Erniedrigte und Beleidigte. Fjodor Dostojewski

Erniedrigte und Beleidigte - Fjodor Dostojewski


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doch mein Leben lang segnen und für sie beten. Mein ganzes Herz ist bei ihnen! Ach, warum können wir nicht alle glücklich sein! Warum nicht, warum nicht! . . . O Gott, was habe ich getan!« rief sie plötzlich, als ob sie zur Besinnung käme, und am ganzen Leib vor Angst zitternd, verbarg sie das Gesicht in den Händen.

      Aljoscha umarmte sie und drückte sie, ohne zu reden, fest an seine Brust. Eine Weile schwiegen wir alle.

      »Wie konnten Sie nur ein solches Opfer von ihr verlangen!« sagte ich, indem ich ihn vorwurfsvoll anblickte.

      »Schelten Sie mich nicht!« versetzte er; »ich versichere Ihnen, daß alle diese Leiden, so drückend sie jetzt auch sind, doch nur einen Augenblick dauern werden. Ich bin davon fest überzeugt. Man muß nur die nötige Festigkeit besitzen, um diesen Augenblick zu ertragen; dasselbe hat auch sie mir gesagt. Sie wissen wohl: schuld an alledem ist dieser Familienstolz, dieser ganz unnötige Streit und dann noch dieser Prozeß! . . . Aber (ich habe lange darüber nachgedacht, versichere ich Sie) . . . all das wird in Bälde ein Ende finden. Wir alle werden wieder einig werden und dann völlig glücklich sein; sogar die Väter werden sich versöhnen, wenn sie uns junges Paar ansehen. Wer kann's wissen, vielleicht wird gerade unsere Verheiratung den Ausgangspunkt für ihre Versöhnung bilden. Ich glaube, es kann gar nicht anders sein. Was meinen Sie?«

      »Sie sagen Verheiratung. Wann werden Sie sich denn trauen lassen?« fragte ich und blickte dabei zu Natascha hin.

      »Morgen oder übermorgen; spätestens übermorgen, bestimmt. Sehen Sie, ich weiß es selbst noch nicht genau und habe, die Wahrheit zu sagen, noch keine Veranstaltungen dazu getroffen. Ich dachte, Natascha würde heute vielleicht noch gar nicht kommen. Außerdem wollte mich mein Vater heute durchaus zu einer jungen Dame führen (er möchte, daß ich sie heirate; Natascha hat Ihnen wohl davon gesagt; aber ich will nicht). Na also, darum habe ich alles noch nicht bestimmt in Aussicht nehmen können. Aber dennoch werden wir uns bestimmt übermorgen trauen lassen. Wenigstens ist das meine Ansicht, weil es ja auch nicht anders sein kann. Gleich morgen wollen wir auf der Pskower Chaussee wegfahren. Da habe ich nicht weit von hier auf einem Gut einen Schulkameraden vom Lyzeum her, einen sehr guten Menschen; vielleicht kann ich Sie mit ihm bekannt machen. Dort in dem Dorf ist auch ein Geistlicher; übrigens weiß ich nicht genau, ob einer da ist. Ich hätte mich vorher erkundigen sollen, aber ich bin nicht dazu gekommen. Aber im Grunde sind das Kleinigkeiten. Man muß nur die Hauptsache im Auge behalten. Man kann ja auch aus irgendeinem benachbarten Kirchdorf einen Geistlichen holen lassen; was meinen Sie? Es wird ja doch da in der Nachbarschaft Kirchdörfer geben! Schade ist nur, daß ich bisher nicht dazu gekommen bin, ein paar Zeilen dorthin zu schreiben; ich hätte meinen Freund vorher benachrichtigen sollen. Vielleicht ist er jetzt gar nicht zu Hause . . . Aber das ist alles nicht von Wichtigkeit! Wenn man nur Entschlossenheit besitzt, dann macht sich das alles ganz von selbst, nicht wahr? Inzwischen aber, bis morgen oder höchstens bis übermorgen, wird sie hier bei mir bleiben. Ich habe eine eigene Wohnung gemietet, in der wir nach unserer Rückkehr wohnen wollen. Bei meinem Vater möchte ich nicht mehr wohnen; habe ich nicht recht? Ich hoffe, Sie werden uns da besuchen. Ich habe die Wohnung allerliebst eingerichtet. Meine früheren Schulkameraden werden auch hinkommen; ich werde Abendgesellschaften geben . . .«

      Ich blickte ihn erstaunt und kummervoll an. Natascha flehte mich mit einem Blick an, ihn nicht zu streng zu richten und mit ihm Nachsicht zu haben. Sie hörte sein Gerede mit einem traurigen Lächeln an und betrachtete ihn gleichzeitig mit einer Art von liebevollem Wohlgefallen, wie man ein liebenswürdiges, heiteres Kind ansieht und sein unverständiges, aber nettes Geplauder anhört. Ich warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Das Herz wurde mir unerträglich schwer.

