Die Revolution der Bäume. H. C. Licht

Die Revolution der Bäume - H. C. Licht


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Mindfuck.

      Je mehr sich seine Gesamtsituation entspannt, desto stärker schürt seine zunehmende Nervosität eine böse Lust in ihm, das neu gewonnene Gefühl der Geborgenheit niederzureißen und zuzuschauen, wie die zarten Knospen seines frisch erwachten Selbstvertrauens im Glutkegel seines Zweifels zu Asche verbrennen. Ein alter, ausgetretener Pfad, der durch ausdauernden Selbsthass gebahnt wurde und nach wie vor eine Option ist, die er jederzeit abrufen kann. Dieser flackernde Wahnzustand ist ein alter Bekannter, dessen Antlitz ungesund beleuchtet wird vom giftig gelben Stroboskoplicht, das Jos latentes Misstrauen erzeugt. Er gleicht einem kurzen, dramatisch hohen Fieber, einer schwarzgesichtigen Krankheit, die alles in den Dreck zieht und jeden Sinn für das Schöne aus seinem Herzen brennt.

      Verstandesmäßig erkennt er selbstverständlich, dass es ihm jetzt besser geht als je zuvor und er das Leben zunehmend besser auf die Reihe kriegt, trotzdem ertappt er sich gelegentlich bei der Lust auf ein ausgewachsenes Drama. Dann überfällt ihn ein unwiderstehlicher Bock auf totales Chaos, auf den guten, alten, ganz alltäglichen Wahnsinn, der ihn früher durch die Tage gepeitscht hat. Und während er bereits mit dem verlockenden Gedanken spielt, dem infernalischen Sog nachzugeben, kommt sie ihm gleichzeitig total verrückt vor, diese Sehnsucht nach dem so verflucht vertraut erscheinenden, todtraurigen Land namens Selbstzerstörung. Als ob sie ein warmer, perfekt eingetragener Lieblingsmantel wäre, von dem er sich nicht trennen mag.

      Manchmal spielt er mit dem Gedanken, vorsätzlich zu scheitern. Ein katastrophaler Rückfall würde ihn in seiner latent skeptischen Vermutung bestätigen, dass es sich bei seinen Glücksgefühlen ohnehin um nichts als trügerische Illusionen handelt. Hinter ihrer hübschen Fassade steckt nichts als ein Strohfeuer seiner Neuronen, die ihn trickreich in Sicherheit wiegen wollen, nichts als eine Überlebensstrategie seiner Seele, damit er nicht vom rechten Weg abkommt und erneut abstürzt.

      Sein Leben lang wollte er irgendwo ankommen, endlich einen Ort finden, an dem sich nicht nur sein Körper zu Hause fühlt, sondern auch er selbst. Und ihm war jedes Mittel recht, den Weg dorthin zu beschleunigen, da kannte er keine Tabus. Dass diese Strategie zu keinem befriedigenden Ergebnis führte, lag von vornherein auf der Hand, auch wenn er es damals nicht wahrhaben wollte.

      Seitdem er auf halber Strecke zwischen Hölle und Nirgendwo abgestürzt ist, lässt er sich treiben und in eine nach wie vor gänzlich ungewisse Zukunft mitschleifen und versucht, jeden einzelnen Tag auf's Neue, sich damit abzufinden, dass sein augenblicklicher Status Quo jetzt von Dauer sein wird. Und dass dieser genau dem Lebensgefühl entspricht, nach dem er sich früher so sehr gesehnt hat. Der unbeschreiblich träge, zuweilen zäh dahin fließende Strom inneren Friedens, den er nun zuweilen empfindet, ist das exakte Gegenteil vom flammenden Inferno radikalen Selbstzweifels, der ihn bisher so höllisch hart geritten hat. Heute reist er auf neuen Wassern, obwohl er sich nicht daran erinnern kann, bewusst eine Kursänderung vorgenommen zu haben.

      Ihm ist klar, dass er um eine definitive Entscheidung langfristig nicht herum kommt. Ansonsten wird er in diesem wünschenswerten Zustand heilsamer Gelassenheit nicht wirklich ankommen, sich in ihm womöglich niemals ganz zu Hause fühlen. Aber trotz seines momentanen Eiertanzes zwischen den Stühlen namens Angst und Hoffnung, ist der berühmte, goldene Mittelweg sein Motto der Stunde. Der Weg, der dem Prinzip der Ausgleichung folgt und die perfekte, innere Balance zum Ziel hat, ist ein ausgesprochen hehres Ideal. Zur Abwechslung hat Jo die Messlatte ziemlich hoch gehängt, und zwar im positiven Sinne.

      Als die XXL-Version eines Joints die Runde macht, verzichtet Jo dankend. Er ist jedes Mal ein bisschen stolz auf sich, wenn er es schafft, seinen neu gewonnenen Grundsätzen treu zu bleiben. Solche, für ihn traditionell eher untypischen Entscheidungen, fallen ihm wesentlich leichter, seit ihm sein permanent schlechtes Gewissen im Nacken sitzt. Diese im Moment friedlich schlummernde Wesenheit hat sich als überaus mächtige und garstige Kontrollinstanz erwiesen, die er auf gar keinen Fall herausfordern möchte. Schon die Option eines Fehltritts in Form von Drogen und Co erinnert ihn an seinen letzten Absturz, den er nur knapp überlebt hat und lässt seine Angst vor dem Overkill wieder drastisch lebendig werden.

