Beutezug. Sarah L. R. Schneiter

Beutezug - Sarah L. R. Schneiter


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sie bei dem alten Frachter auf Liegeplatz 715 an, oder besser, stolperte über den flirrenden Asphalt. Die Vela war tatsächlich noch da! Beinahe majestätisch mutete das wie ein gigantisches Bauklötzchen wirkende Ding an, das da vor ihr auf dem Landefeld stand: Auf mehr als einen halben Kilometer lang, hundert Meter breit und fünfzig hoch schätzte sie es. Beeindruckt joggte Nani den Rest des Weges im Schatten des Kolosses, trottete die breite Laderampe hoch, an deren oberen Ende Marcus stand, wie der absolute Stereotyp eines Captains mit in die Hüften gestemmten Händen. „Noch fünf Minuten, dann wären wir abgehoben“, meinte er lachend, als sie völlig kaputt bei ihm anlangte. „Du weißt ja, in unserem Geschäft ist Zeit Geld.“

      „Du …“, begann sie, unterbrach sich aber, um endlich richtig durchatmen und ihre übersäuerten Muskeln entspannen zu können. Ein Würgereiz quälte sie, am liebsten hätte sie sich hier und jetzt auf dem kühlen Metall hingelegt und übergeben. Sie stützte die Hände auf ihren zitternden Oberschenkeln ab, konnte fühlen, wie Schweiß von ihrer Stirn in ihren Ausschnitt rann, auf den Boden tropfte. Die Übelkeit und den trockenen Mund ignorierte sie geflissentlich, schluckte stattdessen, was jedoch kaum half. „Du hast mir gar nicht gesagt, dass ihr einen regelrechten Großfrachter habt, ich dachte, ihr seid Schmuggler mit einem kleinen Schiff.“

      Noch immer amüsiert führte sie Marcus ins dunkle Innere des Leviatans und schloss mit einem Hieb auf den entsprechenden Schalter die Rampe hinter ihnen. „Nein, wir sind richtige Frachtleute, haben sogar einen Deal mit einer wichtigen Transportfirma. Ihr Anhalter seid nur ein nettes Zubrot zu all den Containern voller Konsumgüter.“ Er nahm das Com von seinem Gürtel: „Tosh, wir sind so weit, kannst abheben.“

      „Klar“, erklang die Antwort einer relativ jungen, männlichen Stimme, offenbar jener des Piloten, sogleich aus dem Gerät. „Haltet euch fest.“

      Ein harter Ruck, gefolgt vom schaurigen Knarren von Metall, durchlief den Rahmen des alternden Schiffes, als die Antigravitation hochfuhr und es den Kontakt mit dem Boden verlor. Ungerührt von dem Gerüttel und begleitet vom gequälten Quietschen der schließenden Laderampe schritt Marcus voran auf eine freistehende Metalltreppe zu. Gefolgt von Nani ging der Bärtige nach oben, wobei es ihr schwerfiel, nach ihrem Dauerlauf mit ihm mitzuhalten. Sie hatte das Gefühl, keine weitere Stufe mehr zu schaffen, verwehrte aber ihrem strapazierten Körper, aufzugeben. „Ich zeige dir jetzt deine Kabine und die wichtigsten Gemeinschaftsräume; bezahlen kannst du mich irgendwann unterwegs. Dann kannst du endlich duschen gehen.“ Er unterbrach sich, um sich kurz zu ihr umzuwenden. „Ach ja: Wieso warst du eigentlich zu spät?“

      „Lange Geschichte“, meinte sie in der Hoffnung, dass ihr Kopf endlich nicht mehr hochrot vor Anstrengung war. „Bin in einem fremden Bett aufgewacht.“

      „Lass mich raten: In jedem Hafen ein anderer Liebhaber?“

      „Was in der Art, nur pragmatischer“, antwortete Nani schulterzuckend. Sie begann die einsilbige Art des Captains zu schätzen, er vergeudete nicht allzu viele Worte, wenn er nüchtern war, nur Fragen stellte er ihr für ihren Geschmack trotzdem mehr als genug. Oben angelangt nahm Nani sich einen Moment, um sich umzusehen. Der Steg, auf dem sie stand, verlief offenbar von vorne nach hinten durch das ganze Schiff, war teils freihängend und teils in geschlossenen Segmenten verlegt. Er bot eine gute Aussicht über die kreuz und quer gestapelten Frachtboxen sowie Container. „Sehr ordentlich sieht das nicht aus“, meinte Nani, mit dem Daumen auf das gescheiterte Fracht-Tetris ohne rechte Winkel deutend. „Müsstet ihr die Ladung nicht sichern?“

      „Müsste ich dich nicht fragen, ob du was ausgefressen hast, Gangsterbraut?“ Er schmunzelte neben ihr hergehend. „Wir nehmen es hier nicht so besonders genau, gerade du solltest das zu schätzen wissen.“

