White Moon. Leni Anderson

White Moon - Leni Anderson


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kann dir alles erklären. Lass uns aber zuerst von hier verschwinden.“ Seine Stimme klingt sanft, vertrauenswürdig. Doch ich bin nach wie vor wie berauscht und kann kaum einen klaren Gedanken fassen.

      Ich stütze mich vorsichtig an der Wand ab.

      „Wohin willst du denn gehen?“, bringe ich noch lallend heraus, bevor ich schwankend in mich zusammensacke.

      Mit einem langen Schritt überwindet Chris die Distanz zwischen uns und zieht mich vorsichtig hoch.

      „Sorry, ich bin wohl etwas betrunken. Der Gin Tonic haut heute ganz schön rein“, versuche ich meinen Zustand zu erklären.

      „Nein, Sweety, das ist das Serum, das dich so benommen macht.“

      Serum? Was redet er denn da schon wieder? Himmel, dieser Abend ist echt eine Katastrophe. Erst komme ich nur mit Mühe und Not in den Club, dann finde ich Hailey nicht und treffe stattdessen diesen heißen Typen, der mir prompt 'nen Drink spendiert, nur um mich kurze Zeit später mit einem mysteriösen „Wir müssen hier raus!“ aus dem Club zu ziehen? Oh nein, er hatte doch nicht ...

      „Fuck. Du hast mir was in den Drink getan?“ Panik steigt in mir auf und entfacht glücklicherweise genug Adrenalin, um mich von ihm loszureißen.

      „Ich gehe dann jetzt!“ Tränen steigen mir in die Augen und ich marschiere schwankend los.

      „Hannah, warte!“ Chris kommt hinter mir her und fasst mich erneut am Ellenbogen. „Ich kann dir alles erklären, bitte!“

      Wütend drehe ich mich zu ihm um und kann nichts weiter tun, als mit dem Kopf zu schütteln.

      „Der ganze Abend war ... Ich weiß auch nicht. Nichts war so, wie es sonst war. Alles war irgendwie ... Himmel, was hast du mir gegeben? Ich kann überhaupt nicht klar denken.“ Ich reibe mir über die Schläfen.

      „Es tut mir leid. Wirklich. Nicht ich habe es dir in den Drink getan, sondern der Barkeeper. Die geben das allen.“

      „Allen? Was ist das für ein Zeug? Und warum bist du eigentlich nicht so benommen? Ich fühle mich, als hätte ich zwei Promille oder so. Als wäre ich nicht ich selbst.“

      „So reagiert ihr nun mal darauf. Uns stört das Zeug nicht.“

      Ihr? Uns? Fuck, was sollte das denn schon wieder bedeuten?

      „Was soll das denn heißen? Ach Scheiße, erzähl's mir lieber nicht. Ich will einfach nur noch nach Hause.“

      Taumelnd setze ich mich wieder in Bewegung, komme aber nicht weit. Ein paar starke Arme halten mich zurück.

      „Komm mit. Du brauchst nen Kaffee. Dann geht’s dir gleich besser, versprochen.“ Schelmisch zeigt er mir ein schiefes Grinsen und für einen Moment kommt es mir total vertraut vor. Seltsam ...

      „Mit dir mitkommen? Ernsthaft? Das kannst du vergessen!“, bringe ich lallend hervor. „Gott weiß, was du mit mir vorhast!“ Ich stütze mich an einer Parkbank ab. „Bitte, ich will mir einfach nur noch ein Taxi suchen.“ Meine Stimme klingt flehender, als ich beabsichtige.

      Er lockert seinen Griff. „Ich werde dir nichts tun, Hannah, bitte glaub mir. Lass uns zusammen nen kleinen Latte holen und dann versuche ich, die Situation zu erklären, okay?“

      Nur widerwillig gebe ich nach. Meine Alarmglocken sollten eigentlich in den höchsten Tönen schrillen, bleiben aber eigenartigerweise ziemlich ruhig.

      „Meinetwegen. Du hast einen Kaffee Zeit, dann bin ich weg. Und woher weißt du eigentlich, dass ich immer nen kleinen Latte bestelle?“

      „Geraten.“ Er zwinkert mir zu.

      Na klar. Geraten.

      Wir schlendern aus der Gasse heraus, in der sich der Hintereingang zum All in befindet, und gehen ein Stück weit die Hauptstraße herunter. Nicht weit entfernt ist ein Coffee to Go Stand, an dem wir uns mit Heißgetränken versorgen.

