Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1. Hannes Wildecker

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weiter aus dem Fenster gesehen und drehte sich nun zu Leni um. “Was würdest du tun, wenn du wüsstest, es ginge um dein Leben und die Gefahr könnte jeden Tag zu irgendeiner Zeit aus irgendeiner beliebigen Richtung kommen?“

      „Ich würde die Polizei einschalten.“

      „Die dann Tag und Nacht auf deinem Schoß sitzen würde? Glaube mir, bewachen können dich nur Leute, die Tag und Nacht um dich herum sind, nicht die Polizei. Aber das brauche ich dir ja nicht zu sagen. Nein, ich gehe davon aus, dass er selbst versuchen wird, sich zu schützen, auf welche Art oder mit welchen Personen auch immer.“

      Leni legte die Stirn in Falten und blätterte weiter in den Akten. „Ich habe auch die Kollegen in Koblenz gebeten, zu Balthoff zu fahren und ihn über seine Situation aufzuklären.“

      „Und ich weiß auch schon, was sie dir geantwortet haben.“

      Leni sah auf und ihr Blick verdunkelte sich.

      „Siehst du, ich habe Recht. Sie haben dir zwar zugesagt, im Rahmen einer Dienstfahrt bei Balthoff vorbeizufahren, nicht mehr und nicht weniger. Stimmt`s?“

      „Ja, es stimmt, Nepumuk“, rief Leni und schlug den Aktendeckel zu, dass es staubte. „Was ist, wenn wir morgen oder übermorgen einen weiteren Toten haben. Einen, dem sie das Gesicht zerschlagen haben. Na, was dann? Können wir dann in aller Gelassenheit sagen, dass wir ja alles getan haben. Dass wir das nicht haben verhindern können, dass …!

      „Leni!“, wurde nun auch Overbeck in seinem Tonfall lauter. „Du weißt genau, wie das läuft. Wenn wir eine Straftat verhindern können, dann tun wir das. In unserem Fall haben wir alles getan, was in unserer Macht steht. Die zuständigen Dienststellen wissen Bescheid …“

      „Und wir sind den schwarzen Peter los. Das willst du doch wohl sagen. Soll ich dir mal was sagen? Ich bin nicht Polizistin geworden, um tatenlos mit anzusehen, wie Menschen umgebracht werden.“

      „Aber du kannst es nicht verhindern“, sagte Overbeck nun leise. „Du nicht, ich nicht und auch nicht die Kollegen, die du informiert hast. Du wirst sehen, der Mörder wird sein Ziel erreichen. Und noch was.“

      „Was?“, fragte Leni, den Kopf in beide Arme gestützt.

      „Nenn mich nicht Nepumuk.“

      Kapitel 29

      Langsam bewegte sich Satorius Zeigefinger in Richtung des Klingelknopfs. Sein erstes Läuten war unbeantwortet geblieben, zuerst. Doch dann hatten er und Maggie Geräusche gehört, ein Scheppern, als seien Töpfe oder sonstige metallene Gegenstände zu Boden gefallen. Sie kamen auf der Wohnung im Erdgeschoss, offenbar der Behausung Balthoffs. Dann war alles wieder still.

      „Da war doch jemand“, hörte er Maggie neben sich sagen, während er verzweifelt versuchte, durch die milchige Glasscheibe etwas im Inneren des Hausflurs zu erkennen. Es blieb ruhig und ohne Bewegung.

      „Ein Hinterausgang? Aus seiner Wohnung?“, flüsterte Maggie und sah Satorius fragend an. „Soll ich nachsehen?“

      Ehe Satorius eine Antwort herausbrachte, war sie schon davongeeilt, an der linken Seite des Hauses vorbei. Dann war sie verschwunden.

      Satorius schüttelte den Kopf. Frauen, dachte er. Ohne Überlegung einfach handeln. Musste das jetzt sein? Was war, wenn Balthoff ihr tatsächlich über den Weg liefe? Bei dem Gedanken, dass Maggie etwas zustoßen konnte, begann sein Herz höher zu schlagen. Er lauschte noch einen Moment, dann beschloss er, ihr zu folgen.

      Als er sich von der Tür wegdrehte, fiel ein Schuss.

      Meg! war sein erster Gedanke. Dann merkte er, wie er lief, automatisch, ohne nachzudenken. Er lief an dem Haus vorbei, den Weg entlang, den Maggie genommen hatte und bog um die Ecke.

      Meg!

      Gott sei Dank!

      Maggie stand mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt. Mit beiden Händen drückte sie ihre Handtasche gegen ihren Körper. Satorius sah, dass sie zitterte.