      Sie langten in einem der Bereiche an, in welchem der Metallgittersteg auf eine solide Wand zu führte und in einen Gang mündete, nur um kurz darauf wieder in eine Halle überzugehen. Marcus bemerkte, wie Nani sich neugierig umsah und er erklärte: „Die Vela ist eigentlich ganz simpel aufgebaut, wir haben acht Frachträume, die längs nach dem Muster zwei mal vier angeordnet sind, also vier auf der Steuerbord- und vier auf der Backbordseite. Dazwischen, also einmal mittig und in regelmäßigen Abständen auch quer liegen die Bereiche mit Wänden, die alles zusammenhalten und in denen die Apartments und Maschinen sind. Die heißen Blöcke, verbunden werden sie über diese Stege. So viel Raum brauchen wir niemals, nur halten die Blöcke die ganze Struktur zusammen, darum ließen wir die drin. Die Vela ist ein altes Schiff, alles ist verwinkelt, aber du wirkst so, als ob du dich gut zurechtfinden könntest. Ganz oben sind weitere Räume, da wird auch deine Kabine sein, auf der Steuerbordseite.“ Nani folgte seinem Fingerzeig auf die mit Fachwerkträger verstrebte Decke und hoffte, dass sie einen Aufzug hoch nähmen; nach ihrem Sprint war sie nicht bereit, so weit Treppen zu steigen. In der Tat langten sie nach kurzem Marsch sehr zu Nanis Erleichterung bei einem Expresslift an.

      Nachdem der Captain Nani ihre Kabine gezeigt hatte, war er in Richtung der Brücke verschwunden. Demotiviert warf sie den Rucksack mit ihren Habseligkeiten auf das alte, hölzerne Bettgestell und versuchte darüber hinwegzusehen, wie spartanisch das Zimmer eingerichtet war. Mit wenigen Schritten trat sie zum kleinen Bullauge und konnte erkennen, wie weit der Planet bereits unter ihnen lag. Nicht mehr lange, ehe der Megafrachter in den Hyperraum sprang. Da die Reise über der Lichtgeschwindigkeit keine Com-Verbindungen zuließ, sollte sie sich beeilen, wenn sie noch einen Anruf machen wollte, die ersehnte Dusche musste warten. Nani pulte das Com aus ihrer Cargo-Hose, setzte sich an den Schreibtisch und stellte das Gerät vor sich hin, bevor sie ihm den Sprachbefehl erteilte: „Mom anrufen, Holo-Verbindung.“

      Während die Verbindung aufgebaut wurde, blendete sie für einen Augenblick die Sonne des Systems, dann drehte das schwere Schiff mit einem Rattern ab, das Gleißen verschwand unten rechts in ihrem Kabinenfenster. Schließlich materialisierte sich das Hologramm einer Frau in der Mitte ihrer Sechziger über dem Com auf der Tischplatte, sie war elegant angezogen, trug eine Perlenkette und hatte ihr ergrauendes Haar hochgesteckt. „Hallo Kleines, ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass du mich vor dem Ende deiner Reise anrufst. Ist alles gut bei dir? Du siehst, nun ja, mitgenommen aus.“

      Wie jedes Mal, wenn ihre Mutter sie „Kleines“ nannte, musste Nani ein trockenes Lachen unterdrücken, immerhin war sie vor kurzem dreiunddreißig geworden. „Ja, alles bestens, Mom, ich musste mich nur etwas beeilen. Mein Transport springt bald, also werde ich die nächsten paar Tage offline sein, ich wollte dir nur rasch Bescheid geben. Und wie geht es dir?“

      „Ach, abgetakelte Schiffe, die jederzeit explodieren können, nennt man jetzt ‚Transport‘? Wenn ich mir nicht gerade Sorgen um meine Tochter mache, die als Anhalterin durch die Galaxis tingelt und bei jedem Familienbesuch neue, mysteriöse Narben an ihrem Körper hat, ausgezeichnet, danke. Dad übrigens auch, er ist gerade im Büro.“

      Es war eine alte Geschichte: Nani was mit der Sorge ihrer Mutter stets leicht überfordert. Sollte sie sich aufregen, sich schuldig fühlen, versuchen, Mom zu überzeugen, Fatalismus als den richtigen Ansatz zu akzeptieren? Bis auf die Gesichtszüge hatten die beiden Frauen kaum viel gemeinsam, die eine gutbürgerlich und wohlbegütert, die andere ruhelos und abenteuerlustig. Bei ihrer Vorstellung musste Nani lachen.

      „Was ist?“, wollte ihre Mutter verwirrt wissen. Nani erklärte entschuldigend: „Mir ist nur gerade eingefallen, dass ich neben dir wie eine Obdachlose aussehe und du an den Orten, an die ich gehe, zweifellos ausgeraubt würdest. Also, wenn man dich so lange am Leben ließe, natürlich.“

      „Das ist nicht sonderlich beruhigend.“ Sie konnte ihr Amüsement kaum mehr gut kaschieren. Am Ende gelang es Nani stets irgendwie, die elterlichen Sorgen mit einigen dummen Sprüchen zu zerstreuen, zumindest oberflächlich. Man konnte ja, selbst wenn man das schwarze Schaf der Familie war, seiner Mutter schlecht sagen: „Mom, ich bin auf dem Weg, um mit einer galaxisweit gesuchten und leicht geistesgestörten Einbrecherin eine Bank auszurauben, ich werde euch aber im November sicher besuchen können.“ Das Ruckeln hatte aufgehört, offenbar hatte die Vela die Atmosphäre verlassen; bald wären sie beim Sprungpunkt angelangt.

      „Mom, wir werden gleich in den Hyperraum springen. Ich melde mich bald wieder, versprochen!“

      „Gute Reise,


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