White Moon. Leni Anderson

White Moon - Leni Anderson


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      Ich merke, wie ihr Körper schlaffer wird, wie ich sie stärker halten muss, meine Beute. Meine Trophäe.

       Hannah!

      Eine mir bekannte Stimme drängt sich in meinen Kopf.

       Hannah! Lass los!

      Aber ich denke gar nicht daran.

       Hannah! Du bringst sie um!

      Es kümmert mich nicht. Nichts kümmert mich in diesem Moment. Zu viel habe ich in den letzten Tagen erlebt. Mein ganzes Leben hat sich auf den Kopf gestellt. Mein Leben, so wie ich es kannte, gibt es nicht mehr. Ist vorbei.

      Ich merke, wie eine höhere Macht nach mir greift, mich nach oben zieht, als wäre ich eine Marionette. Wie in Trance schwebe ich nach oben und sehe die bizarre Szene unter mir: Die Festhalle mit ihren prunkvollen Lüstern, die alles in ein schummriges Licht tauchen, die Bühne, auf der wir stehen, ich, wie ich an ihrem Hals sauge. Und ihn, der nach wie vor am Rande der Bühne steht und nur in Gedanken versuchen kann, mich von etwas abzuhalten, was seit wenigen Tagen in meiner Natur liegt.

      Ein Leuchten bricht auf einmal aus mir heraus und taucht den gesamten Saal in grelles Licht. Ich spüre, wie sich meine Fänge von ihrem Hals lösen und schreie auf. Dann sacke ich zusammen. Mein Leben zieht an mir vorbei. Nein, nicht alles, nur weniges, schemenhaft, Bruchstücke. Ein leuchtender Schriftzug taucht vor meinem inneren Auge auf. Ja, hier hatte alles angefangen.

      1 Kapitel

      Die Warteschlange vor dem All in scheint heute schier endlos. Kein Wunder, ist es doch zur Zeit der angesagteste Club der Stadt. Himmel, bin ich nervös. Wie lange ist es her, dass ich unterwegs war? Zwei Monate? Vielleicht drei? In den letzten Wochen gab es in der Agentur viel zu tun. Da blieb keine Zeit für privates Vergnügen.

      Der letzte Werbedeal war eines der größten Projekte, die Pro Visions je an Land gezogen hatte. Und ich war stolz, dabei mitgewirkt zu haben. Der Anfang in einer der bekanntesten Werbeagenturen unserer Stadt war wahrlich nicht einfach für mich gewesen. Luke, der CEO und gleichzeitig mein direkter Vorgesetzter, behandelte mich vom ersten Tag an, als wäre ich irgendeine Praktikantin und nicht seine erste Assistentin. Eine meiner Standardaufgaben war zunächst Kaffee kochen, und das in allen Varianten, die man sich vorstellen kann. Ich kam mir vor wie eine Barista und fragte mich zeitweise, wofür ich die lange Studienzeit auf mich genommen hatte, wenn keiner hier, besonders mein Chef nicht, meine Talente und Ideen, und davon hatte ich viele, zu würdigen wusste. Es war frustrierend.

      Letztendlich war es Monika, unsere freundliche Dame von der Rezeption und die gute Seele der Agentur, die mich nicht selten in den Mittagspausen tränenüberströmt in unserer kleinen Küche vorfand, während ich versuchte, mal wieder einen extra starken Mokka Latte am Kaffeevollautomaten zu zaubern. Mütterlich nahm sie mich dann in den Arm und fand tröstende Worte für mich. Sie ist heute immer noch diejenige, die mich regelmäßig aufbaut und ermutigt, an meinen Ideen und Visionen festzuhalten. Ohne Monika wäre das Arbeiten bei Pro Visions nicht mehr vorstellbar.

      Mein großer Durchbruch und damit der Moment, der dafür sorgte, dass mich endlich alle wahrnahmen, kam mit dem Deal mit Runner‘s High. Das Management trat vor etwa drei Monaten an uns heran und bat uns um Ideen für eine neue Laufkampagne. Als ambitionierte Hobbyläuferin lief mein Ideenkarussel sofort auf Hochtouren. In einer der ersten Sitzungen, in der erste Ideen und Ansätze gesammelt werden sollten, traute ich mich endlich, meinen Vorschlag zu offenbaren. Ich hatte ihn vorab schon mehrfach bei Luke geäußert, doch er wimmelte mich immer wieder ab.

