Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1. Hannes Wildecker

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konnten. Er wollte Krauss die Verantwortung zurückgeben. Der sollte sich etwas einfallen lassen. Schließlich hatte er die Leitung der Kriminalpolizeiinspektion. Auch wenn Krauss weiterhin als Inhaber dieser Position darauf bestehen sollte, dass er und Leni … er würde es darauf ankommen lassen.

      Leni nahm das Fax in Empfang und dankte dem jungen Kollegen mit einem Blick, der ihm die Röte ins Gesicht schießen ließ. Er stolperte aus dem Raum und als sei die Türöffnung für ihn zu klein, prallte er mit der Schulter dagegen. Das bewirkte nur umso mehr, dass die Farbe in seinem ohnehin blassen Gesicht noch mehr anstieg und er sich mit einem unverständlichen Gestammel, das sich wie eine Entschuldigung anhörte, verschwand.

      Leni faltete, noch belustigt von dem Vorfall, das Fax vor sich auf dem Schreibtisch auseinander und begann den Inhalt zu lesen. Ihr Gesicht erhielt einen erst interessierten, dann verwunderten und schließlich ungläubigen Ausdruck. Nachdenklich sah sie in die Richtung des Fensters und beobachtete, wie die Sonne langsam hinter einer Wolke hervorkam und mit ihren Strahlen die Stadt erhellte.

      Dieses Fax brachte um einiges an Klarheit in die Angelegenheit. Es hatte den Anschein, als sollten nun die Gesetzmäßigkeiten der Kriminalistik den Ermittlern beweisen, dass sie wie siamesische Zwillinge zusammengehörten: Motiv und Tatverdacht.

      „Es war Krauss` Idee“, sagte Leni später, als sie eine Zeitlang über dem Fax gesessen und den Inhalt in sich aufgesogen hatten. „Eine gute Idee, das muss man ihm lassen. Warum sind wir nicht selbst darauf gekommen?“

      Die Frage blieb kurz im Raum stehen. Overbeck war zu seiner Trainingspuppe hinübergegangen und versetzte ihr ein paar leichte Schläge mit dem Handrücken. „Haisho Uchi“, flüsterte er vor sich hin und schlug mit dem Handrücken mehrmals leicht gegen den Brustbereich. Dann formte er dieselbe Hand zur Faust, ohne ihre Stellung zu verändern, setzte blitzschnell den linken Fuß zur Seite an und traf die gleiche Stelle an der Puppe mit den Knöcheln. Es ächzte aus der Puppe heraus und man hatte den Eindruck, als wolle ein lebender Mensch seinen Mageninhalt vor Overbeck ausleeren. „Uraken Uchi!“

      „Hast du einen Grund, dich abzureagieren?“ fragte Leni, die sich langsam daran gewöhnte, dass Overbeck zu den verschiedensten Zeiten, meist dann, wenn er überlegte, der Puppe ein paar Schläge oder Tritte verpasste. Auch wunderte Leni sich nicht mehr darüber, dass er ab und zu seine Techniken beim Namen nannte.

      „Es war nicht Kraus` Idee. Erinnere dich. Wir beide haben am Tatort darüber gesprochen, dass wir Interpol einschalten wollten. Wir haben es einfach vergessen. Vergessen, verstehst du? Weil wir zu viel am Hals haben. Und Krauss wollte uns noch eine Observation aufdrängen. Aber nicht mit mir.“

      „Hast du ihm das gesagt?“

      „Er wird seinen Auftrag nicht wiederholen.“

      „Zehn Jahre ist das nun her“, sagte Leni plötzlich.

      „Was ist zehn Jahre her?“

      „Vor zehn Jahren flogen zwei Flugzeuge in den Twin-Tower in New York.“

      „Ich weiß.“

      „Dabei kam das Ehepaar Karl und Maria Kollinger ums Leben. Die Tochter, ich meine die Adoptivtochter, überlebte. Weil sie sich nicht in den Türmen befand.“

      „Und arbeitet als freie Journalistin in New York. Was ist daran so Besonderes?“

      „Ich finde es schon seltsam, dass man sie in ihrer Wohnung nicht angetroffen hat, wie uns die Kollegen aus Big Apple mitteilten.“

      „Sie arbeitet frei. Vielleicht ist sie hinter einer Story her, irgendwo im Land. Dass sie keinen festen Arbeitgeber hat, macht für uns die Sache natürlich komplizierter. Ich weiß nicht. Wenn sie diejenige ist, die sich rächen will, was ich wiederum verstehen könnte, hält sie sich in Deutschland auf. Und wo dort? Natürlich hier in unserem Umfeld, das bringt doch die Logik so mit sich. Wenn wir also den Verdacht hegen, dass sich diese Maggie Heidfeld, -so hieß sie doch, bevor sie zu Maggie Kollinger wurde-, irgendwo hier aufhält, muss das doch herauszubekommen sein.“

