Erniedrigte und Beleidigte. Fjodor Dostojewski

Erniedrigte und Beleidigte - Fjodor Dostojewski


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ich habe noch gar nicht danach gefragt! Ich rede immer nur von mir. Nun, wie steht es jetzt mit deinen schriftstellerischen Angelegenheiten? Was macht dein neuer Roman? Kommst du gut mit ihm voran?«

      »Was kommt es jetzt auf meine Romane und auf mich an, Natascha! Und was ist von meinen Angelegenheiten zu sagen? Es geht einigermaßen damit, so leidlich; lassen wir das beiseite! Was ich noch sagen wollte, Natascha: hat er das denn selbst verlangt, daß du zu ihm kommen möchtest?«

      »Nein, nicht er allein; größtenteils ist es mein Gedanke. Allerdings hat er es gesagt; aber auch ich selbst . . . Siehst du, lieber Freund, ich werde dir alles erzählen: sein Vater hat ihm eine Frau ausgesucht, ein reiches, sehr vornehmes Mädchen, und sie ist auch mit sehr vornehmen Leuten verwandt. Sein Vater will durchaus, daß Aljoscha sie heiratet, und er ist, wie du weißt, ein sehr geschickter Intrigant; er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, denn er sagt, eine so günstige Gelegenheit komme in zehn Jahren nicht wieder; solche Konnexionen und ein solches Vermögen . . . Sie soll auch sehr schön sein und gebildet und von gutem Charakter, kurz, ein in jeder Hinsicht ausgezeichnetes Mädchen; Aljoscha ist schon ganz entzückt von ihr. Außerdem möchte sein Vater im eigenen Interesse ihn so bald wie möglich loswerden, um sich selbst wieder zu verheiraten, und hat sich darum vorgenommen, unter allen Umständen und um jeden Preis unsere Verbindung zu zerreißen. Er fürchtet mich und meinen Einfluß auf Aljoscha . . .«

      »Aber weiß denn der Fürst von eurer Liebe?« unterbrach ich sie erstaunt. »Er hatte ja doch nur einen Verdacht, der nicht einmal sicher war.«

      »Er weiß es, er weiß alles.«

      »Wer hat es ihm denn gesagt?«

      »Aljoscha hat ihm vor kurzem alles erzählt. Er hat mir selbst gesagt, daß er seinem Vater alles erzählt habe.«

      »Herrgott, was ist das für ein Verhalten! Er selbst hat alles erzählt und noch dazu unter solchen Verhältnissen?«

      »Verurteile ihn nicht, Wanja«, unterbrach mich Natascha; »lache nicht über ihn! Man kann ihn nicht so richten wie alle anderen Menschen. Sei gerecht! Er ist eben ein andersgearteter Mensch als du und ich. Er ist ein Kind; und er ist anders erzogen als wir beide. Versteht er denn, was er tut? Der erste beste Eindruck, der erste beste fremde Einfluß ist imstande, ihn von jedem loszureißen, dem er einen Augenblick vorher Treue geschworen hat. Er hat keine Charakterfestigkeit. Er schwört einem Treue und gibt sich an demselben Tag ebenso wahr und aufrichtig einem andern hin; und dabei kommt er noch selbst aus freien Stücken, um es zu erzählen. Er wird vielleicht auch eine schlechte Handlung begehen; und doch wird man ihn wegen dieser schlechten Handlung vielleicht nicht verurteilen können, sondern ihn höchstens bedauern müssen. Auch zur Aufopferung ist er fähig; sogar zu weitgehendster, weißt du! Aber nur, bis ein neues Gefühl sich seiner bemächtigt; dann wird er wieder alles vergessen. So wird er auch mich vergessen, wenn ich nicht beständig um ihn bin. So ein Mensch ist er!«

      »Ach, Natascha, vielleicht ist das mit der zukünftigen Frau alles nicht wahr, sondern nur ein bloßes Gerücht. Wie kann er denn, wenn er noch ein solcher Knabe ist, überhaupt heiraten!«

      »Der Vater hat seine besonderen Pläne, sage ich dir.«

      »Aber woher weißt du, daß sie ein so prächtiges Mädchen ist und daß er von ihr schon entzückt ist?«

      »Er hat es mir ja selbst gesagt.«

      »Wie? Er hat dir selbst gesagt, daß er eine andere lieben könne, und hat trotzdem jetzt von dir ein solches Opfer verlangt?«

