Die zweite Frau. Eugenie Marlitt

Die zweite Frau - Eugenie Marlitt


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den Rand gefüllt mit Geldrollen – offenbar ihr stipuliertes Nadelgeld. Erschrocken stieß sie den Kasten wieder zurück und drehte den Schlüssel um – das Geld war begraben. Diese Entdeckung und die mit den unvermeidlichen Jasmindüften beschwerte Zimmerluft trieben sie nach der Glasthür des Nebensalons.

      Hinter den zugezogenen Vorhängen hatte sie nicht bemerkt, daß draußen der Vollmond am Himmel stand. Sie fuhr zurück, so blendend, so fremdartig lag dieses Schönwerth inmitten felsenzackiger, zum Teil mit dem prächtigsten Hochwald bestandener Berge, die es von allen Seiten umstarrten wie dräuende, ein funkelndes Kleinod hütende Drachenzähne ... Sie trat hinaus unter ein Säulendach – welch ein Kontrast zwischen der modernen inneren Einrichtung der Gemächer und diesen altersgrauen mächtigen Säulenbündeln, die in strenger Schönheit aufstiegen und hoch droben Rundbogen von tadelloser Reinheit scharf in den Mondhimmel schnitten! Nicht das leiseste Wehen des Nachtwindes strich vorüber, und doch mußte in der höheren Luftregion Bewegung sein - nervenberührend wie die geisterhafte Stimme, die im Glase schläft, zitterte manchmal ein vereinzelter Tonhauch von den Windharfen herüber.

      In diese feierliche Nachtstille hinein klangen plötzlich fernhereilende Menschentritte, förmlich erschreckend – die junge Frau trat in den Schatten der Pfeiler, während eine Kindergestalt laufend um die nördliche Hausecke kam; es war Leo. Seine kleinen nackten Füße steckten in Schlafschuhen; das in sichtlicher Eile übergeworfene grüne Samthöschen hielt er mit beiden Händen, und das spitzenbesetzte Nachthemd fiel von den Schultern offen zurück und ließ das Mondlicht über die kräftige, glänzend weiße nackte Büste des Kindes hinspielen ... Der Kleine sah sich scheu um und lief spornstreichs auf das Drahtgitter zu. Mit einigen raschen lautlosen Schritten stand die junge Frau hinter ihm.

      »Was thust du hier, Leo?« fragte sie und hielt ihn fest.

      Er stieß einen Schreckenslaut aus. »Ah, die neue Mama!« stammelte er gleich darauf sichtlich erleichtert. »Wirst du's dem Großpapa sagen?«

      »Wenn du ein Unrecht vorhast, allerdings –«

      »Nein, Mama,« versicherte er in seinem trotzig festen Tone und schüttelte die verwirrten Locken von der Stirn – er hatte offenbar schon im Bette gelegen. »Ich will Gabriel nur Schokoladefiguren bringen – ich habe sie nicht genommen, ganz gewiß nicht, Mama! – Herr von Rüdiger hat sie mir bei Tische auf den Teller gelegt. Ich spare sie mir immer ab für Gabriel; aber früh sind sie nie mehr in meiner Tasche – Fräulein Berger ißt sie zu gern; sie kaut den ganzen Tag – sie maust, das abscheuliche Ding.«

      »Wo ist denn dieses Fräulein Berger?« fragte Liane – die Erzieherin war ihr nach der Trauung vorgestellt worden und hatte ihr einen entschieden ungünstigen Eindruck gemacht.

      »Pfänderspiele spielt sie im Schulzimmer, und ich darf nicht hinein; sie hat zugeschlossen,« murrte er. »Sie machen einen greulichen Spektakel, und Punsch trinken sie auch – ich riech's durch das Schlüsselloch ... Ich habe Gabriel heute gar nicht mehr sehen dürfen, weil ich zu ungezogen gewesen bin – aber ›gute Nacht‹ werde ich ihm doch wohl sagen dürfen,« stieß er trotzig heraus. »Darf ich, Mama? Ja? Darf ich?«

      Er bat mit all seinem Ungestüme, aber auch mit dem köstlichen Tone des Vertrauens, der unbestrittenen Zusammengehörigkeit von Mutter und Kind – ein freudiges Aufschrecken durchzuckte die junge Frau – dieser Knabe mit dem ausgeprägtesten Trotze in den Zügen, er unterwarf sich ihrer mütterlichen Autorität freiwillig in den ersten Stunden. Mild wie das niederfließende Mondlicht fiel ein wehmütiges Glücksgefühl in ihre verdunkelte Seele; sie umschlang den Kleinen mit beiden Armen und küßte ihn zärtlich.

      »Gib mir das Konfekt, Leo! Ich will es Gabriel bringen. Du mußt jetzt in dein Bett zurück,« sagte sie und hielt ihm ihre Hand hin. »Ich werde ihm auch ›gute Nacht‹ von dir sagen; aber wo finde ich ihn denn?«

      Willig kehrte er seine Taschen um und schüttete den ganzen Inhalt in die schönen, schlanken Hände der Mutter. Sie lächelte – diesen Schokoladereichtum hätte der Großpapa allerdings nicht sehen dürfen – ihrem feinen Ohre war sein halb verbissenes Schelten über das teure Fruchteis heute nachmittag nicht entgangen.

