Beutezug. Sarah L. R. Schneiter

Beutezug - Sarah L. R. Schneiter


Скачать книгу
Hunderte, tausende Eindrücke vermengten sich zu einem Amalgamat aus Gerüchen, Geräuschen und Lichtern. Nani kannte solche Orte zur Genüge, bewegte sich in ihnen relativ entspannt, gar souverän; sie waren typisch für die warmen Breitengrade unzähliger Randwelten.

      Immerhin brachte der Abend Abkühlung, etwas, das in dieser Gegend als Geschenk des Universums gesehen werden musste. Nani war froh, zu dieser Tageszeit eingetroffen zu sein, sie kam zwar mit Hitze gut klar, nur war sie deswegen noch kein Fan von Temperaturen, die im Schatten dreißig Grad überstiegen. Lange wollte sie sowieso nicht hierbleiben, denn sie plante, in weniger als zweieinhalb Wochen in Deru, einem zentraler gelegenen System, zu sein. Alles, was der Abenteurerin noch fehlte, war eine Passage dahin und ihr war kaum danach, mit den überfüllten, stickigen Starbussen zu reisen, die zwar ein günstiges Transportmittel waren, aber ihr nicht einmal erlaubten, ihre Waffen auf sich zu tragen. Leicht berauscht von all den Eindrücken, die nach der langen Fahrt auf sie einprasselten, hätte Nani nahezu das Kamel übersehen, das auf sie zu trottete und sie gleichgültig anschnaubte. „Hey, pass gefälligst auf, Fremde!“, blaffte sie der grobschlächtige Kerl an, der das Tier herumführte, als sie im letzten Moment zur Seite trat. Beschämt, trotz ihrer sonst wachen Sinne in Tagträumen versunken zu sein, murmelte sie eine Entschuldigung, ehe sie ihres Wegs ging.

      Einige Stunden war Nani durch das Viertel geschlendert, ziellos das Nachtleben genießend, hier und da in einem Lokal haltmachend. Der Duft nach gebratenen Würsten vermengte sich mit dem von Räucherstäbchen, frischem Koriander sowie hier und da bedeutend weniger erbaulichen Gerüchen. Unzählige Welten hatte Nani bereits besucht, von reich bis arm, kosmopolitisch bis hinterwäldlerisch. Zuweilen überlegte sie sich, wie es kam, dass sie sich trotz allem an jedem Ort als fremd vorkam, wie eine, die sich zwar überall rasch anpassen und nicht auffallen konnte, doch keineswegs bleiben wollte. Sogar in ihrer Heimat war sie ein Fremdkörper gewesen, anders, unpässlich, stets auf der Suche nach oder der Flucht vor etwas. Sie hatte sich nach dem Auszug aus dem Elternhaus für einige Jahre an einer militärischen Karriere bei der Raumflotte der Vereinten Systeme versucht, mit demselben Resultat. Jetzt reiste sie ohne ersichtlichen Grund durch die Gegend, hielt sich mit meist kriminellen Gelegenheitsjobs über Wasser. Als Gaunerin mogelte sie sich nach bestem Wissen und mit mehr oder weniger Gewissen durch, tat, was auch immer sich gerade anbot. Eigentlich war sie ganz zufrieden mit ihrem Leben, so zufrieden eine, die sich selbst dazu entscheiden hatte, auf der anderen Seite des Gesetzes zu agieren und sozial abzusteigen eben sein konnte. Nur selten beschäftigte sie die Frage, wie um alles in der Galaxis sie als Kind liebevoller Eltern, einer gutbürgerlichen Familie, so tief hatte sinken können. Meist dagegen war sie mehr oder minder im Einklang mit sich selbst, lebte einfach in den Tag hinein.

      Ein unüberhörbares Grölen weckte Nanis Aufmerksamkeit und ließ sie ihre Grübeleien vergessen. Vor einer Bar, an deren Fassade unzählige bunte Lampions hingen, standen einige stark angetrunkene oder anderweitig berauschte Leute, die wie Raumschmuggler aussahen und lauthals diskutierten. Genau so einen Laden hatte sie gesucht, eine Hafenspelunke, in der sich alles herumtrieb, von Dockarbeitern über Gauner bis hin zu Frachtercrews. Jede Hafenstadt hatte sie, der Geschmack vieler abgehalfterter Raumfahrer änderte sich kaum, egal wo sie gerade waren, in solchen Löchern fühlten sie sich zuhause. Als erfahrene Reisende kannte Nani die Gepflogenheiten dieses Paralleluniversums; dies war der Ort, an dem sie eine billige Passage nach Deru fände. Und Drinks, sehr viele Drinks.

      Kurz entschlossen schritt die Reisende an der heiteren Gruppe vorbei und trat ein. Sofort schlug ihr rauchgeschwängerte, stickig-heiße Luft entgegen, begleitet von die Gehörgänge traktierender Swing-Musik einer grottenschlechten Live-Band. Über die Holo-Displays flackerten Hovercraft-Rennen, auf die eifrig gewettet wurde, unter den schummrigen grünen Lampen wurden Kartenspiele gezockt und an der langen Bartheke standen viele Gestalten, die so wirkten, als hätten sie vor ein paar Gläsern genug gehabt. „Home Sweet Home“, murmelte Nani trocken, während sie die beiden Stufen hinunter in den Raum trat. Tatsächlich war dies ihre Welt, wenn auch ein klitzekleiner Teil von ihr noch immer der Mittelschichts-Sprössling blieb, der angewidert den Mund verzog.

