Rondaria. Alisha Mc Shaw

Rondaria - Alisha Mc Shaw


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raufte sich erneut die Haare. »Mein Name ist Noyan, und ja ... dein Vater war ein Bär.«

      »Pass mal auf, Noyan.« Sie kniff die Augen zusammen. »Du tauchst hier einfach mit deiner ach so tollen Freundin auf ...«, ihre Hand fuhr nach vorn und tippte mehrfach gegen seine Brust, »und wagst es dann auch noch, dich über mich lustig zu machen?«

      Noyan schien verwirrt zu sein. »Ich mache mich keinesfalls über dich lustig. Es ist schlicht und ergreifend die Wahrheit.«

      Aleyna wich einen Schritt zurück und holte tief Luft. »Okay, ... ich weiß nicht, aus welcher Anstalt du entlaufen bist, aber ... mein Vater war mit Sicherheit kein Bär ...!« Sie zeigte ihm einen Vogel. Dann wandte sie sich kopfschüttelnd ab und entfernte sich eilig von Noyan und dem Grab ihres Vaters. Der Bestatter war sicher noch irgendwo hier, und das Ganze wurde ihr unheimlich. Sie horchte auf Schritte, doch Noyan schien ihr nicht zu folgen. Kurz darauf vernahm sie jedoch ein Knurren hinter sich, blieb stehen und drehte sich langsam um.

      Ihr Herz machte einen Satz und überschlug sich mehrfach, nur um dann rasend schnell weiter zu klopfen. Sie musste mehrfach blinzeln, ehe ihr klar wurde, dass das, was sie vor sich sah, tatsächlich real war.

      Dort, wo Noyan eben noch gestanden hatte, saß jetzt ein riesiger Wolf. Aus seinen Nasenlöchern drang warme Luft, die in kleinen Nebelschwaden nach oben stieg. Aleyna erstarrte - denn der Wolf saß inmitten eines Kleiderhaufens - Noyans Kleidern. Das Tier machte keine Anstalten, ihr zu folgen. Es sah sie aus grauen Augen an, und der Situation vollkommen unangemessen überkam sie das Gefühl, noch nie in vertrautere Züge geblickt zu haben.

      Der Wolf fixierte sie und seine Lefzen hoben sich, sodass es aussah, als lächelte er. »Dein Vater war ein Bär!«, drang eindeutig Noyans Stimme an ihr Ohr.

      Erneut beschleunigte sich ihr Herzschlag. All das war einfach zu viel. Wie konnte das sein? Ihre Gedanken rasten, überschlugen sich und gerieten ins Stolpern. Sie war wahnsinnig. Vollkommen irre. Aleyna wurde leicht schwindelig. Hilfesuchend griff sie nach ihrer Kette. Sie ergab sich willig der Dunkelheit und sank ohnmächtig zu Boden.

       Noyan

      »Du hast was?« Palina starrte ihn an, als habe er den Verstand verloren. Sie hatte, wie angekündigt, im Wald auf ihn gewartet. Nun saß er ihr gegenüber und sah sie zerknirscht an. Ein tiefes Knurren entwich Palinas Kehle, und er zuckte zusammen. Ihre Tiergestalt war ein Leopard und sie marschierte vor ihm auf und ab, bis sie schließlich dicht vor seiner Schnauze stehen blieb und ihn fixierte.

      »Du hast ihr also deine zweite Gestalt gezeigt?!« Bei jedem Wort peitschte ihr Schwanz auf den Boden. Er zog den Kopf zwischen die Schultern. »Und dann ...«, Palina holte scharf Luft, »... dann hast du die bewusstlose Kleine zur Kapelle gebracht, damit der Bestatter sie findet und sich um sie kümmert?« Sie setzte sich vor ihm auf die Hinterpfoten und starrte ihn an, während er kleinlaut nickte. »Was sagtest du noch gleich über meine Unsensibilität?«

      Finster betrachtete sie ihn, während er sich unter ihren Worten wand. »Du weißt doch, wie wichtig das Mädchen für uns sein könnte, wenn sie das ist, was ich glaube! Was ist in dich gefahren, Noyan? Warum, bei der Göttin, hast du sie nicht hergebracht?«

      Noyan schloss die Augen. Palina konnte nicht ahnen, dass er sich genau das seit heute Morgen auch fragte. Er hatte schon viele Besuche auf dieser Seite der Welt hinter sich. Auch Mischlinge waren ihm zu Genüge über den Weg gelaufen. Doch Aleyna war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn, den Einzelgänger in selbst gewählter Einsamkeit. Er hatte ihre Emotionen gefühlt, als wären es seine eigenen. Was also war in ihn gefahren, warum hatte er sie dort gelassen, anstatt sie einfach mit nach Rondaria zu nehmen?

