Beutezug. Sarah L. R. Schneiter
sich seit ihren Jugendjahren verändert hatte. „Nein, Kinder werde ich niemals haben, soviel steht fest.“
Ihr Ganzkörper-Spiegelbild stand vor ihr, nackt, sehnig, eine kleine Mohnblume über dem linken Hüftknochen tätowiert, glotzte sie nur dumm an; was sollte es sonst auch tun? Einer verrückten Eingebung folgend schnitt sie sich einige Grimassen und verspottete ihren vermeintlichen Zwilling: „Na, du hättest kaum erwartet, in diesem Alter noch so eine Idiotin zu sein, oder?“ Von den ersten Fältchen in der bleichen Haut ihres Gesichts abgelenkt lamentierte sie lakonisch: „Fuck, echt jetzt? Ich werde langsam alt!“
„Hey, Herumtreiberin, sag mal, was soll das? Hat dir niemand gesagt, dass du nicht auf die Brücke darfst?“ Der Pilot sah Nani leicht missbilligend an, es fiel ihm jedoch schwer, dabei ein dämliches Grinsen zu unterdrücken. Kaum eine Crew hieß es offiziell gut, wenn Anhalter sich in den wichtigen Teilen des Schiffes bewegten, nur machten sich gerade auf heruntergekommen Frachtern die wenigsten Besatzungen die Mühe, ihre Regeln auch durchzusetzen. Nach unzähligen Reisen hatte sich Nani daran gewöhnt und legte bestenfalls noch den Respekt eines verzogenen Teenagers an den Tag, so lange niemand ein ernstes Wörtchen mit ihr sprach.
Sich auf dem erstaunlich großen Kommandodeck umsehend, trat die Abenteurerin neben den in ein hellblaues Hemd gekleideten Piloten. Der Raum war, im Gegensatz zu vielen seiner Pendants auf militärischen Schiffen, nicht in Weiß gehalten, sondern wurde von Oberflächen in altem, zerkratztem Metall dominiert. Zwei Kommandokonsolen, die vorne an dem mit vielen Verstrebungen versehenen Panoramafenster standen, bildeten den Mittelpunkt der als Halbkreis angeordneten Brücke. Tosh saß an der linken Konsole und hatte sich bei Nanis Eintreten umgewandt. Vermutlich war er damit beschäftigt gewesen, irgendwelche Funktionen des Schiffes zu prüfen. So lange die Vela im Hyperraum unterwegs war, unterlag sie der Kontrolle des Autopiloten und es war unmöglich sie bei dieser Geschwindigkeit manuell zu steuern.
„Was dagegen, wenn ich mich setze?“, wollte Nani mit einer lapidaren Geste auf den freien Sessel wissen, was Tosh sogleich verneinte. „Nur zu, wir sind unterwegs, die Vela fliegt sich selbst, also ist mir sowieso langweilig.“
„Okay.“ Sie ließ sich auf das abgewetzte, ermattete Kunstleder fallen, das mit einem skurril knarzenden Geräusch darauf reagierte. „Ist es aufwändiger, einen so großen Kasten vom Himmel fallen zu lassen, als ein kleines Schiff? Normalerweise bin ich mit bedeutend kleinerem Kaliber unterwegs.“
„Eigentlich kaum, plus die meiste Zeit fallen wir nicht vom Himmel“, überlegte Tosh, auf Nanis Scherz eingehend. „Ich bin zwar erst seit kurzem bei der Crew und auf der Vela, habe mich aber rasch an ihre Dimensionen und Eigenheiten gewöhnt.“
„Trotzdem fliegst du mit dem Äquivalent eines halben Stadtblocks durch den Raum. Wäre so etwas nicht für wesentlich mehr Crewmitglieder als euch vier gedacht?“
„Natürlich, nur kann man in unserem Gewerbe nicht wählerisch sein“, konterte der Pilot amüsiert und zündete sich eine Zigarette an. „Entweder Susan und Ramon halten das Ding mit Spucke und Kleister zusammen, oder wir müssen eines Tages sehr schnell bei den Rettungsbooten sein.“
„Na, das klingt ja nicht sehr optimistisch“, meinte Nani amüsiert. „Hauptsache, ihr haltet den Kasten am Leben, bis wir in Deru ankommen.“
Tosh gluckste und schwenkte seinen Sessel herum, um nach seiner Kaffeetasse zu greifen. „Keine Bange, die Vela ist eigentlich ganz gut beisammen, dafür, dass sie ein altes Schiff ist. Der Trick ist, sie auf einer Randwelt zu immatrikulieren, da sind die Bestimmungen weniger streng und man kann viele Jahre länger sinnvoll wirtschaften.“
„Ihr Frachtleute seid doch alle dieselben Gauner“, flunkerte Nani, als sie sich erhob, um sich auf den Weg zu ihrer Kabine zu machen. Immerhin warteten einige Folgen ihrer interaktiven Lieblingsserie auf sie, die sie vor dem Sprung in den Hyperraum heruntergeladen hatte. „Man sieht sich spätestens beim Abendessen, versuch so lange, das Schiff nicht zu zerstören.“
„Na?“ Se-Jin ging gutgelaunt neben der Abenteurerin her, die diesen Abend beim Essen wesentlich weniger getrunken hatte. Er wirkte ebenfalls nüchterner als in der letzten Nacht, wenn auch leicht angeheitert.
