Rebeccas Schüler. Tira Beige
sich seine Hose aus und setzte sich aufs Bett. »Was ist los, Beccy? Ich brauche meine Ruhe.« So wie er den Satz ausgesprochen hatte, ließ er sich mit dem Gesicht voran auf das Bett fallen.
Rebecca trat in das Zimmer ein. »Paul?«
»Hm«, murmelte er.
»Ich möchte mit dir sprechen.«
»Hm.«
»Es geht um unsere Beziehung.«
»Hm.«
Rebecca setzte sich auf die Bettkante.
Er sah sie nicht an. Auf den Bauch gerollt, drehte er das Gesicht von ihr ab. »Paul?«
»Hm.«
Dieses »Wort« betonte er immer in derselben gleichgültigen Art und Weise. »Du willst deine Ruhe haben, oder?«, fragte Rebecca genervt, als sie erkannte, dass sie heute Abend kein Glück haben würde, ihn zu einer ernsten Aussprache zu bewegen.
»Hm«, war das Letzte, was sie hörte, bevor sie das Schlafzimmer verließ und sich resigniert in die Küche zurückzog, wo sie das Abendbrot für sich vorbereitete.
Bereits seit über einer halben Stunde saß Rebecca mit gekrümmter Haltung allein am Küchentisch, kaute lustlos auf einer Scheibe Brot mit Wurst herum und schüttete den beinah kalten Tee in sich hinein. Obwohl das Radio vor sich hin dudelte, hörte sie weder der Moderatorin zu, noch achtete sie auf die Lieder.
Ohne klaren Gedanken starrte Rebecca aus dem Küchenfenster in die Dunkelheit hinaus und überlegte, wie es nur so weit kommen konnte, dass sich ihre Beziehung wie ein bauchiges Weinglas ohne Inhalt anfühlte und warum ihr in den vergangenen Jahren nicht klar geworden war, wie weit sie sich von ihrem Partner entfernt hatte. Ihr wurde immer schmerzlicher bewusst, dass sie die Beziehung unmöglich würde retten können, wenn sie nicht schleunigst über ihr Verhältnis zueinander sprachen.
Rebecca war noch immer in Gedanken versunken, als Paul in der Küche erschien. »Du sitzt immer noch hier?«, murmelte er. Seine Augen waren leicht zugekniffen. Offenbar musste er sich erst an das grelle Licht der Küchenlampe gewöhnen.
Ohne ihm auf seine gestellte Frage zu antworten, begann Rebecca gereizt: »Können wir jetzt miteinander sprechen oder gibst du wieder nur ein ›Hm‹ von dir?«
Er schaute sie fragend an, indem er seine Augenbrauen nach oben zog. »Worüber sollen wir denn sprechen?«, wollte er wissen.
»Über unsere Beziehung«, sagte sie etwas lauter werdend.
Paul begab sich zum Kühlschrank, um sich seine abendlichen Scheiben Käse und Wurst herauszuholen. Dann ergriff er das Brot und schnitt sich gemächlich mit dem Brothobel drei Scheiben ab. Noch immer nicht antwortend, besorgte er sich als Nächstes ein Messer aus einer Küchenschublade.
Mit den Utensilien bewaffnet, setzte er sich hin. »Was gibt es denn zu bereden? Ist doch alles gut.« Rebecca fiel beinah die eigene Wurststulle aus der Hand.
»Ist doch alles gut?«, äffte sie Paul nach und lachte gequält auf, weil sie nicht fassen konnte, welche Auffassung er von einer funktionierenden Beziehung besaß. »Paul, ich habe das Gefühl, dass irgendwas in unserer Beziehung mächtig schief läuft. Wir leben wie zwei alte Menschen nebeneinander her, als ob wir uns nichts mehr zu sagen hätten.«
Paul verstrich betont langsam die Butter auf seiner Brotscheibe. »Ist doch schön, dass wir uns so gut kennen«, gab er zurück. Sein verfickter Ernst?
»Verrate mir doch bitte, wann wir das letzte Mal ernsthaft über uns als Paar gesprochen haben oder wann du dich zuletzt für meine Arbeit oder mein Befinden interessiert hast.«
Paul überlegte scheinbar krampfhaft, wie er dem Gespräch aus dem Weg gehen konnte. Nach einer Pause gab er ausweichend zurück: »Rebecca. Wie war es heute in der Schule?«
»Lenk’ jetzt nicht ab!«, entsprang es ihr sichtlich genervt.
Unerwartet heftig knallte Paul mit der Handfläche auf den Tisch, bevor er hysterisch erwiderte: »Man, du tust ja so, als wäre es eine Qual, mit mir zusammen zu sein. Andere Paare haben auch Routine. Meinst du, die reden darüber?«
Er wollte es nicht verstehen! »Beantworte doch einfach meine Frage!«, beharrte Rebecca lautstark, um nicht über seinen Worten einzuknicken.
»Da gibt es nichts zu beantworten. Wir haben nun mal viel zu tun: Du mit deiner Schule, ich mit dem Haus und der Arbeit. Ist doch logisch, dass wir nicht mehr so viel unternehmen wie früher. Wo ist eigentlich dein verdammtes Problem?«
Es gab so viele Dinge, die Rebecca Paul an den Kopf knallen wollte. Aber sie schaffte es nicht, etwas zu erwidern. Konnte nicht standhaft bleiben, sich nicht gegen ihn behaupten. Stattdessen griff sie zur Teetasse und verzog sich ins Wohnzimmer. Schon auf der Treppe arbeiteten sich Tränen in ihren Augen hoch, weil sie es wieder nicht auf die Reihe bekommen hatte, ein ernsthaftes Gespräch mit ihrem Freund zu führen. Wenn das die nächsten Jahre so weiterging, das ahnte Rebecca unheilvoll, dann würde aus ihnen wirklich ein stummes Pärchen werden, das nebeneinanderher lebte.
Innerlich wusste sie, was sie an Paul hatte, auch wenn sie es nicht zeigen konnte oder wenn die positiven Erinnerungen gerade bloß im Fotoalbum versteckt lebten. Aber es gab sie. Rebecca wollte offen und ehrlich mit ihm reden, weil sie ihn nicht verlieren wollte.
Von daher liefen dicke runde Tränen ihre Wangen hinab, als Paul nach einer Viertelstunde das Wohnzimmer betrat. Statt auf ihre Gefühle einzugehen – und er sah, dass sie geweint hatte – griff er nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher an. Stumm und den Blick starr auf den Bildschirm geheftet, saß er auf der Couch.
Rebecca hatte die andere Hälfte des Sofas eingenommen und starrte ebenfalls in den Fernseher, ohne mitzubekommen, was gezeigt wurde. Sie stellte die Teetasse auf den Couchtisch ab. Pauls Gesichtsmuskeln waren angespannt, sein Blick steif nach vorn gerichtet. Den ganzen restlichen Abend schwiegen sie sich an.
Wie sehr er Rebecca mit seiner Wortlosigkeit verletzte, merkte er nicht. Mit einem leisen »Gute Nacht«, aber ohne den täglichen Kuss von ihrem Freund, ging sie bereits halb zehn ins Bett.
Wie gerädert stand Rebecca am Morgen auf. In der Nacht war sie mehrfach aufgewacht. Sie hatte darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre, sich nach über sieben Jahren Beziehung von ihrem Freund zu trennen, kam aber zu der Erkenntnis, dass eine Frau wie sie, die eine so große Angst vor dem Verlust eines geliebten Menschen hatte, nicht einfach dem Partner sagen konnte, dass es vorbei war. Dazu gehörte Mut, und den hatte