Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1. Hannes Wildecker

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atmete das süßlich-herbe Parfum, das sie umschwebte. Er schluckte, denn irgendwie fühlte sich sein Mund mit einem Mal trocken an.

      „Nein, sein Name ist hier nicht zu sehen“, versuchte er in klarer Ausdrucksweise von sich zu geben. „Das sind insgesamt … acht Parteien, zwei davon haben keine Namensschilder.“

      „Vielleicht sind die Wohnungen zurzeit leer.“

      „Ja, oder aber man hat einen Grund, seine Existenz vor anderen zu verheimlichen.“

      „Wie will denn jemand seine Existenz verheimlichen, wenn er mit anderen Parteien in einem Haus wohnt. Wie soll das geschehen?“

      „Nicht vor denen in diesem Haus. Vor andern. Vor Besuchern. Vor der Polizei, vor der Steuer …“

      „Vor uns.“

      „Wie, vor uns? Balthoff kann unmöglich wissen, dass wir ihn aufsuchen wollen. Aber es gibt da noch eine andere Begründung.“

      „Und die wäre?“, fragte Maggie und tat gespannt. Sie wusste die Antwort. Sie hatte sie schon gewusst, als sie das Fehlen der Namensschilder festgestellt hatte. Balthoff wusste, was mit zwei seiner ehemaligen Kumpane geschehen war. Wenn er auch nur ein wenig klar denken konnte, dann musste er damit rechnen, dass er spätestens das übernächste Opfer sein würde.

      „Er hat Angst vor seinem Mörder.“ Satorius drückte auf einen der beiden Klingelknöpfe, die ohne Namensschilder waren. Es dauerte nur eine kurze Zeit, da öffnete sich im Geschoss über ihnen ein Fenster und ein glatzköpfiger Mann in den Vierzigern ließ sich bis zum Oberkörper aus dem Fenster hängen. Mit seinem ehemals weißen Unterhemd schien er offensichtlich nicht zu ersten Mal die Fensterbank vom Staub zu befreien.

      „Was ist los da unten? Was wollt ihr?“, rief er in einer Lautstärke, die ausgereicht hätte, jemanden in hundert Metern Entfernung auf sich aufmerksam zu machen.

      „Wohnt hier ein Herr Balthoff“, rief Maggie, ehe Satorius etwas sagen konnte. Schnell flüsterte sie ihm zu: „Die Stimme einer Frau wird ihn nicht beunruhigen, falls er da drin ist.“

      „Ein Herr Balthoff wohnt hier ganz bestimmt nicht“, tönte es von oben herunter. „Herr Balthoff, dass ich nicht lache“, lachte der Mann verächtlich und schlug das Fenster zu.

      „Zumindest wissen wir nun, dass diese Klingel nicht zu der Wohnung von Balthoff gehört.“ Maggie sah Satorius an und auf einmal hatte er Mühe, ihrem Blick standzuhalten. „Was meinen Sie? Was sollen wir tun? Die andere Klingel drücken und warten, was geschieht?“

      Satorius dachte nach. Wenn wir jetzt klingeln, öffnet er die Tür, oder er haut ab, weil er vielleicht glaubt, es ginge ihm an den Kragen, dachte er. Er überlegte kurz und entschied sich dann für eine andere Vorgehensweise.

      „Wir wissen nicht, in welcher Etage er wohnt. Also, alles auf eine Karte.“ Satorius legte seine Hand auf die Klingelknöpfe, wobei er genau darauf achtete, die nicht zu drücken, die soeben den sarkastisch lachenden Mann ans Fenster befördert hatte. „Einer wird uns doch sicher öffnen, ohne nachzufragen“, sagte er leise.

      Dann geschah einiges auf einmal. In den oberen Geschossen öffneten sich Fenster und Stimmen wurden laut, die fragten, was denn da unten los sei. Zugleich aber wurde der Summer betätigt. Satorius drückte die Tür auf und gab Maggie ein Zeichen, ihm zu folgen.

      „Wir tasten uns vor bis zu seiner Korridortür und sehen, was dann geschieht.“

      Balthoff hatte seine Wohnung im Erdgeschoss auf der rechten Seite. Sogar ein Namensschild hatte er angebracht. Aus der gegenüber liegenden Wohnung hörte man leise Geräusche, der Fernseher lief. Von hier aus führte auch eine Treppe ins Kellergeschoss und nach oben zu den restlichen Wohnungen.

      „Sind Sie bereit?“ Satorius sah Maggie erwartungsvoll mit einem leichten Lächeln im Gesicht an. „Ich werde nun läuten.“

      „Ich bin bereit“, flüsterte Maggie.