      An jedem Hafen sahen solche Bars gleich aus, schummrig, schäbig, chaotisch, meist laut; so auch hier. Raumfahrer, insbesondere die Gauner und Frachtleute unter ihnen, waren ein ganz eigenes Völkchen. Einem Wandschrank von einem Typen ausweichend, der aussah, als könnte er mehrere Profi-Wrestler zum Frühstück verspeisen, wenn ihm nur der Sinn danach stünde, gelangte Nani an die Theke und ließ sich auf einen freien Barhocker fallen. „Deronischer Whisky, nicht zu wenig und nicht der billige Kram“, rief sie dem Barkeeper zu, wohl wissend, dass sie höchstwahrscheinlich sowieso den „billigen Kram“ vorgesetzt bekäme. Es brauchte wirklich einen ganz besonderen Menschenschlag, um sich an solchen Orten souverän zu bewegen, ja gar auf eine lapidare Art entspannt zu bleiben. Die Herumtreiberin hatte einen dieser wenigen äußerst klaren Augenblicke, an denen man glaubte, einen Schritt von sich selbst zurücktreten und sich betrachten zu können. Was tat sie hier? Wieso um alles in der Galaxis hatte sie sich je zu einem solchen Lebenswandel entschieden, den vernünftige Menschen höchstens aus einer Notlage heraus wählten? Sie hatte dafür eine vielversprechende Militärkarriere zurückgelassen, ihr Heim auf einer sicheren Mittelwelt, ihren Wohlstand, alles, was für die meisten geistig gesunden Menschen erstrebenswert wäre. Bereuen kannte sie aber in diesem Kontext keineswegs, nein, in einer sauberen, strukturierten Existenz mit lauter Regeln und Vorgaben wäre sie nur eingeschränkt, frustriert, gefangen. Lange genug hatte sie sich selbst erstickt, war nahezu zugrunde gegangen …

      Mit einem lauten Knall stellte der Barkeeper sichtlich demotiviert das Glas mit dem Fusel vor die Glücksritterin, ihren Moment der Klarheit beendend. „Macht zehn Lipos.“

      „Cyka blyat“, brummte Nani, nicht im Geringsten daran interessiert, ob ihr Gegenüber in neurussischen Profanitäten bewandert war, als sie die Kreditchips auf die klebrige Theke warf. Immerhin wurde sie hier gerade aufs Übelste abgezockt, sie konnte ihn ruhig wissen lassen, dass sie begriff, wie wenig (oder besser, viel) er von seinem Geschäft verstand.

      Die Nacht war fortgeschritten, doch Nani hatte noch nicht gefunden, wonach sie suchte. Zuweilen dauerte es länger, bis man eine günstige Passage auf einem Frachtschiff zu der Welt bekam, auf die man wollte; die schäbige Hafenbar war jedenfalls der richtige Ort, eine Passage zu finden, daran hegte sie weiterhin keinen Zweifel. Die auf ihrer Erfahrung basierende Mathematik gab ihr jedenfalls Recht: Wenn man die vielleicht hundert Leute im Raum halbierte, hatte man die Raumfahrer, also fünfzig. Sie brauchte jemanden, der auch ein eigenes Schiff besaß oder in einer unabhängigen Crew war, das machte dann fünfundzwanzig. Deru war ein System, das groß und wichtig genug war, um jemanden aufzutreiben; zur Not musste sie halt ein, zwei weitere Bars aufsuchen.

      Entnervt schlurfte Nani, ihren vierten Drink haltend, zur letzten Ecke, in der sie sich noch umhören wollte. Zwar wäre sie auch noch rechtzeitig in Deru, wenn sie erst in einigen Tagen aufbrach, aber wenn man plante, dort gemeinsam mit einer alten Bekannten in eine Bank einzubrechen, wollte man pünktlich sein. Dies würde nicht Nanis erster Ausflug unter die Diebe, ihre Nervosität hielt sich dementsprechend in Grenzen, bis auf den Wunsch, endlich eine vermaledeite Passage zu finden. Der Alkohol, welcher ihr langsam zu Kopf stieg und ein leicht schummriges Gefühl gab, ließ sie hingegen kaum in ihrer Vorsicht nachlassen, es gab viele Verrückte, mit denen man versehentlich reisen konnte. Sie hatte selbst schon mehr als genug Erfahrungen und gar die eine oder andere Narbe gesammelt, um sich nicht auf jeden Deal einzulassen, der auf den ersten Blick verlockend erschien.

      Die Abenteurerin wurde auf einen großgewachsenen Mann mit nordischen Gesichtszügen aufmerksam, der einen dichten, dunklen Bart trug und eben laut lachte, obwohl er beim Kartenspiel verloren hatte. Sein Outfit war typisch für jemanden aus dem Frachtgeschäft: Dunkle Jeans, braune Lederjacke über einem unauffälligen Arbeiterhemd, das vor langer Zeit einmal weiß gewesen sein mochte. Nani sah prüfend auf seine Hände, sie waren stark und rau, die Hände eines Arbeiters. Soweit passte alles; sie schätzte ihn als Mitglied einer Frachtercrew ein, vielleicht gehörten einige der Leute am selben Tisch ebenfalls dazu. Ihre Erfahrung darin, Menschen aus diesen Kreisen zu lesen, ließ sie vermuten, dass er Captain war. Sie hätte selbst nicht sagen können, worauf sie achtete, wohl eine Mischung aus Gestik, Mimik und Verhalten, eigentlich war es ihr auch gleichgültig, so lange sie sich selten irrte.


Скачать книгу