      „Ich schlage vor, wir geben eine Fahndung heraus“, sagte Leni. Haben wir das Geburtsdatum?“

      „Haben wir. Aber die Fahndung muss ohne eine Personenbeschreibung raus. Die Kollegen haben uns kein Foto übersandt.“

      „Ich werde Kontakt mit ihnen aufnehmen. Sie sollen uns alles übermitteln, was sie über Maggie Heidfeld wissen, einschließlich eines aktuellen Fotos.“

      „In Ihrem Ausweis wird Maggie Kollinger stehen“, verbesserte Leni.

      „Ja“, nickte Overbeck. „Das wird es wohl.“

      Kapitel 32

      Rainer Balthoff hatte es zu seinem klapprigen Escort geschafft und ließ sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hinter das Steuer fallen. Seine Wunde am rechten Oberarm schmerzte höllisch, doch die Blutung hatte aufgehört. Dafür hatte Balthoff selbst gesorgt. Er hatte seinen Hemdsärmel an der Schulter vom Hemd abgerissen und ihn fest um die Wunde gewickelt.

      Seine Gedanken rasten. Man war hinter ihm her, so viel war sicher. Es lief genau anders herum, als er es sich vorgestellt hatte. Er dachte an das Versprechen, das er sich selbst gegeben hatte. Ich werde den Spieß umdrehen! Derzeit sah es eher umgekehrt aus. Er war der Gejagte und er wusste nicht einmal, wohin er sich wenden, wo er sich verstecken konnte. Er musste Unterschlupf finden, irgendwo. Und er musste sich einer ärztlichen Behandlung unterziehen, daran kam er nicht vorbei. Er versuchte, mit der rechten Hand das Lenkrad zu fassen. Als er die Finger um die Polsterung legte, brannte sein Arm. Er entschied sich um und legte die rechte Hand auf den Schaltknüppel. Er würde mit der linken Hand lenken und versuchen, im zweiten und dritten Gang zu fahren. Damit wollte er ein ständiges Schalten umgehen und somit seinen Arm weniger belasten. Es schmerzte höllisch, als er den zweiten Gang einlegte und langsam auf die Fahrbahn rollte. Er blickte durch den linken Außenspiegel und als der Verkehr sich lichtete, fädelte er sich ein.

      Hätte er durch den Rückspiegel gesehen, hätte er den dunklen Golf bemerkt, der nahezu gleichzeitig mit ihm in die gleiche Richtung losfuhr.

      Kapitel 33

      „Wir haben es vermasselt“, entfuhr es Satorius resignierend, als sie über die A 48 in Richtung Mehren brausten. „Es hatte keinen Sinn, noch länger in Koblenz nach Balthoff zu suchen. Der Mann war total verstört. Ich hatte das Gefühl, er sah sich verfolgt. Vielleicht hat er in uns seine Mörder gesehen und ist durchgedreht.“

      „Verstört?“ Maggies Stimme war laut und sie versuchte, auf Satorius einen erbosten Ausdruck zu projizieren. „Verstört?“, wiederholte sie. Der Mann hat auf mich geschossen. Er hätte mich umbringen können. Wir sollten zur Polizei und den Vorfall melden.“

      Maggie wusste, was Satorius antworten würde. Als er es tat, lächelte sie insgeheim.

      „Nein, keine Polizei“, winkte er schnell ab, so, wie sie es erwartet hatte. „Es wäre mit zu vielen Unannehmlichkeiten für uns verbunden. Wir werden ein anderes Mal versuchen, Balthoff zu interviewen. Vielleicht sollten wir uns zuerst seinem Kumpan, dem Mittäter von damals, widmen. Es gibt da allerdings ein Problem.“

      „Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wo er sich aufhält, nicht wahr?“, sinnierte Maggie und das Nicken Satorius bestätigte sie in ihrer Vermutung. Bei der anschließenden Frage ihres Begleiters schlug ihr Herz höher.

      „Es muss doch herauszufinden sein, wo sich die Tochter des ermordeten Ehepaares von damals aufhält. Wie es heißt, ist sie mit ihren Pflegeeltern nach Amerika ausgewandert. Wo also ist sie?“

      „Sie sind aber informiert“, versuchte Maggie ihr erstauntestes Gesicht zu machen, dass sie unter diesen Umständen zustande brachte. „Woher wissen Sie das alles?“

      „Diese Kommissarin … ich sprach bereits von ihr, hat so etwas angedeutet. Ich hatte den Eindruck, dass sie selbst völlig im Dunklen tappt.“

      „Es


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