Die Revolution der Bäume. H. C. Licht

Die Revolution der Bäume - H. C. Licht


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atmenden, lebendigen Finsternis des alten Waldes ab, der sie umgibt wie eine dunkelgrüne Schutzburg.

      Als seine Angebetete unverhohlen gierig an dem immer noch kreisenden Joint zieht, sucht Jo eine obszöne Phantasie heim. Manchmal ist es ihm richtig unheimlich, welche Macht diese lüsternen Bilder über ihn haben, wie sie ihn aus heiterem Himmel in Beschlag nehmen. Obwohl er eigentlich eher zärtliche, behutsame Gefühle für Lisa hegt, bildet sich sofort eine unmissverständliche Beule in seiner zerschlissenen Cargohose.

      Im ersten Moment ist Jo erleichtert, dass sein Ding endlich mal wieder ein Lebenszeichen von sich gibt. Zumindest hat seine Libido noch nicht endgültig alle viere von sich gestreckt, in diesem Sinne ist so ein Ständer natürlich ein gutes Zeichen. Andererseits nervt ihn das unkonstruktive Eigenleben seines Schwanzes allmählich. Wenn er in Aktion treten soll, regt sich rein gar nichts, und wenn es Jo nicht in den Kram passt, wie jetzt gerade, läuft er zur Hochform auf.

      Während er angestrengt versucht, das triebgesteuerte Tier seiner Lust zurück in die Höhle zu treiben, aus der es hervorgekrochen war, malt er sich aus, wie die unvermittelt jähe Woge der Gier, die ihn durchströmt, Lisas Grenzen überspült und direkt in ihre Intimzone brandet.

      In Situationen wie dieser fragt er sich, ob es wirklich einen Unterschied gibt zwischen einer Idee und ihrer Umsetzung in der Realität. Ist die Vorstellung einer eigenmächtigen, sexuellen Handlung nicht auch schon ein subtiler Ausdruck von Missbrauch?

      Wenn Gedanken eine Form von Energie sind, dann sind sie eigentlich doch genauso real wie eine Hand zwischen den Beinen. Schräge, lüsterne Phantasien eines notgeilen Arschlochs, das, anstatt sich zu beherrschen und respektvoll auf Abstand zu bleiben, einer Frau mit seiner Gier ungefragt zu nahe tritt. Mentale Übergriffe, die einer geistigen Vergewaltigung gleichkommen.

      Dabei liegt ihm nichts ferner. Die Vorstellung, Lisa mit seinem meist planlosen Sexualtrieb auf die Nerven zu gehen, ist ihm zutiefst zuwider. Klar, früher war er ganzjährig auf der Balz, ein fickriger Rammbock. Damals war ihm rein gar nichts peinlich, moralische Bedenken spielten eine untergeordnete Rolle, Hauptsache er kam zum Schuss. Heutzutage ist ihm der ranzige Pornomüll in seinem Kopf ausgesprochen unangenehm. Das Zeug kickt nicht mehr, sondern stört nur noch. Das ganze Gewichse turnt ihn völlig ab und er hat das Gefühl, seinen Sex komplett neu erfinden zu müssen, um wieder richtig Spaß daran zu haben. Die unverbindliche, schnelle Nummer hat für ihn restlos jeden Reiz verloren.

      Natürlich musste er es neulich trotzdem mal wieder versuchen. Nach dem Motto, der Appetit kommt mit dem Essen, wollte er testen, was passiert, wenn er es drauf ankommen lässt. Aber es war ein totaler Reinfall. Die unvermittelte Nähe zu der so gut wie fremden Frau hat ihn derart verstört, dass er keinen hoch gekriegt hat. Nach kurzem, lauwarmem Gefummel, lagen sie beide frustriert nebeneinander und haben sich angeschwiegen. Trotz der sommerlichen Temperaturen in dem seltsam kleinmädchenhaft dekorierten Schlafzimmer war ihm lausig kalt.

      Und irgendwann begriff er, dass es die Distanz zwischen ihnen war, die ihn bis ins Mark frösteln ließ, dass sein Gefühl der Ungeborgenheit das Aufkommen jeglichen Verlangens im Keim erstickte.

      Fremdheit trifft auf Sex, früher hatte ihn diese Mischung total aufgegeilt, jetzt passten die Komponenten plötzlich nicht mehr zusammen. Die unvermittelte Nacktheit, das tödlich lange Schweigen und die beklemmende Unvertrautheit zwischen ihnen. Gleichzeitig zu nah und zu fern... Seltsam, dass ihn dieser Kontrast früher nicht gestört hatte.

      Unangenehm berührt, erinnert er sich daran, wie er nur wenige Zentimeter neben der Frau lag und versuchte, jeden Blickkontakt zu vermeiden. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen, weil er befürchtete, dass sie das Ausmaß seiner Schwäche erkannte und er ihr vollkommen ausgeliefert wäre. So sehr hat er sich geschämt für seinen ausgemergelten Körper, seinen schlappen Schwanz. Am unangenehmsten war ihm aber seine Unsicherheit selbst. Dass er so komplett neben sich stand und nicht wusste, wohin mit sich, seinen peinlichen Versagensängsten und widersprüchlichen Gefühlen.

