SAOMAI. June A. Miller

SAOMAI - June A. Miller


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maß sie ihn mit einem letzten, geringschätzenden Blick. Dann war sie in Richtung der Aufzüge verschwunden.

      In seinem Apartment blieb Neill vor den Panoramafenstern des Wohnzimmers stehen und blickte nachdenklich hinaus.

      Was war da gerade passiert? fragte er sich. Er war an sich ein zurückhaltender Typ. Was also hatte ihn zu dieser unmöglichen Frage gegenüber seiner neuen Masseurin veranlasst?

      Es hatte eine eigenartige Spannung in der Luft gelegen, von dem Moment an, als sie den Raum betreten hatte. Sie war hereingehuscht und hatte sich an die Tür gelehnt, als müsse sie sich gegen ihn wappnen. Ihr Blick hatte etwas Berechnendes gehabt, gleichzeitig war sie total verunsichert. Neill war sauer gewesen, wie stümperhaft die junge Frau ihn bedient hatte. Aber das rechtfertigte nicht, dass er sie so brüskierte! Ihre Antwort hatte ihm jedenfalls imponiert. Und überhaupt hatte diese Thai etwas in ihm angerührt. Er spürte wie es in seinen Lenden zu Pochen begann, als er sich die Situation noch einmal ins Gedächtnis rief. Ihre Augen, in denen eine gewisse Traurigkeit lag – und so viel Feuer! Und dann ihre seltsame Reaktion auf seine Frage! Einen Augenblick lang war Neill sicher gewesen, sie würde es tun. War es nur Stolz gewesen, der sie davon abgehalten hatte?

      Chandra, die Clubchefin, hatte schließlich die Massage durchgeführt. Er kannte sie, seit es ihren Club gab.

      „Was war da gerade los, Neill?“, hatte sie ohne Umschweife gefragt.

      „Seit wann stellst du solche Anfängerinnen ein?“, hatte er anstelle einer Antwort entgegnet.

      „Anfänger worin?“, fragte sie unverständig. „Saomai ist eine Meisterin der Thai-Massage! Und nicht nur darin.“

      Neill wurde das Gefühl nicht los, dass Chandra ihm diese Saomai aufschwatzen wollte.

      „Du solltest sie wiedersehen!“, hatte sie beim Hinausgehen gesagt, war stehengeblieben und hatte ihn mit ihrem Blick durchbohrt.

      Vielleicht mache ich das, dachte er nun und lächelte.

      ****

      Saomais Mobiltelefon vibrierte in der Tasche ihres Arztkittels, als sie gerade mit einem Kollegen die Behandlung einer Patientin besprach. Normalerweise nahm sie im Dienst keine privaten Anrufe entgegen, doch als im Display Chandras Name aufleuchtete, sah sie Dr. Nadee entschuldigend an und stellte sich einige Schritte abseits.

      „Hallo Chandra“, sagte sie, erleichtert über den Anruf der Freundin.

      Sie musste unbedingt mit ihr über den verpatzten Termin mit Neill Ferguson sprechen. Vielleicht konnten sie sich am Abend treffen.

      „Hallo Saomai. Störe ich?“

      „Nein, nein, es geht schon. Gut, dass du zurückrufst. Ich habe dich die ganzen Tage nicht erreicht und dachte, du bist sauer auf mich?“

      „Ach, ich hatte mein Handy verlegt und heute fiel mir endlich ein, wo. Beim Shoppen, stell dir vor! Sowas Blödes!“, lachte Chandra. Dann kam sie auf Saomais Frage zurück. „Worüber sollte ich denn sauer sein, Liebes?“

      „Na, weil ich mich bei Neill Ferguson so dämlich angestellt habe! Ich hoffe, ich habe ihn nicht verprellt? Er ist dein Stammkunde und ich habe mich total unprofessionell verhalten!“

      Saomai war ganz außer sich. Der Frust über ihren verpfuschten Auftritt im Delight Club nagte seit Tagen an ihr. Das hatte sie gründlich versaut!

      Noch eine Gelegenheit würde sich kaum bieten, Lamoms Partner kennenzulernen. Chandra konnte sie jedenfalls nicht noch einmal um Unterstützung bitten. Umso verblüffter war sie über deren Antwort.

      „Deshalb rufe ich eigentlich an. Stell dir vor: Gerade habe ich meine Mailbox abgehört und da war eine Nachricht von Neill drauf.“

      „Was denn für eine Nachricht?“, fragte Saomai mit klopfendem Herzen und umklammerte ihr Mobiltelefon mit beiden Händen.

      „Er will dich sehen. Heute Abend. In seinem Penthouse.“

      „Was sagst du da?“, rief Soamai laut und winkte entschuldigend, als sie Nadees alarmierten Blick bemerkte.