      „Was ist geschehen“, rief er und eilte auf sie zu. „Wer hat geschossen?“

      „Da …!“, stotterte Maggie. „Er ist dorthin gelaufen. Durch die Hecke. Er ist weg.“

      „Wer ist weg? Was ist geschehen? Sagen Sie es doch.“

      „Es muss Balthoff gewesen sein.“ Maggie atmete schwer. „Er hatte eine Pistole. Er kam dort aus dem Hinterausgang. Scheint zu seiner Erdgeschoss-Wohnung zu führen.“

      Sie zeigte mit der rechten Hand dorthin, wo sich eine Metalltür befand. Offensichtlich war sie wieder zugefallen oder hatte einen automatischen Türschließer. Mit der anderen Hand presste sie weiter ihre Handtasche gegen ihren Körper.

      „Hat er auf Sie geschossen?“ Satorius kam auf sie zu. Er hatte das Bedürfnis, sie irgendwie zu beruhigen. Am liebsten hätte er sie in die Arme geschlossen und sie hätte sich an seiner Brust ausgeweint. Doch er hielt sich zurück und wartete auf ihre Antwort.

      „Er hat geschossen. Nicht auf mich. Vielleicht wollte er mich nur erschrecken. Dann ist er davongelaufen. Ich möchte hier weg.“

      Sie sagte es im gleichen Atemzug und der verstörte und ängstliche Blick fiel bei Satorius auf fruchtbaren Boden.

      „Ja, lassen sie uns von hier verschwinden, bevor die Polizei eintrifft. Irgendjemand wird sie schon verständigt haben.“

      Er ergriff Maggies Hand und lief am Haus vorbei in die Richtung, wo er das Auto abgestellt hatte. Maggie stolperte hinter ihm her und konnte auf ihren Schuhen mit den hohen Absätzen nur schwer das Gleichgewicht halten.

      Sie saßen kaum im Auto, als sie die herannahenden Polizeisirenen hörten. Satorius legte den Gang ein und langsam und unauffällig verließen sie den Ort, an dem sie glaubten, etwas erfahren zu können.

      Satorius schlug den Weg zurück nach Hermeskeil ein. Hier konnten sie nichts mehr erreichen. Er hielt es für unsinnig, heute noch nach Balthoff zu suchen. Der würde irgendwo untertauchen und der Grund lag offensichtlich auf der Hand. Er wusste, dass man hinter ihm her war und Satorius bedauerte es aufrichtig, dass er kein Interview mit ihm führen konnte. In der momentanen Situation hätten die Aussagen einiges bewirken können. Er, Satorius, hätte die gewünschten Informationen für seine Storys gehabt und vielleicht hätte der Täter gerade durch die Veröffentlichung zumindest sein Vorhaben verschoben. Zeit, um neue Strategien zu erarbeiten, für die Polizei, für ihn selbst als Sensationsreporter.

      Während der Wagen die Stadt verließ und die Autoauffahrt nahm, öffnete Maggie, die bis dahin kein Wort gesprochen hatte, ihre Handtasche und brachte ein seidenes Taschentuch zum Vorschein. Sie klappte den Spiegel an der Sonnenblende auf und tupfte sich die Stirn ab. Mit einem Lippenstift zog sie die verblassten Konturen nach. Dann richtete sie ihre Frisur.

      Der offenen Handtasche entströmte ein Hauch von Pulvergeruch.

      Kapitel 30

      Rainer Balthoff öffnete die Korridortür seiner Erdgeschosswohnung. An der Haustür hatte jemand seine Klingel betätigt. Er hatte durch das Schlafzimmerfenster vorsichtig nach draußen geschaut und einen Mann bemerkt, der vor der Haustür stand. Da er halb in der Türnische verschwand, war es Balthoff nicht möglich, sein Gesicht zu sehen.

      Der Mann klingelte kein zweites Mal, aber er blieb vor der Haustür stehen.

      Balthoff zögerte. Suchte man bereits nach ihm? Hatte der Mörder ihn schon gefunden? Kurz entschlossen fasste er einen Entschluss. Er raffte alles vorhandene Geld zusammen, steckte seine Autoschlüssel ein und griff nach seiner Jacke, die er gleich überstreifte. Er musste von hier verschwinden, vorerst. Er würde sich für einen Zeitraum verstecken, irgendwo, wo ihn niemand finden würde. Wo das sein würde, das wusste er selbst nicht. Sein einziger Gedanke war: Weg hier und zwar sofort.

      Dann klingelte es an seiner Wohnungstür. Offensichtlich hatte jemand


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