      »Nein, Wanja, nein! Du kennst ihn nicht, du bist nur wenig mit ihm zusammengekommen; man muß ihn genauer kennenlernen, erst dann kann man sein Richter sein. Es gibt auf der ganzen Welt kein redlicheres, reineres Herz als das seinige! Wäre es denn etwa besser, wenn er mich belöge? Aber er läßt sich leicht hinreißen; er braucht mich nur eine Woche lang nicht zu sehen, und er wird mich vergessen und eine andere liebgewinnen; und nachher, wenn er mich wiedersieht, wird er von neuem zu meinen Füßen liegen. Nein, es ist gut, daß ich es weiß und er es nicht vor mir verheimlicht; sonst würde ich vor Argwohn sterben. Ja, Wanja, darüber bin ich mir ganz klar: wenn ich nicht immer, beständig, jeden Augenblick bei ihm bin, wird er aufhören, mich zu lieben, er wird mich vergessen und im Stich lassen. Das liegt nun einmal in seiner Natur; er läßt sich von jeder andern fesseln. Und was werde ich dann machen? Dann werde ich sterben . . . Und das wäre noch nicht das Schlimmste; ich würde auch jetzt gern sterben! Denn was hätte ich für ein Leben ohne ihn? Das wäre schlimmer als der Tod, schlimmer als alle sonst erdenkbaren Qualen! O Wanja, Wanja! Ich habe nicht anders gekonnt, als jetzt um seinetwillen Vater und Mutter verlassen! Suche mich nicht zu überreden; mein Entschluß steht fest! Aljoscha muß jede Stunde, jeden Augenblick um mich sein; ich kann nicht zurück. Ich weiß, daß ich mich und andere zugrunde gerichtet habe . . . Ach, Wanja!« schrie sie auf einmal und zitterte am ganzen Leib; »wenn er mich nun nicht mehr liebt? Wenn du recht gehabt hast, als du eben sagtest« (ich hatte das nie gesagt), »daß er mich nur täusche und nur so redlich und aufrichtig scheine, während er in Wirklichkeit ein schlechter, eitler Mensch sei! Da verteidige ich ihn nun dir gegenüber, und er sitzt vielleicht in diesem selben Augenblick bei einer andern und lacht sich ins Fäustchen . . . und ich, ich Schändliche, habe alles im Stich gelassen und laufe auf den Straßen umher und suche ihn . . . Oh, Wanja!«

      Dieses Stöhnen, das aus ihrer tiefsten Seele herausdrang, klang so schmerzvoll, daß mir das Herz vor Gram brechen wollte. Ich sah, daß Natascha schon alle Herrschaft über sich verloren hatte. Nur eine ganz blinde, sinnlose Eifersucht hatte sie zu einem so wahnsinnigen Entschluß bringen können. Aber auch in meinem eigenen Herzen flammte die Eifersucht auf und kam unhemmbar zum Ausbruch. Ich konnte mich nicht halten: ich ließ mich durch dieses häßliche Gefühl fortreißen.

      »Natascha«, sagte ich, »nur eins verstehe ich nicht: wie kannst du ihn lieben nach allem, was du soeben selbst über ihn gesagt hast? Du achtest ihn nicht, du glaubst nicht einmal an seine Liebe, und dennoch gehst du zu ihm ohne die Möglichkeit einer Rückkehr und machst um seinetwillen alle unglücklich! Was ist das für eine Handlungsweise? Er wird dir lebenslänglich Qualen bereiten und du ihm ebenfalls. Du liebst ihn im Übermaß, Natascha, im Übermaß! Ich habe kein Verständnis für eine solche Liebe.«

      »Ja, ich liebe ihn wie eine Wahnsinnige«, antwortete sie und wurde dabei blaß wie von heftigem körperlichem Schmerz. »Dich habe ich nie so geliebt, Wanja. Ich weiß ja selbst, daß ich den Verstand verloren habe und nicht so liebe, wie ich sollte. Ich liebe ihn in tadelnswerter Weise . . . Höre, Wanja, ich wußte es auch früher schon und ahnte es sogar in unseren glücklichsten Augenblicken, daß er mir nur Qualen bereiten werde. Aber was soll ich machen, wenn jetzt sogar die Qualen, die ich von ihm erleide, mein Glück bilden? Geh ich denn etwa zu ihm, weil ich da Freude erhoffe? Weiß ich denn nicht im voraus, was mich bei ihm erwartet und was ich von ihm zu erleiden haben werde? Er hat mir ja geschworen, mich immer zu lieben, und mir alle möglichen Versprechungen gemacht; aber ich glaube an seine Versprechungen nicht, ich messe ihnen keinen Wert bei und habe das auch früher nicht getan, obgleich ich wußte, daß er mich nicht belog und überhaupt nicht fähig ist zu lügen. Ich selbst, ich selbst habe ihm gesagt, daß ich ihn in keiner Weise binden wolle. Für ihn ist es so am besten: Fesseln liebt niemand, und ich am wenigsten. Und doch freue ich mich, seine Sklavin zu sein, seine freiwillige Sklavin, alles von ihm zu ertragen, alles, wenn er nur bei mir ist, wenn ich ihn nur anschauen kann! Mag er auch eine andere lieben, wenn es nur in meiner Gegenwart geschieht, damit auch ich dabei bin . . . Ist das nicht eine unwürdige Denkart, Wanja?« fragte sie plötzlich, indem sie mich mit einem heißen, brennenden Blick ansah; einen Augenblick lang schien es mir, daß sie im Fieber irrerede. »Es ist doch unwürdig, so etwas zu wünschen! Nicht wahr? Ich sage selbst, daß es unwürdig ist; aber wenn er sich von mir lossagt, so laufe ich ihm nach bis ans Ende der Welt, mag er mich auch zurückstoßen, mag er mich auch von sich jagen. Da redest du mir jetzt zu, ich möchte umkehren; aber was wird die Folge sein? Wenn ich umkehre, werde ich gleich morgen wieder weggehen; wenn er es befiehlt, so gehe ich weg; wenn er mir pfeift, mich ruft wie ein Hündchen, so laufe ich ihm nach . . . Qualen! Ich fürchte von ihm keine Qualen! Ich werde wissen, daß ich durch ihn leide . . . Ach, das läßt sich alles gar nicht aussprechen, Wanja!«

      durch ihn


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