      „Ja, kein Scherz! Er hat was von einem Missverständnis gesagt, und dass ich dich heute nach Dienstschluss zu ihm schicken soll.“

      „Das ist ja“, flüsterte Saomai atemlos, „das ist großartig! Danke Chandra!“

      Sie legte auf und starrte an die gegenüberliegende Wand. Neill Ferguson lud sie in sein Penthouse. Plötzlich wurden ihr die Beine weich.

      Drei Stunden später kündigte ein leises Summen die Ankunft des Fahrstuhls in Neills Apartment an. Ein Blick in die Überwachungskamera verriet ihm, dass es die Thai war. Üblicherweise konnte er seine Besucher dabei beobachten, wie sie sich im Fahrstuhlspiegel herrichteten, manche bleckten die Zähne, andere – vor allem Frauen – kontrollierten ihr Make-Up. Die meisten wirkten nervös. Nicht so diese. Sie stand aufrecht in der Mitte des Aufzugs und blickte geradeaus auf die Tür. Zu seiner eigenen Verwunderung überprüfte nun Neill sein Aussehen in dem spiegelnden Monitor auf seinem Schreibtisch. Gut soweit, dachte er. Die braunen Locken waren einigermaßen unter Kontrolle. Krawatte und Sakko des Tages hatte er gegen ein lässiges Shirt und eine graue Stoffhose eingetauscht. Die nackten Füße steckten in wildledernen Mokassins. Er fühlte sich leicht erregt bei dem Gedanken daran, was der Abend mit sich bringen könnte.

      Die Fahrstuhltür öffnete sich und Saomai betrat die Suite.

      Sie ist keine Masseurin, schoss es Neill schon zum zweiten Mal durch den Kopf. Selbstsicher schritt sie auf ihn zu. Aus einem knallengen Ledermini ragten lange, schlanke Beine, die in geschnürten High-Heels endeten. Unter ihrem Massagekittel hätte Neill im Leben nicht so etwas erwartet und auch ihre Haare trug sie heute offen. Pechschwarz und seidenglänzend flossen sie über ihre linke Schulter nach vorn. Die ebenso schwarzen Augen blickten ihn herausfordernd an. Einen Augenblick lang war Neill unsicher, ob sein Plan aufgehen würde. Da lächelte ihr verführerisch rot gemalter Mund und er wusste, dass es noch viel besser kommen würde.

      „Namasté, Mr. Ferguson“, sagte Saomai, legte die Handflächen vor der Brust aneinander und neigte leicht den Kopf. Ihre Stimme hatte einen angenehm dunklen Ton, nicht das Krächzen von neulich, das ihn so genervt hatte. Neill kannte die Facetten des thailändischen Grußes. Dieser verriet ihm, dass sie sich nicht unterlegen fühlte. Schade, dachte er, das wäre noch reizvoller.

      „Namasté“, erwiderte er ihren Gruß auf dieselbe Weise.

      Es funktioniert, dachte Saomai erleichtert. Er ist überrascht. Und was noch wichtiger war: Neill Ferguson war interessiert.

      Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. Doch anders als ein paar Tage zuvor tat er es nun mit offensichtlichem Genuss. Seine Augen erforschten ihr Gesicht, registrierten die durchscheinende Narbe über ihrer linken Braue und ihre vollen Lippen, blieben an ihrem schlanken Hals haften und wanderten von dort zum Ausschnitt ihres schwarzen Tops. Sein Blick glitt weiter die schmale Taille entlang und schließlich ihre Beine hinab bis zu den Fesseln. Einen Augenblick lang fühlte Saomai sich unbehaglich. Ihr kaputtes Fußgelenk konnte ihm bei dieser eingehenden Musterung kaum entgehen. Da halfen auch die Satinschnüre nicht, die sich ihre zierlichen Fesseln hinaufschlangen, um die Vernarbungen zu verdecken.

      Doch Saomai ließ ihn gewähren. Auch sie musterte Neill neugierig. Aus der Zeitung kannte sie ihn nur im Anzug. Als er vor ihr im Massageraum gelegen hatte, war sie zu aufgeregt gewesen, um ihn sich genauer anzusehen. Nun war Zeit dafür. Das enge T-Shirt betonte die breiten Schultern, die ihr schon in der Sky Bar aufgefallen waren. Seine Taille war schmal wie die eines Schwimmers. Kein Bauchansatz, keine Hüftringe. Wenn dieser Körper hielt, was er angezogen versprach, hatte er trotz seiner 43 Jahre ein Sixpack! Sie schluckte trocken und setzte ihre Beobachtung fort. Ferguson war größer, als sie erwartet hatte. Das gefiel ihr, denn mit einem Meter fünfundsiebzig überragte Saomai die meisten Männer.

      Die Begutachtung dauerte schon weit über eine Minute. Ferguson schien das Schweigen nicht zu stören und Saomai wollte nicht diejenige sein, die es brach. Zu gespannt war sie auf das, was er


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