      Als ich also vorsichtig die Hand hob und meine Idee vortrug, hätte Luke mich wohl am liebsten mit seinen Blicken getötet. Alles an ihm strahlte dieses „Wag‘ es ja nicht!“ aus. Mir war durchaus bewusst, dass das anschließende Gespräch in seinem Büro alles andere als gut für mich ausgehen könnte, dass ich möglicherweise sogar meine Sachen würde packen müssen und dass Monika in der Küche auf mich warten würde. Aber ich konnte einfach nicht länger schweigen. Wochenlang hatte ich das Treiben in der Agentur wie aus dem Off beobachtet, mich von Kolleginnen und Kollegen, deren gleichgestelltes Teammitglied ich eigentlich war, rumschubsen lassen. Und auch wenn es bedeutete, dass ich meinen Job verlieren würde, so war es mir in diesem Moment egal. Ich berichtete von meiner Idee.

      Die große Überraschung war, dass das Management von Runner‘s High meinen Vorschlag großartig fand. Und als ich dann auch noch mit einem bekannten Gesicht aus der Laufszene auftrumpfen konnte, das ich für die Kampagne bereits im Vorfeld gewonnen hatte, war die Sache klar. Mein Vorschlag wurde angenommen.

      Die anschließenden Wochen waren der Hammer gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem Leben so viel gearbeitet zu haben. Oft saßen wir bis spät in die Nacht hinein in Teamsitzungen oder hatten hitzige Diskussionen mit den Grafikdesignern.

      In einer Woche sollte die Kampagne starten. Endlich. Der große Moment. Nervosität und Euphorie waren meine ständigen Begleiter. Und, oh ja, auch Selbstzweifel.

      Wie gut tat es da gestern, endlich auf alles anstoßen zu können. Haileys Anruf kam, noch bevor ich meinen Champagner geleert hatte. „Babe, morgen gehen wir aus. Keine Ausreden. Und mach dich schick.“

      Und hier stehe ich nun. Und warte auf Einlass. Mir war bei unseren letzten Besuchen gar nicht aufgefallen, wie viele Gäste von der Security abgewiesen werden. Hauptsächlich Männer wie mir scheint, so dass ich schon überlege, ob heute eine Art Ladies Night stattfindet, von der Hailey mir nichts erzählt hatte. Na ja, whatever.

      Als ich endlich am Eingang des Clubs ankomme, mustert mich einer der Schlägertypen von oben bis unten.

      Mist.

      Nicht schick genug? Dabei hab ich mich echt in Schale geworfen. Gut, ich trage kein Kleid, wie die anderen Frauen vor mir, aber ich fand, im Spiegel sah meine Kombination aus enger schwarzer Jeans und cremefarbenem Spitzentop schon sexy aus. Die Pumps sollten das Ganze abrunden. Dazu die langen braunen Haare zu großen Locken gestylt und das Make-up Smokey aber nicht Horny. So wie der Typ mich ansieht, habe ich mich wohl geirrt. Hailey wird begeistert sein, wenn ich ihr gleich am Telefon erklären kann, dass ich nicht reingekommen bin. Sofern ich mein Handy mitgenommen hätte.

      Fuck ...

      Der Abend war ein wenig stressiger verlaufen als geplant, dabei hatte der Tag eigentlich gut anfangen. Na ja, fast. Ich hatte leider vergessen, meinen Handywecker über das Wochenende auszuschalten und so wurde ich um 5.30 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Da ich dann aber eh schon mal wach war, hatte ich meine Sportsachen angezogen und meine Lieblingslaufrunde gedreht. Die frische Morgenluft war wie ein Kick in den Tag gewesen und als ich gegen Mittag einen kleinen Latte auf meinem Balkon schlürfte, spürte ich zum ersten Mal seit Wochen so etwas wie Ruhe und Zufriedenheit in mir.

      An Ruhe und Zufriedenheit ist jetzt gerade aber nicht mehr zu denken. Der strenge Blick der Security ruht noch immer auf mir und verursacht mir ein unangenehmes Prickeln am ganzen Körper.

      „Ausweis bitte.“

      Ernsthaft jetzt? Ich bin fast 30 und werde nach meinem Ausweis gefragt? Ein wenig schmeichelhaft ist das ja schon, aber ich sehe nun wirklich nicht mehr wie eine 18-Jährige aus.

      „Klar, kein Problem.“ Gequält lächle ich ihn an und greife mir an die Gesäßtasche, in der ich grundsätzlich Scheine und Ausweis drapiere. Verdammt, die Hose ist aber auch eng. Hannah, wie wäre es das nächste Mal mit einer Handtasche?

      Gerade als ich meinen Ausweis herausgekramt habe und ihm stolz entgegenstrecke, lehnt sich der andere Schrank nach vorne und flüstert dem Ersten etwas ins Ohr. Ein wissender Ausdruck legt sich auf sein Gesicht. Er nickt.

      „Schon okay,“, sagt er ohne einen Blick auf meinen Ausweis zu werfen. „Kannst reingehen.“

      Was war das denn jetzt? „Äh, okay. Danke“, höre ich mich nuscheln und stecke meine Habseligkeiten wieder ein. Dann betrete ich endlich das All in.

      Hämmernde


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