      »Du mußt da drin am Teiche vorübergehen,« versetzte der Kleine, während er auskramte; er zeigte nach dem Drahtgitter. »In das Haus darfst du aber nicht – der Großpapa hat es streng verboten, und Fräulein Berger sagt, es wäre eine Hexe drin mit langen Zähnen. Dummes Zeug – ich fürchte mich nicht. Beißt sie doch Gabriel auch nicht.« ...

      Die junge Mutter zog ihm das Nachthemd über der Brust zusammen, nahm seine kleine Rechte in ihre Hand und führte ihn in das Schloß zurück ... Eine Ampel brannte am Plafond und goß durch ihr grünes geschliffenes Glas einen magischen Schein über das Schlafzimmer des Kindes. Ein Königssohn konnte nicht üppiger und prächtiger gebettet sein als dieser Sproß der Mainaus; aber was halfen diese seidenrauschenden Bettbehänge, diese mit Spitzen und Stickereien besetzten Kissen und Decken dem armen reichen Kinde! Sein Schlaf war doch kein behüteter, und wenn auch der Bronzeengel droben die Seidenfalten gerafft in seinen Händen hielt und die goldglänzenden Flügel darüber hinbreitete ... Vom Schulzimmer her klang gedämpft ausgelassenes Gelächter und das Zusammenklingen der Gläser. Liane meinte, der Geist der geschiedenen Mutter müsse zürnend durch diese Räume flattern und für die Pflichtvergessene dort drüben ein Mene Tekel an die Wand schreiben.

      »Mama,« sagte der Kleine und ließ in scheuer Raschheit sein Händchen liebkosend über ihre Wange hingleiten, während sie ihn sorgsam zudeckte, »es ist doch zu hübsch, wenn du da bist! Kommst du nun immer? Die erste Mama ist nie an mein Bett gekommen ... Gelt, und du gehst ganz gewiß noch zu Gabriel und bringst ihm die Schokolade?«

      Sie versprach ihm alles. Er legte befriedigt sein Köpfchen auf dem Kissen zurecht und nach fünf Minuten verrieten seine Atemzüge, daß er fest schlafe. Die junge Frau verließ geräuschlos das Zimmer und schloß draußen die Thür ab, durch welche der Kleine entwischt war.

      Es schlug eben halb elf, als sie das Parterre wieder betrat, das sich vor ihren Appartements hinzog. Graudurchsichtig, als schlüpfe der Saum der wandelnden Frau Sage durch die Gebüschlücken, lief drüben das Drahtgitter hin, der Prügelknabe, wie ihn Herr von Rüdiger heute genannt, der bleiche, schweigsame Sündenbock, schlief jedenfalls schon längst – er hatte auch weniger Teil an dem geheimnisvollen Reize, der die junge Frau unwiderstehlich nach jenem abgeschlossenen Reviere zog. Ihr Auge überflog, rückwärts gewendet, forschend das Schloß; in altersgrauer Pracht, mit seinen wuchtigen Steinbogen, seinen Kleeblättern in den gemeißelten spitzenklaren Steinrosetten der Bogenfenster und seinem Schutzheiligen dort auf dem Mauervorsprunge, stieg es auch hier wie eine Abtei in die weiße Mondlichtflut hinein. Nirgends blinkte ein Licht hinter dem Glase – nur aus dem Salon drunten quoll der Lampenschein grellgelb in das Dunkel des Säulenganges ... War es doch, als lehne dort an einem Pfeiler ein Mensch und starre lauschend nach der halboffenen Glasthür – Täuschung! Nicht ein Sandkorn bewegte sich unter den Füßen der vermeintlichen Gestalt; nicht die leiseste Bewegung zeigte, daß Atem in ihr sei – es war der Pfeilerschatten.

      Nun wandelte die junge Frau unter beschleunigtem Herzklopfen drinnen auf dem weißen Sande eines schmalen Weges; die Gitterthür war hinter ihr zugefallen. Noch beschatteten die letzten Zweige der traulich herüberreichenden Wacholder- und Nußbüsche ihr Haupt; aber dort aus dem Rasenspiegel hob sich fremd der gewaltige Schaft der indischen Banane, und der schräg hereinfallende Mondschein streckte den Schatten der imposanten Blattform riesenhaft über die Grasfläche hin. Dann lief der Weg durch dunklen Busch; zahllose Feuerfunken stoben umher – die kleine Käferleuchte kam in dem Dunkel zur Geltung. Durch das Geäst droben fuhr es hastig und rauschend; ein abgerissener Zweig flog auf die Schulter der jungen Frau; hier und da griff ein kleiner Arm nach ihr, und glänzende, kluge Affenaugen bogen sich aufgeregt neugierig tief zu ihrem Gesicht herab. Unwillkürlich fuhr ihre Hand nach der Stirn, als wolle sie einen beklemmenden Traum wegwischen – züngelte da nicht auch die bunte Cobra Capella aus dem duftenden Laube, und brach nicht die plumpe Masse des Elefanten herein, das Gebüsch und sie selbst unter den wuchtigen Füßen zerstampfend? ... Sie zögerte,


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