Die zweite Frau. Eugenie Marlitt

Die zweite Frau - Eugenie Marlitt


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aber auch nur einen Moment, dann hing ihr Auge wieder lauernd an der neuen Herrin, und sie sagte mit doppelt scharfer Stimme:

      »Gnädige Frau, das schadet dem Gabriel gar nicht, und wenn sie ihm unrecht thun drüben im Schlosse, so mag er sich bedanken und die Hand dafür küssen ... Er soll ein Mönch werden; er soll ins Kloster – da heißt's erst recht schweigen und nicht mucksen, und wenn die Seele gleich aus dem Leibe fahren möchte vor Zorn und Ärger ... Den kleinen Herrn, den Leo, kann er gar nicht lieb genug haben – der setzt es immer wieder durch beim alten Herrn Baron, daß er noch dableiben darf, sonst wär' er schon längst nicht mehr bei seiner Mutter.«

      Die Augen des Knaben füllten sich mit Thränen.

      »Du sollst ein Mönch werden? Man will dich zwingen, Gabriel?« fragte die junge Frau rasch und dringend.

      »Sage die Wahrheit, mein Sohn – wer zwingt dich?« ermahnte hinter ihr die Stimme des Hofpredigers, der heute die Trauung vollzogen. Er stand in der offenen Verandathür – schwarz hob sich seine schlanke und doch nervige Gestalt vom mondhellen Rosengebüsch draußen. Liane dachte bei diesen Umrissen überrascht an den vermeintlichen Pfeilerschatten – der Mann hatte sie belauscht und war ihr gefolgt.

      Frau Löhn knixte, während der Hofprediger im Eintreten lächelnd und mit einer sehr eleganten Verbeugung sagte: »Beruhigen Sie sich, gnädige Frau – wir sind sehr harmlos in Schönwerth; mit solchen haarsträubenden Gewaltthaten, wie sie das Märchen vom Knaben Mortara der gerngläubigen Welt auftischt, befassen wir uns nicht – gelt, mein Knabe?« Er legte seine geschmeidige weiße Hand vertraulich auf Gabriels Schulter.

      Wären nicht der lange, klösterliche Rock und der elfenbeinweiße Fleck auf dem Scheitel inmitten der dunkellockigen Haarfülle gewesen, man hätte nie und nimmer den Geistlichen in dieser Erscheinung gesucht. Keine Spur jener geflissentlich würdevollen Langsamkeit der Bewegungen, die oft so widerlich gespreizt wird und auf Studium und schauspielerische Vorbereitung zurückführt – keine Spur der breiten Salbung in Ton und Wort! ... Es war heute bei Tafel heiß hergegangen auf politischem Gebiet, und da hatte die metallene Stimme dieses Mannes kriegerisch und herausfordernd geklungen wie Trompetengeschmetter.

      Bei seinem Eintreten hatte die Kranke das Gesicht wieder in das Kissen gedrückt und war still, als schlafe sie; aber ihr Busen hob sich in stürmischen Atemzügen – sie lag dort wie ein scheuer, zitternder Vogel, der sich unter der greifenden Hand angstvoll niederduckt.

      »Was ist das heute wieder, Frau Löhn?« fragte der Hofprediger. »Sie ist sehr aufgeregt – bis in die Sakristei habe ich ihre Klagelaute gehört.«

      »Ihre Hoheit, die Frau Herzogin, ist wieder einmal am Hause vorbeigeritten, Hochwürden – da geht stets der Spektakel los, das wissen wir ja,« versetzte die Beschließerin respektvoll, aber nicht ohne hörbar hervorplatzenden Aerger und Unmut.

      Ein Zug von feinem Spott flog blitzschnell um seinen Mund. »Dann muß es eben ertragen werden,« sagte er achselzuckend. »Die Frau Herzogin wird auf diesen Spazierritt im ›Thal von Kaschmir‹ sicher nicht verzichten – wer würde auch den Mut haben, ein solches Opfer von ihr zu verlangen?« Er trat näher an das Bett – eine Bewegung, die ein sofortiges Aufzucken der leidenden Frau zur Folge hatte.

      »Bei all Ihrer Strenge geben Sie der Kranken doch wohl zu sehr nach, beste Frau Löhn,« sagte er über die Schulter zurück zu der Beschließerin. »Wozu immer noch diese schweren Armspangen an den gelähmten Gliedern, dieses Kettenwerk auf der Brust?«

      »Es wär' ihr Tod, Hochwürden, wenn ich mich an den Sachen vergreifen wollte,« sagte die Frau – das klang eigentümlich gepreßt zwischen den Zähnen. In den tiefen, schmalgeschlitzten Augen der Frau glomm es wie ein verhaltener Funke.

      »Glauben Sie doch das nicht – sie ist ja schwach und abgezehrt zum Zerblasen. Diese Last bei ihrer Unbehilflichkeit regt sie mehr auf, als Sie denken ... Kommen Sie, machen wir den Versucht!«

      Jetzt öffnete die Kranke ihre Augen weit – sie waren voll Entsetzen. Die Linke fest an den Busen gepreßt, stieß sie einen jener weichen und doch durchdringenden Klagetöne aus, wie sie heute nachmittag zu Liane gedrungen waren. Frau Löhn stand sofort zwischen ihr und dem Mann im schwarzen Rock, der sie bedrohte. Sie legte ihre breite, knochige Linke bedeckend auf das blasse, krampfhaft geballte Händchen.