      Keiner von uns sagt ein Wort, nur meine Gedanken rasen. Und schwanken.

      Verdammt.

      Ich starre auf den Kaffeestand.

      To Go.

      Was der Türsteher wohl meinte? Chris würde mich in Kürze aufklären. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles überhaupt noch würde fassen können. Ich kann ja kaum noch meinen Kaffeebecher halten.

      „Komm“, sagt Chris beruhigend, „lass uns ein wenig auf die Brücke gehen.“

      Nicht weit von uns entfernt befindet sich hinter einer leichten Biegung der Aufgang zu einer schmalen Fußgängerbrücke. Mein Joggen hatte mich oft hierher geführt und ich hatte nicht selten angehalten, um dem sanften Plätschern des Wassers zu lauschen.

      Die kühle Nachtluft in Kombination mit dem heißen Koffein mildern allmählich meinen Rausch. Das Schwindelgefühl lässt endlich nach und ich fühle mich ein wenig mehr wie ich selbst.

      Mitten auf der Brücke bleibt Chris stehen. „Hannah, ich ...“

      „Woher kennst du eigentlich meinen Namen?“, falle ich ihm ins Wort. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich vorhin vorgestellt hätte.“

      Durchdringend schaut er mich an. „Wir kennen uns schon etwas länger.“

      „Wir? Du meinst wohl, du kennst mich, denn sorry, aber an dich würde ich mich erinnern.“ Ich nehme einen Schluck Kaffee und warte auf seine Antwort.

      „Nein“, nimmt er seine Erklärung wieder auf, „wir kennen uns. Du weißt es nur nicht mehr.“

      Ich ziehe die Augenbrauen kraus und schaue ihn fragend an. „Aber ... Woher ...“, bringe ich stockend hervor.

      „Na ja, du kommst jedes Wochenende ins All in“, erwidert er, „und da ...“

      „Wow, stopp mal“, unterbreche ich ihn erneut, „ich war seit Wochen nicht mehr im All in. Ich denke, ich könnte mich erinnern, wenn ich dort war und dich getroffen hätte.“ Ich lehne mich ans Brückengeländer. Provokant lasse ich meinen Blick auf ihm ruhen und verschränke die Arme vor der Brust.

      Chris zeigt sich davon wenig beeindruckt. Ein entschuldigendes Grinsen legt sich auf sein Gesicht.

      „Sorry, Sweety, du kommst seit Wochen jeden Samstag in den Club. Du weißt es nur nicht mehr. Vieles läuft anders, seit Eric den Laden übernommen hat.“

      Ich verschlucke mich fast an meinem Kaffee. „Seit Wochen?“ Meine Stimme klingt schriller als beabsichtigt. „Was meinst du damit?“

      Chris atmet tief durch. Sein Lächeln ist verschwunden. „Sie geben euch ein Serum in den Drink. So werdet ihr gefügiger und habt weniger Angst. Außerdem können wir so eure Gedanken löschen.“

      Wow. Bitte was? Fuck!

      Ich muss erstmal schlucken und reibe mir angestrengt über die Augen. Der Kaffee ist nur noch lauwarm, als ich erneut daran nippe. Sein Gesagtes ergab überhaupt keinen Sinn. Ich atme tief durch.

      „Erklär bitte weiter. Oder versuch es zumindest, denn bisher verstehe ich nur Bahnhof.“ Ungläubig starre ich ihn an.

      Zögerlich setzt sich Chris in Bewegung. Dem Fluss zugewandt lehnt er sich neben mir gegen das kalte Eisengitter. Bedächtig und unaufgeregt fährt er mit seinem Erklärungsversuch fort.

      „Eric hat vor circa drei Jahren beschlossen, das Jagdrevier auf die Stadt zu verlegen und kurzerhand das All in gekauft. Oder vielmehr das All for you, aus dem dann das All in wurde. Es gibt strenge Regeln, damit wir nicht auffallen und eine von ihnen besagt, dass eure Erinnerungen gelöscht werden müssen, damit niemand erfährt, wer wir sind. Daher das Serum in den Drinks.“

       Jagdrevier. Serum. Was zum ...

      Ich schaue auf und suche seinen Blick. „Was bitte meinst du immer mit wir


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