      Seit er nüchtern durch das Leben geht, ist die Scham eine stete Begleiterscheinung seiner Lust. Das geht sogar so weit, dass ihm Erinnerungen an entgleiste Situationen aus der Vergangenheit die Schamröte ins Gesicht treiben. Vollkommen unvermittelt und wie aus dem Nichts steht er dann in Flammen wie ein lebendiges Streichholz und hat das Gefühl, dass ihn alle angaffen und Bescheid wissen um die Schneise der Verwüstung, die er in der weiblichen Welt hinterlassen hat.

      Jo am Pranger. Jo, der Triebtäter, dessen Innenleben öffentlich zur Schau gestellt wird. Jo, der gläserne Frauenfresser, dem die gebrochenen Herzen und Verwünschungen seiner Expartnerinnen deutlich anzusehen, geradezu ins Gesicht geschrieben sind.

      Als er spürt, wie die aufsteigende Hitze seine Wangen mit glühenden Kohlen füllt, weiß er, dass sein kahl rasierter Schädel jetzt die Farbe einer überreifen Erdbeere angenommen hat. Ein spät pubertierender Bubi, oben knallroter Feuermelder, unten schmales und blasses Strichmännchen.

      Ha, ha, nun ist es wieder unter uns, das wandelnde Streichholz! Fremdschämen ist angesagt, Leute!

      Jo ist mehr als froh, dass die Nacht ihn davor schützt, durchschaut, entlarvt und verarscht zu werden. Mit einem Ruck reißt er seinen Blick von Lisa los, um grüblerisch ins Feuer zu starren.

       Ob sie es wohl auf eine mehr oder weniger bewusste Art mitschneidet, wenn er so durchgeknallte, lüsterne Gefühle und Fantasien hat, in denen sie der Fixpunkt seiner Begierde ist? Wenn dem so sein sollte, lässt sie sich jedenfalls nichts anmerken und macht gute Miene zum bösen Spiel.

      Dank des turbogeilen Dopes schwebt Lisa ungefähr einen Meter über dem nach Wildkräutern und Verwesung duftenden Waldboden. Sie befindet sich in einem wunderbaren Zustand, fühlt sich leicht wie eine Feder und ist wunschlos glücklich. Doch nach der anfänglichen, von Euphorie geprägten Phase des Rausches, meldet sich viel zu schnell die andere Seite der Medaille und fordert den üblichen Preis. Die Schutzhülle, die ihren Geistkörper sonst so behütend umschließt wie eine Rüstung, wird merklich schwächer und fühlt sich plötzlich löchrig und diffus an.

       So spürt Lisa die drängende Energie, die sich aus der vermeintlichen Anonymität des Halbschattens heraus, zielgerichtet wie ein Laserstrahl in ihre Aura bohrt, deutlicher als ihr lieb ist. Auch ohne groß den Kopf drehen und den Absender der doppeldeutigen Energiewellen genauer unter die Lupe nehmen zu müssen, eine Aktivität, die ihr, stoned wie sie ist, ohnehin viel zu anstrengend wäre, weiß sie längst, wer der heimliche Absender ist.

      Jo ist attraktiv und auf eine sympathische Art versponnen, deshalb sonnt sie sich auch ganz gerne im Licht seiner Aufmerksamkeit. Ihr Traumtyp ist er nicht gerade, entspricht im Großen und Ganzen aber ihrem Beuteschema und wäre gewiss ein amüsanter Zeitvertreib. Besondere Illusionen hegt sie nicht, er ist auch nur ein Mann wie alle anderen. Seine verstohlenen Blicke sprechen eine deutliche Sprache, eine Fusion aus oberflächlichem Interesse und unterdrücktem Verlangen.

      Mit Annäherungsversuchen jeglicher Couleur ist sie bestens vertraut. Dass Typen hinter ihr her sind, gehört zu ihrem Alltag. Das klingt nach jeder Menge Stress und ist es auch, in ehrlichen Momenten muss sie sich allerdings eingestehen, dass sie die ganze Bandbreite an Zuwendungen oft auch genießt, die von Seiten der Männerwelt auf sie herab prasseln, auch wenn sich diese in der Regel auf ihr niedliches Puppengesicht, ihren Arsch und ihre Titten beziehen. In diesem Punkt ist sie trotz ihrer Jugend bereits jeglicher Illusion entwachsen. Die meisten Männer wollen einfach nur ein bisschen flirten und dann möglichst fix und unverbindlich zur Sache kommen. Ein kleines Erfolgserlebnis zum Aufpeppen ihres Egos und als Sahnehäubchen ihr Sahnehäubchen möglichst spektakulär auf weiblichen Rundungen platzieren. After Action, Satisfaction. That’s the name of the game.

      Eine Zeit lang spielte sie brav ihre Rolle und testete das zweifelhafte Vergnügen, als reines Lustobjekt herzuhalten in allen möglichen Variationen durch. Doch abgesehen davon, dass sie als Frau bei solchen emotionsarmen Quickies nicht wirklich auf ihre Kosten kam, wurde ihr von dem schalen Nachgeschmack solches mechanischen Flüssigkeitsaustausches irgendwann regelmäßig speiübel. Sie deutete ihr Unwohlsein als Abwehrreaktion ihres Körpers, als ob er jeden fremden Tropfen Schweiß, Speichel und Sperma, jede oberflächliche Berührung aus seiner Intimsphäre herauspressen


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