White Moon. Leni Anderson

White Moon - Leni Anderson


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Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Ich nehme einen Schluck aus meinem Glas. „Doch, warte. Du sagtest ihr. Das heißt ... Ich bin nicht die einzige, deren Gedächtnis gelöscht wird? Es betrifft auch andere Gäste?“

      „Es betrifft fast alle Gäste. Es betrifft euch Menschen.“

      Ich reibe mir angestrengt über die Schläfen. „Uns Menschen ...“

      „Ja, euch Menschen. Ich sagte dir ja bereits, wer oder eher was wir sind.“ Er schaut mich durchdringend an. „Aber so richtig glauben kannst du mir nicht.“ Das war keine Frage.

      Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück. Das war alles echt krasser Scheiß. Irgendwie ergab es schon Sinn. Aber jetzt mal ernsthaft, Vampire?

      „Der Abend war mehr als miserabel“, stelle ich nüchtern fest. „Ich bin kaum in den Club gekommen, Hailey war nicht dort und die Leute, die ... Ach, ich weiß auch nicht. Alles war heute so aufgeladen. Und seltsam. Und dann kommst du und schleifst mich einfach aus dem Club. Nur um dann mit dieser fadenscheinigen Erklärung zu kommen? Du redest über Vampire und irgendein Serum und Seelenpartnerschaft als wäre es das Normalste der Welt. Und ich bin mir nicht sicher, ob das einfach mal die schlechteste Anmache der Welt ist oder ob du komplett übergeschnappt bist.“

      Ich mache eine kurze Pause und warte seine Reaktion ab.

      Nichts.

      „Ich denke, es ist Zeit für mich, nach Hause zu fahren.“ Ich leere mein Glas und stehe auf.

      „Bevor du gehst, habe ich eine letzte Frage an dich.“ Chris sieht mich gespannt an und ich kann so etwas wie Verzweiflung in seinen Augen aufblitzen sehen.

      „Ich höre?“

      „Fühlst du es nicht mehr?“

      Fühle ich es nicht mehr? Diese Frage wirft mich völlig aus der Bahn. Ich horche stillschweigend in mich hinein.

      Meine Atmung geht schwer, mein Herz rast, meine Gedanken wirbeln. Für einen Moment scheint es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Und dann ... fühle ich es. Ein kleines Vibrieren in meinem Herzen. Ein Summen, das sich vertraut und heimisch anfühlt. Langsam breitet es sich in jede Zelle meines Organismus aus, wird durch meinen Herzschlag immer weiter und weiter gepumpt, bis es schließlich in meinem ganzen Körper ... leuchtet.

      Schwankend halte ich mich am Tisch fest. Schwer atmend suche ich seinen Blick. „Was hast du mit mir gemacht?“, bringe ich flüsternd hervor.

      Ein Lächeln schleicht sich auf Chris‘ volle Lippen. „Ich habe nichts gemacht“, flüstert er zurück. „Wir haben uns nur gefunden.“

      „Und wie das?“ Ich bin völlig überwältigt von diesem Summen, das mich ausfüllt, mich durchströmt. Ich habe keine Ahnung, was es bedeutet, aber es fühlt sich gut an. Und richtig. Als hätte mir etwas gefehlt, ein Puzzlestück oder so, das jetzt seinen Platz eingenommen hat. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so vollkommen und sicher gefühlt, wie in diesem Moment. Langsam lasse ich mich auf meinen Stuhl zurücksinken.

      Chris nimmt meine Hand. „Als du vor zehn Wochen zum ersten Mal ins All in gekommen bist, sind wir uns auf der Tanzfläche begegnet. Und in dem Moment, wo unsere Blicke sich zum ersten Mal trafen, wusste ich es.“

      „Was wusstest du?“

      „Dass du die meine bist.“

      Alle Zweifel und Wut und Verwirrung, die vorhin noch präsent waren, sind wie verflogen. Aus einem unerklärlichen Grund weiß ich, dass er die Wahrheit sagt. Dass alles, was er mir bis dato erzählt hatte, der Wahrheit entspricht.