      »Hochwürden, da muß ich bitten!« protestierte sie – es lag eine seltsame Wildheit in dieser entschiedenen Haltung und Gebärde. »Das geht mich auch an! ... Wenn Sie mir sie wild machen, wer hat nachher die schlaflosen Nächte? Ich armes Weib ... Ich brauchte es freilich nicht – ich könnte es ja auch machen wie die anderen im Schlosse, die um keinen Preis einen Fuß hierhersetzen, und hätte meine Ruhe. Ich will auch gar nicht etwa sagen, daß ich's aus Liebe thue, oder aus Mitleid – ich bin ein hartes Weib und will mich nicht besser machen, als ich bin ... Die Leute gehen mich ja auf der Gotteswelt nichts an,« fuhr sie ruhiger, aber auch mürrisch und verdrossen fort. »Wenn ich hier aus und ein gehe und so viel wie möglich für Ruhe sorge, so thue ich's für meine Herrschaft, von der ich das Brot habe.«

      »Frau, was ficht Sie an?« beschwichtigte der Hofprediger lächelnd – er schüttelte leise den Kopf. »Wer zweifelt denn an der Pflichttreue, dem kalten Blut der Löhn? ... Mag doch die Kranke ihr Spielzeug behalten – ich bin der letzte, der Ihnen Ihr Amt erschweren möchte.«

      Mittlerweile ging die junge Frau mit unhörbaren Schritten hinaus. Sie mußte den klaren Nachthimmel über sich sehen und den Sand des Weges unter ihren Füßen knirschen hören, um zu empfinden, daß sie nicht in der Nebelwolke eines phantastischen Traumes wandle, einen so schwerbeklemmenden Eindruck machten ihr die seltsam zusammengewürfelten Menschen unter dem Bambusdache. Es war ihr, als habe sie ein Bild voll Anachronismen gesehen – jenes fremdartige, feingliedrige Wesen, das schmuckbeladen, in einer weißen Musselinwolke, wie eine indische Fürstentochter auf dem Rohrbette lag, und das hünenhafte, rauhe Weib mit dem grobkörnigen Deutsch auf den Lippen, mit der steifgestärkten Leinenschürze und dem hochaufgesteckten Hornkamm im graumelierten Zopfknäuel am Hinterkopf – ein fast unglaubliches Nebeneinander! ...

      Betäubend schlugen der Hinaustretenden die Rosendüfte entgegen. Der Nachtwind hatte sich aufgemacht. Er blies durch die schwüle, vom flimmernden Silberlicht gleichsam starrende Luft und trug einen langgezogenen Harfenton über die Gärten. Die junge Frau legte unwillkürlich ihre schlanken kühlen Hände an die klopfenden Schläfen und verließ die Verandastufen.

      »Das Thal von Kaschmir – das Paradies, das die erste atmende Menschenbrust nicht verstanden und für uns alle verwirkt haben soll!« sagte der Mann im schwarzen Rock, der ihr gefolgt war und nun neben ihr her schritt. »Die meisten suchen es und gehen, vom alten Fluch geblendet, blöde vorüber; – der Asket streicht es, seine Entzückungen verlachend, hart und eigenmächtig aus seinem Lebensplan, bis ein Blitz niederfährt und ihm zeigt, daß er ein Thor war, daß er den Fluch nicht ererbt, sondern durch eigene Vermessenheit auf sich geladen hat.« Seine Stimme klang verschleiert, als dämpfe auch sie der erstickend heiße Atem der Julinacht.

      Liane blieb stehen und sah in eine unregelmäßigen, aber tiefbewegten Züge; sie wollte antworten – da stieg plötzlich eine klare Blutwelle in ihr Antlitz bis über die perlmutterweißen Schläfen hinauf, und ihre großen, klugen Augen wurden hart und kalt wie Stahl – unter diesem feurig beredten Männerblick ging sie nicht auf ein solch seelenbewegendes Thema ein. Sie überwand eine peinliche Empfindung und sagte sehr kühl und abweisend: »Bei solchen Klagetönen, wie ich sie eben gehört habe, kann ich unmöglich an das Paradies denken ... Wer ist die Unglückliche in dem Hause dort?«

      Die Wangen des Mannes wurden blaß. Sichtlich gereizt ließ er einen finstern Seitenblick über die junge Dame hinstreifen, die mit einer einzigen stolzen Wendung ihres lieblichen Hauptes sich völlig unnahbar machte. Das war die Gräfin Trachenberg mit ihrer tadellosen Ahnenreihe hinter sich. »Wird es Ihr stolzes Gefühl nicht beleidigen, gnädige Frau, zu wissen, daß man in Schönwerth eine Verlorenen beherbergt?« sagte er mit scharfer Ironie.

      »Es gibt nichts Unbeugsameres, als die tugendstolze Frau – wohl ihr! Aber auch wehe denen, die mit ihrem heißen Herzen


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