White Moon. Leni Anderson

White Moon - Leni Anderson


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gestarrt? Ach Quatsch, Hannah, nur weil dir ein süßer Typ einen Drink spendiert, muss das noch lange nicht heißen, dass er auf dich steht. Außerdem hatte er dich praktisch über den Haufen gerannt, also war der Drink fast schon Pflicht gewesen.

      Ich nippe an meinem Glas und merke, dass mein Stempel am Handgelenk angefangen hat zu brennen. Verdammte Industriefarbe. War ja klar, dass ich darauf allergisch reagiere. Ich betrachte den Stempel genauer. Komisch ... Im Schwarzlicht des Clubs sieht er aus wie ein Strichcode. Ich zucke mit den Schultern und nippe erneut. Der Drink tut gut. Hailey sagt immer, ein Gin Tonic wäre ein viel zu hartes Getränk für eine so zarte Person wie mich. Meine Antwort darauf lautet meistens, dass Bier auch nicht gerade ein typisches Frauengetränk ist. Und dann lachen wir.

      Sehen kann ich sie von hier aus leider auch nicht. Etwas besorgt setze ich mich wieder in Bewegung und gehe direkt an der Balustrade einmal um die obere Etage herum. Nichts. Na gut. Dann eben ab in die Menge. Mit etwas Glück begegne ich ihr einfach auf der Tanzfläche. Ich leere mein Glas, stelle es auf den nächsten Tisch, gehe die Treppe herunter und stürze mich ins Getümmel. Als ich die Tanzfläche betrete, spielt der DJ einen meiner Lieblingssongs. Hell yes ...

       Bed, stay in bed

       The feeling of your skin locked in my head

       Smoke smoke me broke

       I don’t care, I’m down for what you want

      Ich gebe mich dem Beat hin, lasse alles los und tanze. Verliere mich im Rhythmus, im Takt der Menge und des Songs. Meine Füße tragen mich wie von selbst.

       Daydrunk into the night, wanna keep you here

       Cause you dry my tears

       Yeah, summer loving and fights

       How it is for us, and it’s all because

      Ich fühle mich wie berauscht. Als würde der Song mich ausfüllen. Durch meinen Körper fluten. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen.

       Now if we're talking body

       You got a perfect one, so put it on me

       Swear it won't take you long

       If you love me right

       We fuck for life, on and on and on

      Plötzlich packt mich jemand grob am Ellenbogen. „Wir müssen hier raus!“

      Chris.

      „Los, Hannah, wir haben keine Zeit zu verlieren! Wir müssen gehen!“

      Was zur Hölle redet er da? Und woher weiß er meinen Namen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich vorhin nicht vorstellt hatte, was ich zugegebenermaßen ein wenig bereut habe.

      Ich starre ihn ungläubig an. Nur langsam realisiere ich, dass er im Inbegriff ist, mich von der Tanzfläche zu ziehen. Endlich gehorchen meine Sinne mir wieder und ich kann mich losreißen.

      „Hey, was soll das? Spinnst du? Ich will noch nicht gehen!“

      Wir stehen immer noch mitten auf der Tanzfläche. Ich verschränke die Arme vor der Brust und er sieht mich völlig entgeistert an. Hatte er etwa damit gerechnet, dass ich ihm einfach so folgen würde?

      Gerade will ich mich wieder unter die Tanzenden mischen, da packt er mich erneut am Arm: „Hannah, bitte, wir müssen gehen. Jetzt!

      Bevor ich die Zeit finde, ihn zu fragen, woher er meinen Namen kennt, und was zur Hölle das hier soll, sehe ich sie in seinen Augen: Angst.

       Fuck.

      Damit hatte ich nicht gerechnet. Und bevor ich auch nur ein Wort erwidern kann, zieht er mich weiter durch die Menge.