      „Auf jeden Vampir wartet irgendwo auf dieser Welt seine Seelenpartnerin. Und da die Welt ziemlich groß ist, ist die Wahrscheinlichkeit, seine Seelenpartnerin zu treffen verschwindend gering. Umso überraschter war ich, als ich dich getroffen habe. Und dass du ein Mensch bist. In der Regel finden sich zwei Vampirseelen. Die Kombination aus Mensch und Vampir ist äußerst selten, wie du dir vielleicht vorstellen kannst, und ziemlich kompliziert.“

      Ich kann mir gerade gar nichts mehr vorstellen. Dieses Summen vibriert in meinem ganzen Körper. Und gibt ihm recht.

      Überwältigt von meinen Gefühlen und völlig überfordert mit der Situation stehe ich schließlich auf. Ich nehme meine Jacke und taumle nach draußen. Ich werde mir vage bewusst, dass Chris mir irgendetwas nachruft, der Barkeeper mich verwundert anschaut und auch die anderen Gäste kurz ihre Köpfe heben, bis ich schließlich das Ben & Tiger‘s verlassen habe und die Straße herunter gehe.

      Was auch immer ich heute im Drink hatte, es konnte seine Wirkung noch nicht verloren haben, oder? Das war doch alles ein schlechter Witz? Vampire in der Hauptstadt. Ein elitärer Vampirclub, der das Gedächtnis seiner menschlichen Besucher mittels eines Serums löschen lässt. Seelenpartnerschaft.

      Das war mir alles zu viel. Summen hin oder her. Verstand? Wo ist mein Verstand?

      Fuck ...

      Alles dreht sich ...

      Ich bin von einem lauten Rauschen umringt und kann nicht mehr ausmachen, ob es der Nachtwind ist oder eine Nachwirkung des Serums. Aus dem Augenwinkel sehe ich Chris noch auf mich zustürzen. Besorgnis spiegelt sich in seinem Blick.

      Was zum ...

      Meine Sicht verschwimmt. Das Letzte, was ich vor mir ausmachen kann, ist der Asphalt. Und der ist genau vor meinem Gesicht.

      3 Kapitel

       Verdammte Scheiße!

      Ich haste nach vorne und versuche noch, sie aufzufangen. Doch ich bin zu spät. Ihr Körper fällt ungebremst auf den harten Asphalt.

       Fuck!

      Ich stoße einen rüden Fluch aus und hebe sie vorsichtig hoch. Wie leicht sie doch ist. Und wie zerbrechlich.

      Ach, Hannah ...

      Ein metallischer Geruch steigt mir in die Nase.

      Nein, das konnte nicht wahr sein!

      Über ihrer rechten Schläfe ist eine tiefe Wunde zu sehen. Eine tiefe blutende Wunde. Meine Sinne reagieren prompt.

      Verdammt.

      Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so.

      Ich versuche, mich zu beruhigen, tief durchzuatmen. Leicht ist das nicht gerade. Ich beiße meine Kiefer fest aufeinander und versuche, mich auf meinen Herzschlag zu konzentrieren. Er rast.

       Fuck!

      Hannah war schon immer das Köstlichste, was mir je begegnet ist. Und jetzt rinnt ihr Blut keine zwanzig Zentimeter von meinen voll ausgefahrenen Reißzähnen entfernt ihre Schläfe herunter. Wenn das mal keine Zerreißprobe ist.

      Vorsichtig trage ich sie zu meinem Audi, den ich nicht weit von hier geparkt habe. Die Luft ist geschwängert vom Duft ihres Blutes.

       Konzentrier' dich, Chris!

      Wie leicht es wäre, einfach in einer Seitenstraße zu verschwinden und mir das zu nehmen, was ich jetzt am dringendsten bräuchte.

       Fuck!

      Ich hätte vielleicht doch nicht Nein sagen sollen zu dem Blutbeutel, den Liam und Angel mir heute Morgen angeboten hatten. Seit ein paar Tagen schon hatte ich nichts mehr getrunken. An sich kein Problem, denn heute war ja der Tag. Doch alles war etwas anders gelaufen, als geplant. Was musste Eric auch ausgerechnet heute Nacht hier auftauchen? Das Gemetzel, das er jedes Mal zulässt, wenn er im All in ist, wollte ich ihr nun wirklich ersparen. Außerdem wurde es vielleicht langsam Zeit, dass ich sie über ihr Schicksal aufkläre. Verdammt, daran konnte ich jetzt nicht auch noch denken.

      Behutsam setze ich sie in mein Auto, schnalle sie an, stelle den Sitz so weit wie möglich zurück.


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