„Na, was?“, antwortete Nani verwirrt. „Na toll?“
Der junge Hacker brach in Gelächter aus und fuhr sich mit den knochigen Fingern durchs schwarze, schulterlange Haar. „Na ja, vielleicht, vielleicht auch nicht.“ Er schüttelte den Kopf, ganz so, als wollte er seine Frisur richten, an der Nani keinen Fehler entdecken konnte. „Du weißt schon …“
Nun dämmerte ihr, auf was er herauswollte. „So langsam habe ich eine Idee.“
„Genau.“ Er zuckte mit den Schultern, ehe er so direkt, wie Nani es nur selten erlebt hatte, fragte: „Also: War das ein One-Night-Stand oder wollen wir daraus ein Arrangement für die Dauer unserer Reise machen? Für mich spricht nichts dagegen.“
Sie kam nicht umhin, ihn für seine direkte Art zu respektieren. Diese Qualität fand sie nur allzu selten in einem ihrer Mitmenschen und sie war der Meinung, dass er eine genauso direkte Antwort verdient hatte. „Für mich spricht auch nichts dagegen.“ Nach einem Augenblick, in dem sie sich überlegt hatte, ob sie etwas ergänzen sollte, fügte sie hinzu: „Nur möchte ich fair sein: Ich date nicht und muss den ganzen emotionalen Kram vorneweg ausschließen. Wenn man so viel auf Reisen lebt wie ich, ist eine Beziehung nicht praktikabel und ich finde es fair, sowas von Beginn an zu klären.“
„Alles klar, das sehe ich genauso, Badass“, meinte Se-Jin grinsend. Ehrlich, dieser junge Hacker war der perfekte Reisegefährte, für ihren Geschmack zudem noch attraktiv und, nun ja, sportlich. Nur etwas blieb, das sie um jeden Preis klären musste: „Musst du mich unbedingt ‚Badass‘ nennen?“
Seine Antwort kam prompt und ließ Nani bereuen, ihr Anliegen als Frage formuliert zu haben: „Ja.“
„Irgendwo hier muss es sein“, murmelte Nani indigniert, um eine weitere der unzähligen Kreuzungen biegend. Ihre Schuhe machten auf dem metallenen Bodenrost, durch den sie die Schemen von Rohren und Leitungen erkannte, laute Geräusche. Mittlerweile war sie bereits einige Tage unterwegs und es fiel ihr immer leichter, sich in dem verworrenen Layout der Vela zurechtzufinden. Nicht, dass sie wirklich viele Orte erkannt hätte, die unzähligen Gänge, Treppenhäuser, Stege und Frachthallen sahen nahezu identisch aus, aber die überall aufgemalten Nummern der Segmente des Schiffes vereinfachten es ihr ungemein, ihren Weg zu finden. Nur hatte sie sich bisher kaum die Mühe gemacht, den Aufenthaltsraum, das Wohnzimmer dieser fliegenden Wohngemeinschaft, aufzusuchen.
„Mistding von einem Schrottfrachter“, wetterte sie leise vor sich hin, etwas, das sie vor der Crew auf keinen Fall getan hätte; die meisten Besatzungen legten relativ wenig Humor an den Tag, wenn man ihr Schiff beleidigte. „Da will man nur ein vermaledeites Bier trinken und ein paar Holo-Games zocken, aber natürlich verläuft man sich.“ Nani fragte sich nicht wirklich, mit wem sie sich unterhielt, ihre Selbstgespräche waren keine Seltenheit, wenn sie sich allein wähnte. Entschlossen ging sie weiter, stets nach dem Raum Ausschau haltend, der aus unerfindlichen Gründen zwei Blocks hinter der Wohnküche liegen musste, weil es niemand für sinnvoll gehalten hatte, alle wichtigen Orte für die Crew nahe beieinander einzurichten. Außerdem hatte Marcus den Passagieren beim Lunch versprochen, zum Halloweenfest am Abend eine große Überraschung bereit zu haben, also wollte sie keinesfalls Stunden nach dem Zimmer suchen. Eine kleine Feier wäre eine Abwechslung, auf die Nani sich schon sehr freute.
„Ha!“ Ihr triumphierender Ausruf verhallte in den langen, vom kalten Schein der Leuchtpaneele erhellten Gänge, als Nani die Tür entdeckte. Mit einer Vorfreude darauf, einen gemütlichen Nachmittag bei Spielen oder in Gesellschaft zu verbringen, trat die Anhalterin auf den Eingang zu und die Tür glitt mit einem Zischen zur Seite. „Hallo, ist da jemand?“
Nachdem sie eingetreten war, schloss sich die solide Metallplatte wieder hinter ihr. Nani nahm sich Zeit, sich im menschenleeren Wohnzimmer umzusehen. Eine abgenutzte, einst beige Polstergruppe dominierte den Raum; sie stand einem großen Holoscreen mit einer Unterhaltungskonsole gegenüber. Im Hintergrund war sogar eine Bartheke auszumachen, auf der eine