Die zweite Frau. Eugenie Marlitt

Die zweite Frau - Eugenie Marlitt


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Silberstück; der Hindu-Tempel aber trug seine goldstrahlenden Kuppeln fest und zuversichtlich in den Nachthimmel, als führe seine Marmortreppe direkt in die heiligen Fluten des Ganges, und nicht in das Teichwasser eines deutschen Thales.

      Tiefatmend und durchrieselt von jenen Schauern des Bangens, welche uns in fremder Einsamkeit so leicht überkommen und die uns gleichwohl unwiderstehlich vorwärts treiben, umschritt Liane langsam den Teich. Sie ahnte aber nicht, daß ihre dahinschwebende Gestalt im weiß nachfließenden Gewande, mit dem schöngetragenen Haupte, über dessen Stirn das schwellende Haar flimmerte, wie ein Diadem von tiefdunklem Golde, diese Landschaft voll fremdartiger Gebilde zauberhaft belebte – sie ahnte auch nicht, daß sich vorhin beim Knarren der Gitterthür der vermeintliche Schatten vom Pfeiler gelöst hatte und ihr geräuschlos, aber so konsequent folgte, als gehe von den über den Rücken herabsinkenden, im Mondlichte fast phosphoriszierenden Flechten ein magnetischer Strom aus, dem er folgen müsse.

      Die weißen Wände eines niedrigen Hauses tauchten auf. Ein breiter Sandweg umlief das kleine Mauerviereck, und doch lag es wie eingebettet in Rosengebüsch, oder vielmehr in Rosenblüten – zu Tausenden dufteten sie auf hochstämmigen Kronen und niedrigem Busche, selbst drunten in den Weg herein rankten noch einzelne Zweige der Theerose – schwer, wie mondscheintrunken lagen die bleichen Kelche auf dem harten Gerölle.

      Man hätte meinen können, jeder stärkere Windhauch müsse das wunderliche Haus zerblasen, so leicht und zierlich stand es da mit seinen Hohlziegeln von Rohr auf dem Dache und den Pfählen aus Bambus, welche die Veranda trugen. Es hatte große Fenster, aber geschnitzte Holzgitter lagen vor dem Glase. Zögernd trat die junge Frau auf die niedrige Verandastufe; der Fußboden war belegt mit Matten von Palmenried, so kühl, glatt und glänzend, wie sie nur der heiße Fuß des Indiers ersehnen mag. Hinter dem Holzgitter brannte Licht; es entströmte einer an der Zimmerdecke hängenden Lampe; der niedergelassene Fensterbehang von steifem, buntem Flechtwerke staute sich seitwärts, da wo das verschlungene Gitterwerk einen herzförmigen Ausschnitt bildete – durch diese Oeffnung konnte Liane einen größeren Teil des Inneren überblicken.

      An der Hinterwand des Zimmers stand eine Bettstelle von Rohr; auf schneeweißen Decken lag eine Gestalt hingestreckt – war dieses außerordentlich zarte Geschöpf, das eben sein Gesicht in das Kissen einwühlte, Weib oder Kind? Weiche, weiße Mousselinfalten flossen um den hingeschmiegten Leib bis auf die Füße, die nackt, wunderklein, aber auch blutlos wächsern dort ruhten. Ein bis an die Schulter entblößter, schlanker und magerer Arm, wie er kaum dem unentwickelten dreizehnjährigen Mädchen eigen, legte sich in eigentümlicher Schwere die Hüfte entlang – breite funkelnde Goldreifen umschlossen das Handgelenk und den Oberarm; sie machten den peinlichen Eindruck, als müßten sie dieses weiße, ätherzarte Fleisch wundreiben ... Die große, robuste Frau aber, die, einen Silberlöffel in der Hand, neben dem Bett stand und ihre rauhe Stimme zu sanft bittenden Tönen zwang, kannte Liane bereits. Sie war ihr heute nach der Trauung als Frau Löhn, die Beschließerin, vorgestellt worden.

      Der Löffel, den die Frau vorsichtig von ihrer breiten, glänzend sauberen Schürze fernhielt, war offenbar mit Medizin gefüllt und ein Gegenstand des Abscheues für das auf dem Bett liegende Wesen. Alles Zureden, das sanfte Streicheln mit der kräftigen freien Rechten über das tiefeingewühlte Köpfchen verfing nicht.

      »Ich kann dir nicht helfen, Gabriel,« sagte Frau Löhn endlich nach der Zimmerseite hin, welche die junge Frau nicht übersehen konnte, »du mußt ihr den Kopf halten ... Sie muß schlafen, Kind, um jeden Preis schlafen.«

      Der bleiche Knabe, Leos Sündenbock, trat in den Lichtkreis der Hängelampe. Behutsam versuchte er, seine Hand zwischen das Kissen und das Gesicht der dort Liegenden zu schieben. Unter dieser Berührung fuhr ihr Kopf jäh, wie entsetzt, empor und zeigte ein schmales, verzehrtes, und dennoch schönes Frauenantlitz. – Liane erschrak bis ins Herz vor dem sprechenden Blick aus übergroßen Augen, der so zärtlich vorwurfsvoll und in Todesangst flehend zu dem Knaben aufsah. Er wich zurück und ließ die Hände sinken. »Nein, nein, ich thue dir nichts!« sagte er tröstend, und seine sanfte Stimme brach in Jammer und Mitleid. »Es geht nicht, Frau Löhn – ich thue ihr ja weh! ... Ich will sie lieber einsingen.«