      The day after damals war der pure Horror. Das grünstichige Neonlicht über ihm an der kalkweißen Zimmerdecke erlosch niemals und sein ausgepumpter Magen fühlte sich an, als wäre er bis zum Rand mit glühenden Kohlen vollgestopft. Als makabere Krönung seines desaströsen Erwachens in der grauen Wirklichkeit, trat dann noch eine rabiat unfreundliche Psychologin in Erscheinung, die sich um Banalitäten wie Arztgeheimnis und Privatsphäre einen feuchten Kehricht kümmerte und ihm im voll belegten Mehrbettzimmer eine peinliche Standpauke hielt, in der sie ihm die Möglichkeit seiner Zwangseinweisung in die geschlossene Abteilung der nächstgelegenen Klapsmühle mehr als lebhaft vor Augen führte. Dabei klang ihr sonores Gelaber nicht wie eine leere Drohung, eher nach einer düsteren Prophezeiung.

      Eigentlich müsste er mehr als dankbar sein, dass er noch mal mit relativ heiler Haut davon gekommen ist. Er fragt sich, warum er diese Dankbarkeit in Gedanken formulieren, aber nicht fühlen kann. Vermutlich, weil er weder das Leben, noch sich selbst liebt, und daher seine wundersame Auferstehung von den Toten nicht wirklich zu schätzen weiß.

      In seinem Rücken schreit seine Vergangenheit um ihr Leben und krallt sich mit scharfen Krallen in sein schwaches Fleisch, und vor ihm steht sein Neuanfang, hält ihn fest an den Händen und versucht ihn auf die andere Seite der Medaille zu ziehen. Die Achterbahnfahrt eines Blinden, der Streckenverlauf liegt im Dunkeln.

      Meistens weiß er nicht, was er fühlt, nur, was er passenderweise fühlen sollte. Dann spiegelt er eine angemessene Emotion vor, ruft sie aus der Erinnerung ab wie ein schlechter Schauspieler. Denn in seinem Herzen, dort, wo sich klare Impulse wie Hoffnung oder Trauer finden lassen sollten, gähnt nur ein schwarzes Loch. Und er kreist um diesen undefinierbaren Abgrund in seiner Mitte und versucht so zu tun, als wäre alles ganz prima und er ein neuer Mensch. Gut die Hälfte seines kreativen Potentials investiert er in den schönen Schein, mit dem er versucht seinen Mitmenschen vorzugaukeln, er hätte sich über Nacht in eine wahre Frohnatur verwandelt.

      Als eine sanfte Brise den markanten Geruch von hochpotentem Supergras um Jos empfindliches Riechorgan fächelt, hat er das Gefühl, gleich kotzen zu müssen. Auch ohne den Konsum der heiligen Kräuter kommt es ihm so vor, als ob er dauerbreit wäre. Seinen Zustand könnte man auch als naturstoned bezeichnen.

      Es kann auch von Vorteil sein, den Karren schon in jungen Jahren voll an die Wand zu fahren. Jedenfalls kommt Jo so frühzeitig auf den Trichter, dass es auch Alternativen zum Leben auf der Überholspur gibt. Im Gegensatz zu den meisten jungen Leuten seiner Generation, die möglichst oft maximal bekifft sein wollen, hat sich in seinem benebelten Hirn die Vorstellung, irgendwann auf dem steinigen Boden der Tatsachen zu landen, zu einer überwiegend positiv besetzten Zukunftsvision entwickelt.

      Während er seine Abstinenz mit einer selbstgedrehten Zigarette belohnt, beobachtet er möglichst unauffällig den atemberaubend geformten Schattenriss der schönsten Frau der Welt. Zumindest ist sie das in seinen Augen und zwar bei jedem erneuten Hinsehen ein bisschen mehr. Seit Monaten schon träumt er beinahe jede Nacht von ihr und fiebert, sobald er aufwacht, das nächste Treffen der autonomen Planungsgruppe herbei und hofft, dass sie sich dort blicken lässt.

      Die Räume jenseits und diesseits der Schallmauer, die durch die Mitte des Bewusstseins verläuft, befruchten sich ausnahmsweise gegenseitig. Traum und Wachzustand, die Jo besonders in Liebesdingen zumeist als sich widersprechende Perspektiven wahrnimmt, bilden, was Lisa angeht, eine bislang selten erlebte Einheit. Das kann eigentlich nur einen Grund haben, nämlich den, dass sie Seelenverwandte sind.

      Eine, die Sinne betörende Augenweide und ein widerborstiger, sich gegen jede Konvention sträubender Wildfang. Obwohl Jo sich alle Mühe gibt, kann er seinen Blick nicht von ihr losreißen. Er liebt einfach alles an ihr, ihr Charakter vereint genau die Widersprüche, die auch ihn zu zerreißen drohen. Sie ist sein weibliches Pendant, auf eine ungekünstelte, freche Art verführerisch und gleichzeitig unnahbar kühl und distanziert.

      Der Nachtwind frischt kurz auf und facht die Glut im Lagerfeuer an. Als die Holzscheite knisternd auflodern, glüht ihre weißblonde Mähne mit den Flammen um die Wette. Ihre spiraligen Korkenzieherlocken funkeln erst schneeweiß auf, züngeln dann in grellen Orangetönen


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