      Satorius bemerkte nicht, wie ihre Hand in ihrer Handtasche verschwand und das kalte Metall ihrer kleinen Pistole umklammerte. Sie würde ihre Rache bekommen, daran würde Satorius auch nichts ändern. Wie auch immer er sich verhalten würde, es interessierte sie nicht. Sie sah, wie sein Zeigefinger langsam über den Klingelknopf fuhr, so als könne er sich nicht entscheiden, ihn zu betätigen. Mit einem letzten Blick auf Maggie drückte er auf den Knopf.

      Die Glocke läutete laut und schrill. Es blieb ruhig. Satorius zuckte mit den Schultern.

      „Vielleicht …“

      Dann verstummte er plötzlich. Hinter der Korridortür hatte sich etwas bewegt. Ein Schatten. Doch niemand machte Anstalten, die Tür zu öffnen.

      Maggies Hände wurden feucht, so krampfhaft

      umklammerte sie die Waffe in ihrer Handtasche. Satorius starrte angestrengt durch die diffuse Drahtglasscheibe, den Finger immer noch auf dem Klingelknopf in der Absicht, erneut zu läuten.

      Dann geschah etwas, mit dem weder er noch Maggie gerechnet hatten.

      Kapitel 28

      Overbeck stand am Fenster des gemeinsamen Büros und sah über die Häuser der Stadt Trier. Er war an diesem Morgen früher als gewohnt zum Dienst erschienen und hatte sich gewundert, dass Leni bereits an ihrem Platz saß und einen Stapel Akten vor sich liegen hatte.

      Auf den Straßen in der Nähe des Präsidiums fuhren nur wenige Fahrzeuge an diesem Morgen. Ausschlaggebend war sicherlich auch die Baustelle an der sonst verkehrsträchtigen Kreuzung, eine willkommene Verkehrsberuhigung für Anwohner und Fußgänger.

      „Rainer Balthoff, Franco Romano“.

      Overbeck transportierte diese beiden Namen gedankenverloren in den Raum. Vor seinem geistigen Auge tauchten die beiden Toten Dellmann und Kerner auf, ihre Gesichter bis zur Unkenntlichkeit deformiert. Er und Leni hatten nicht verhindern können, dass der zweite Mord geschah, auch nicht die Hermeskeiler Polizei. Wie auch? Es gab nach der Entlassung der vier Mörder aus der Haftanstalt keine Ursache, hinter ihnen her zu ermitteln. Sie hatten ihre Strafen abgesessen und waren entlassen worden. Die Presse berichtete kurz darüber, dann nahm das Leben seinen gewohnten Verlauf. Nein, sie alle brauchten sich keine Vorwürfe zu machen.

      Bis heute. Spätestens nach dem Mord an Kerner mussten sie davon ausgehen, dass zwei weitere Menschen in großer Gefahr schwebten. Zwei Männer standen an der Schwelle des Todes und waren nicht in der Lage, den Angriff auf sie aufzuhalten. Denn er würde unerwartet kommen. Vielleicht würden sie sogar in die Vorbereitungen zu ihrem eigenen Tod mit einbezogen. Vielleicht spielte der Täter mit ihnen. Vielleicht kannten sich Opfer und Täter ja sogar. Wo sollten sie mit der Suche beginnen, wie sollten sie die zukünftigen Opfer schützen? Wer waren die Täter, was waren ihre Motive?

      „Was meinst du?“, fragte Leni ohne aufzusehen und blätterte weiter in den Akten, als suche sie etwas Bestimmtes.

      „Was ist?“ Overbeck riss es aus seinen Gedanken.

      „Was ist mit Rainer Balthoff und Franco Romano?“ Leni wartete die Antwort nicht ab. „Balthoff wohnt in Koblenz und Romano ist ins Nachbarland Luxemburg verzogen. Ich habe mit der dortigen Gendarmerie gesprochen. In Echternach betreibt er eine Pizzeria. Da Franco heißt sie bezeichnenderweise.“

      „Hast du die Kollegen über die Brisanz der Angelegenheit informiert?“

      „Ja, aber sie sehen keine Veranlassung, groß tätig zu werden. Ich habe sie gebeten, dass sie Romano zumindest von der Gefahr, in der er sich … befinden könnte, in Kenntnis setzen sollen.“

      „Das ist überflüssig. Glaub mir, er weiß, in welcher Gefahr er sich befindet. Ich gehe mal stark davon aus, dass er auch bereits Maßnahmen getroffen hat. Immerhin ist er Italiener.“

      „Was heißt das? Er ist Italiener.“

      „Vielleicht hat er Freunde, die auf ihn aufpassen. Oder eine große Familie?“

      „Ja,


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