sich nicht mehr erinnerte, und sie waren umgezogen. Ab dem Tag veränderte sich alles.

      Ihr Vater war verbissen geworden, weniger fröhlich als zuvor. Auch ihre Geschichten wollte er nicht mehr hören. Und irgendwann sprach Aleyna einfach nicht mehr davon. Sie hatte aufgehört, sich an ihre tierischen Freunde und die vielen Abenteuer zu erinnern.

      Noch immer machte er keine Anstalten, zu reden. Er sah sie weiterhin nur an, sein Blick erinnerte sie irgendwie an den eines Hundewelpen.

      Sie wollte ihm nichts von ihren Gedanken erzählen, doch sein Blick und dieses ungewöhnliche Gefühl von Vertrautheit, dass sie jedes Mal überkam, wenn sie ihn anschaute, ließ sie dennoch reden. »Früher hatte ich imaginäre Begleiter. Wir haben viel Zeit im Wald verbracht. Dad liebte ihn, und er lehrte mich, es ebenfalls zu tun. Andere Kinder hatten einen unsichtbaren Freund, aber ich ...«, ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, »ich hatte Tiere.«

      »Tiere?«, echote er leise.

      Aleyna wandte sich wieder zu ihm um, musterte sein Gesicht. Sie hatte ein spöttisches Lächeln erwartet. Doch sein Blick war vollkommen ernst und wahrscheinlich nur deshalb sprach sie überhaupt weiter. »Keine ... normalen Tiere. Sondern Menschen, die sich in Tiere verwandelten, wann immer sie es wollten. Es waren viele Verschiedene. Löwen, Tiger, Füchse, Panther, Bären ... sogar ein Eichhörnchen war dabei. Und sie sprachen mit mir. Ich erlebte Abenteuer mit ihnen und erzählte Dad abends davon. Aber eines Tages ...« Sie brach ab, senkte den Blick.

      »Auf einmal sagte er, ich würde mir das alles nur einbilden. Menschen, die sich in Tiere verwandelten, gäbe es nur im Märchen. Dann zogen wir weg vom Wald, und er ging nie wieder zurück dorthin, bis ...«

      »Bis die Krankheit bei ihm ausbrach?«, vollendete er ihren Satz und sie nickte.

      Ja, genau so war es gewesen. Am Anfang wusste sie nicht, wohin ihr Vater aufbrach, wenn er verschwand. Aber dann fand sie die Erde. An seinen Schuhen, der Kleidung. Überall haftete dieser Duft, an den sie sich noch so gut erinnern konnte. Er roch nach Wald. Sie begann zu hoffen, dass alles gut werden würde. Doch das wurde es nicht. Schließlich verlor er sogar seinen Job und der Verfall ihres Vaters schritt immer weiter voran, genau wie der Fremde es beschrieben hatte. In diesem Moment wurde Aleyna bewusst, dass er ihr noch immer nicht offenbart hatte, woher er das alles wusste oder wie er hieß.

      »Dein Vater und seine Krankheit ... dort, wo Palina und ich herkommen, gibt es noch mehr Kranke«, sagte er, als ob er ihre Gedanken hätte lesen können. »Was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass du dir die Wesen, die sich in Tiere verwandeln können, nicht eingebildet hast? Das sie wirklich existieren?«

      Aleyna widerstand nur knapp dem Drang, sich an die Stirn zu tippen. »Sicher. Und im Himmel ist Jahrmarkt.«

      Er seufzte. »Hast du schon mal etwas von Gestaltwandlern gehört?«, fragte er.

      Jetzt konnte sie nicht anders, als spöttisch zu lächeln. »Menschen, die zum Werwolf werden? Heiße ich etwa Bella und du Jacob?«, entgegnete sie.

      Sichtlich entrüstet riss er die Augen auf. »Werwölfe sind etwas völlig anderes, sie haben nur die Wolfsform. Gestaltwandler sind wesentlich vielfältiger. Die Tiergestalt ist schon vor der Geburt festgelegt, und es kann so ziemlich alles sein. Wölfe, Tiger, Leoparden, Löwen, Adler ... Dein Vater zum Beispiel war ein Bär!«, zählte er auf.

      Aleyna musterte ihn eingehend. Der Kerl war doch vollkommen irre, denn er meinte das, was er da gerade von sich gab, offenbar vollkommen ernst! Sie hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. »Pass auf, Fremder. Ich weiß nicht,


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