      »Da kannst du bis morgen früh singen, Kind,« versetzte die Frau. »Wenn es so schlimm ist, wie heute, da verfängt das nicht – du weißt's ja.« Sie zuckte ratlos die Achseln, hatte aber nicht den Mut, weiter in Gabriel zu dringe. Was für ein weiches Herz schlug in der vierschrötigen Frauengestalt mit den groben scharfkantigen Gesichtszügen, die heute so barsch und unzugänglich ernsthaft der neuen Herrin bei der Vorstellung gegenüber gestanden hatte!

      Liane drückte die Thür auf, die zwischen den zwei Fenstern in das Zimmer führte, und trat ein. Die Beschließerin stieß einen Schreckensruf aus und hätte fast den Inhalt des Löffels verschüttet.

      »Halten Sie die Kranke!« sagte die junge Frau, »ich werde ihr die Medizin geben.«

      Der plötzliche Eintritt der weißen, schlanken Gestalt mit der vornehm gelassenen Gebärde mochte förmlich lähmend auf die kranke Frau wirken – sie rührte sich nicht und sah nur groß und starr in das liebliche junge Gesicht, das sich über sie beugte – ohne jeglichen Widerstand ließ sie sich das Schlafmittel einflößen.

      »Sieh, nun ist's geschehen, mein Junge,« sagte Liane und legte den Löffel auf den Tisch. »Es ist ihr kein Schmerz zugefügt worden, und sie wird schlafen.« – Sie strich sanft über Gabriels dunklen Scheitel. – »Du hast sie wohl sehr lieb?«

      »Sie ist meine Mutter,« versetzte der Knabe in überströmender Zärtlichkeit.

      »Es sind arme Leute, gnädige Frau, arm und gering,« fiel die Beschließerin mit harter, trockener Stimme ein. Nicht eine Biegung in diesen tiefen Tönen, nicht der leiseste Zug des ernsthaften Gesichts verriet die Weichherzigkeit und Teilnahme, die vorhin ihr ganzes Wesen charakterisiert hatten.

      »Arm?« wiederholte die junge Frau und deutete unwillkürlich nach den blitzenden Armreifen und den Ketten von edlem Metall, die über den Busen der Kranken fielen. Bis zu diesem Moment hatten die Augen der letzteren unverwandt an Liane gehangen; jetzt aber malte sich Angst und Unruhe in ihren Zügen – sie klammerte die zarten Finger der Linken krampfhaft um einen Gegenstand, der an einer Kette hing – allem Anschein nach ein Flakon von Silber.

      »Na, na, nur ruhig – die gnädige Frau nimmt's nicht!« beschwichtigte Frau Löhn rauh und gebieterisch. »Arm sind die Leute, sage ich,« fuhr sie gegen Liane fort. »Das bißchen Zeug da kann man doch nicht essen« – sie zeigte nach dem Geschmeide – »und eigentlich gehört's der Frau auch gar nicht; der alte gnädige Herr Hofmarschall könnte ihr auch den Firlefanz noch wegnehmen, wenn er wollte – sie hat auf der Gotteswelt nichts, gar nichts, und daß sie mit dem Jungen ihr täglich Brot im Hause gereicht kriegt und in der Bude da wohnen darf, das ist die reine Gnade von der Herrschaft, die reine Gnade.«

      Diese Erklärung, so mitleidslos und in so geflissentlich scharfen und grellen Umrissen gegeben, fuhr der jungen Frau wie ein Messer durch das Herz, um so mehr, als sich Gabriel über seine Mutter bog und sie während der harten Rede streichelte, als sei sie das schutzbedürftige Kind, dem man alles zugefügte Weh durch Liebkosung vergessen machen könne ... Dieser junge, schöne Knabenkopf mit der müden seitlichen Neigung und dem schwermütigen Zug um den Mund trug das Gepräge der Duldung und sklavischen Fügsamkeit, das ihm jedenfalls eine jahrelange Mißhandlung aufgedrückt hatte. Wohl hätte Liane fragen mögen: »Wer ist diese seltsame Fremde, und wie kommt sie hierher mit ihrem Kinde, das unter einem so furchtbaren Drucke aufwachsen muß?« Allein die Furcht vor weiteren schonungslosen Mitteilungen der Beschließerin schloß ihr den Mund. Sie griff in die Tasche und legte die Schokoladefiguren auf den Tisch. »Das schickt dir Leo,« sagte sie zu Gabriel, »und ich bringe dir auch eine ›gute Nacht‹ von ihm.«

      »Er ist gut – und ich habe ihn lieb,« versetzte der Knabe mit einem melancholischen Lächeln.

      »Recht, mein Kind – aber es darf nicht mehr geschehen, daß du für seine Unarten gestraft wirst.« Sie legte den feinen Zeigefinger unter sein Kinn, hob den gesenkten Kopf und sah liebevoll in seine unschuldigen Augen. »Hast du nie den Mut, zu sprechen,


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