      Er schüttelte sein Fell aus. »Ich hab es doch versucht!«, setzte er dennoch zu einer Verteidigung an. »Meine Gabe hat bei ihr nicht gewirkt!« Er hob die Pfote an und musterte sie erneut. Die Fähigkeit, wegen derer man ihn im Zirkel aufgenommen und ausgebildet hatte, nannte sich Mediation. Durch bloßes Handauflegen konnte er andere Wesen beeinflussen. Nur Aleyna nicht. Für ihn war es unbegreiflich, dass es bei ihr nicht geklappt hatte. Ein leiser Seufzer entwich ihm. »Sie wird uns helfen, wenn sie diejenige ist, für die du sie hältst!« Die Königin knurrte und Noyan erhob sich. »Ich werde mich darum kümmern, gib mir noch eine Chance.«

      Palina warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Diese Sache ist wichtig, Noyan! Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass dieser Mischling das Wesen aus meinem Traum ist.«

      Urplötzlich meldete sich der ungewollte Beschützerinstinkt wieder und ein tiefes Grollen wollte in ihm aufsteigen. Es gelang ihm nur mit Mühe, es zu unterdrücken und seine Königin nicht anzuknurren. Was war nur los mit ihm? Schon zum zweiten Mal verspürte er diesen unbändigen Drang, Aleyna zu beschützen, obwohl sie ihm völlig fremd war. Und verdammt: Palina war die Anführerin seines Volkes! »Der Mischling heißt Aleyna, und ich weiß, dass sie wichtig ist!«, presste er nur mühsam beherrscht hervor.

      Nein, er hatte die Prophezeiung nicht vergessen. Wie könnte er auch, wo sie doch allgegenwärtig war? Die Königin war nicht nur die Gemahlin des Alphatiers, sondern auch eine Sehende. So nannte man in Rondaria die Wandler, die die Fähigkeit besaßen, Ereignisse vorherzusehen. Meist waren es Träume, die eine Zeit des Umschwungs oder Gefahren ankündigten. Aber manchmal waren auch schwerwiegende Weissagungen dabei.

      Zwei Jahre, nachdem der König verschwunden und die Seuche, damals noch unerkannt, über das Land gekommen war, hatte die Königin einen solchen Traum gehabt. Das war mittlerweile lange her, aber noch immer wusste man ihre Vision nicht recht zu deuten, obwohl der innere Zirkel, zu dem auch er gehörte, es immer wieder versucht hatte.

      Es war weithin bekannt, dass ein Wesen mit violetter Aura eine zentrale Rolle darin spielte. Und Palina schien zu glauben, dieses Wesen in Aleyna gefunden zu haben. Gut, ihre Aura war violett, aber weder lebte sie in Rondaria, noch schien sie zu wissen, wer und vor allem was sie wirklich war. Konnte es wirklich sein, dass das Schicksal seines Volkes in den Händen einer Unwissenden lag?

       Palina

      Aufmerksam beobachtete sie Noyans Mienenspiel, während er grübelte. Diese fürsorgliche, fast schon beschützende Seite kannte sie nicht an ihm. Vor gut vier Jahren war er im inneren Zirkel aufgenommen worden, weil auch er eine besondere Gabe besaß, die es zu fördern und richtig auszubilden galt. Diesen Zirkel gab es schon seit Hunderten von Jahren, er war einst von einem Alphatier gegründet worden und ein wichtiger Bestandteil der rondarischen Gesellschaft.

      »Es wird einen Grund dafür geben, dass du sie nicht beeinflussen konntest. Du bist ein guter Mediator! Dieser Ansicht ist sogar Chiron. Und wenn er das sagt ...« Sie unterdrückte das Schmunzeln, das in ihr aufsteigen wollte, als sie den Bären erwähnte. Es war ein offenes Geheimnis, das Noyan und Chiron, der Anführer der königlichen Garde, sich nicht sonderlich grün waren.

      Der Wolf murrte ungehalten. »Chiron redet dir bloß nach der Schnauze. Ihm bleibt ja nichts anderes übrig, schließlich ist er dein Gefährte.«

      »Das ist er nicht«, widersprach sie heftig. »Jedenfalls nicht ... so.« Der Bär teilte ihr Bett. Und sonst nichts. Sie wusste zwar, dass er viel mehr wollte, aber - bislang hatte sie sich immer dagegen gewehrt. »Daeron ist mein Gefährte!«

      Es war jetzt fünfzehn Jahre her, dass ihr Mann Daeron, das Alphatier des Volkes, verschwunden war. Die wochenlange Suche nach ihm war nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Mit der Zeit wurden immer mehr Stimmen laut, die sagten, dass er tot sei, aber sie wollte dies aus verschiedenen Gründen bis heute nicht wahrhaben. Sie war davon überzeugt, dass sie es hätte spüren müssen, wenn er tot wäre.

      Noyan hob die Pfote und berührte damit ihre. »Daeron lebt nicht mehr, Palina«, sagte er leise.

      »Das wissen wir nicht mit Sicherheit!« Unmut machte sich in ihr breit. Daeron war ihr Seelengefährte gewesen, ihre große Liebe. In einer besonderen Zeremonie hatten sie ihr Blut miteinander getauscht, eine tiefe Verbindung, die weitaus mehr bedeutete als nur die Worte, die man dabei sprach. Mit ihrem Versprechen an den weißen Löwen war sie Königsgemahlin geworden,


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