      „Chris, warte, ich kann nicht so schnell!“

      Doch anstatt langsamer zu gehen, hebt er mich kurzerhand hoch und trägt mich dicht an seinen Körper gepresst gezielt von der Tanzfläche. Ich frage mich lieber erst gar nicht, warum er so stark ist. Ich fühle mich etwas schwummerig und kann gar nicht sagen, ob das vom Drink kommt oder von der völlig absurden Situation, in der ich mich gerade befinde.

      „Der Ausgang ist aber da vorne“, ist alles, was ich noch herausbringen kann.

      „Wir nehmen den Hinterausgang. Schnell jetzt!“

      „Und meine Jacke?“

      Himmel, Hannah! Kannst wieder nur an dein Hab und Gut denken ... „Die hab ich hier schon.“ Er hält sie hoch.

      Wir sind am Ende der Tanzfläche angekommen. Vorsichtig stellt er mich wieder ab und wir drängen uns weiter durch die umstehenden Gäste, die uns nur widerwillig durchlassen. Endlich wird es leerer.

      „Wir sind gleich da.“ Er nimmt meine Hand und zieht mich einen langen Gang hinunter. In diesem Teil des Clubs war ich noch nie. Ist vermutlich für Personal oder so.

      „Hey! Was ist mit Hailey? Ich kann sie hier nicht alleine lassen!“ Hailey, oh mein Gott, wo war sie nur? Sie hat keine Ahnung, dass ...

      „Hailey ist nicht da. Ihr hättet euch längst gefunden.“

      Bitte? Woher wusste er das?

      Völlig perplex stolpere ich vor mich hin, während er unnachgiebig an mir zieht.

      „Zieh deine Jacke an!“ Er wirf sie mir zu.

      Am Ende des Ganges beschreiten wir eine Kurve und stehen prompt vor dem größten Türsteher, dem ich je begegnet bin.

      „Hey Chris, wohin des Weges?“, fragt dieser in tiefem Bass.

      „Hey Tyler. Wir müssen leider los“, erwidert Chris schnippisch.

      „Und das große Finale verpassen? Ist doch sonst nicht deine Art.“ Ein süffisantes Grinsen legt sich auf Tylers Gesicht.

      Das gefällt mir gar nicht. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Kommen wir etwa nicht raus? Verdammt! Was ist hier nur los?

      „Ja, normalerweise schon. Aber heute sehen meine Pläne halt anders aus.“ Chris deutet mit einem Augenzwinkern zu mir und in Tylers Gehirn scheint es zu funken.

      „Ah, heute also To Go?“ Er zieht den letzten Teil des Satzes ekelhaft in Länge.

      Bitte was? Was meint er damit? Ich bin doch nicht ...

      Gerade als ich tief Luft holen will, um meine Empörung zum Ausdruck zu bringen, drückt Chris sehr bestimmt meine Hand und schiebt mich vorsichtig hinter sich.

      „Ja, so etwas in der Art“, erwidert Chris in einem Tonfall, der keine Widerworte zulässt.

      Tylers gehässiges Grinsen verschwindet aus seinem Mondgesicht und weicht einem verständnisvollen Nicken.

      „Na dann will ich euch zwei Hübschen mal nicht aufhalten. Viel Spaß!“ Er öffnet die schwere Brandschutztür und wir treten hinaus.

      Kühle Luft schlägt mir ins Gesicht, während hinter uns die Tür zuknallt und eins zu werden scheint mit der schwarzen Wand, aus der wir gerade getreten sind.

      2 Kapitel

      Einen Moment lang fühle ich mich wie benommen. Dann finde ich endlich meine Worte wieder.

      „Was zur Hölle war das denn?“, fahre ich Chris an.

      Chris. Erst jetzt fällt mir auf, dass er schwer atmend mit den Händen auf den Knien gestützt vor mir steht. Mit dem Hintern lehnt er an der schweren Eisentür. Langsam hebt er den Blick und da sind sie wieder, diese Augen. Im Club schienen sie noch dunkel. Jetzt leuchten sie in einem strahlenden Blau.

      Er drückt sich vorsichtig von der Wand ab und kommt auf mich zu.


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