      »Aber Ihr Vater?« fragte ich. »Sind Sie denn so fest davon überzeugt, daß er Ihnen verzeihen wird?«

      »Unbedingt; was soll er denn sonst tun? Das heißt, zuerst wird er mich selbstverständlich verfluchen; davon bin ich sogar überzeugt. Das liegt eben in seinem Wesen; und er ist überhaupt streng gegen mich. Kurz, er wird seine väterliche Gewalt zur Anwendung bringen. Aber all das braucht man nicht ernst zu nehmen. Er liebt mich sinnlos; er wird ein bißchen zürnen und dann verzeihen. Dann werden sich alle versöhnen, und wir werden alle glücklich sein. Auch Nataschas Vater.«

      »Aber wenn er Ihnen nun nicht verzeiht? Haben Sie auch diesen Fall in Erwägung gezogen?«

      »Er wird mir unfehlbar verzeihen, nur vielleicht nicht so bald. Nun wohl, dann werde ich ihm zeigen, daß auch ich Charakterfestigkeit besitze. Er schilt mich immer, ich hätte keine Charakterfestigkeit, ich sei leichtsinnig. Jetzt soll er einmal sehen, ob ich leichtsinnig bin oder nicht. Ehemann zu werden, das ist ja kein Spaß; dann werde ich kein Knabe mehr sein . . . das heißt, ich wollte sagen: ich werde dann ebenso ein Mensch sein wie die andern . . . wie die Ehemänner. Ich werde von meiner Arbeit leben. Natascha sagt, daß das viel besser ist, als aus fremder Tasche zu leben, wie wir das alle tun. Wenn Sie nur wüßten, wieviel Gutes und Kluges sie zu mir sagt! Ich wäre auf diesen Gedanken niemals gekommen; ich bin in einer anderen Anschauung aufgewachsen und anders erzogen worden. Ich weiß freilich selbst, daß ich leichtsinnig und fast zu nichts tauglich bin; aber wissen Sie, vorgestern ist mir ein wunderbarer Gedanke gekommen. Es ist jetzt allerdings nicht recht Zeit dazu; aber ich will es Ihnen doch mitteilen, weil auch Natascha es hören muß und Sie uns Rat geben sollen. Sehen Sie, ich will Novellen schreiben und sie an die Journale verkaufen, so wie Sie das tun. Sie werden mir bei den Redakteuren der Journale behilflich sein, nicht wahr? Ich habe auf Sie gerechnet und gestern die ganze Nacht über einen Roman nachgedacht, so probeweise, und wissen Sie: er könnte sehr hübsch werden. Den Stoff habe ich einem Scribeschen Lustspiel entnommen . . . Aber das werde ich Ihnen ein andermal erzählen. Die Hauptsache ist, daß man Geld dafür bekommt; Sie bekommen ja doch auch welches!«

      Ich konnte mich nicht enthalten zu lächeln.

      »Sie lachen«, sagte er, ebenfalls lächelnd. »Nein, hören Sie«, fügte er mit unbegreiflicher Naivität hinzu, »beurteilen Sie mich nicht nach dem äußeren Schein; ich besitze wirklich eine außerordentlich gute Beobachtungsgabe; nun, Sie werden ja selbst sehen. Warum sollte ich nicht den Versuch machen? Vielleicht kommt etwas Hübsches dabei heraus . . . Übrigens, Sie mögen recht haben: ich verstehe ja nichts vom wirklichen Leben; Natascha sagt mir das auch; und das sagen mir alle Leute; was werde ich da als Schriftsteller leisten? Lachen Sie mich aus, lachen Sie mich aus, aber verhelfen Sie mir zur Besserung; Sie werden das ja auch für sie tun, und Sie lieben sie ja. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen: ich bin ihrer nicht wert; das fühle ich; das bedrückt mich sehr, und ich weiß nicht, weswegen sie mich so liebgewonnen hat. Aber ich glaube, ich könnte mein ganzes Leben für sie hingeben! Wirklich, ich habe bis auf diesen Augenblick keine Furcht gehabt, aber jetzt habe ich Furcht: was beginnen wir da! O Gott! Wenn ein Mensch sich mit Leib und Seele seiner Pflicht hingibt, ist es dann möglich, daß es ihm unglücklicherweise gerade an der zur Erfüllung dieser seiner Pflicht erforderlichen Klugheit und Charakterfestigkeit mangelt? Helfen wenigstens Sie uns, Sie, unser Freund! Sie sind der einzige Freund, der uns geblieben ist. Ich verstehe ja nichts, wenn ich auf mich allein angewiesen bin! Verzeihen Sie, daß ich in dieser Weise auf Sie rechne; ich halte Sie für einen sehr vornehm denkenden Menschen und glaube, daß Sie weit besser sind als ich. Aber ich werde mich bessern, davon mögen Sie überzeugt sein, und werde Ihrer und Nataschas würdig werden.«

      Hier drückte er mir wieder die Hand, und aus seinen schönen Augen leuchtete ein gutes, edles Gefühl. Vertrauensvoll streckte er mir die Hand hin, in der Überzeugung, daß ich sein Freund sei.

      »Sie wird mir helfen, mich zu bessern«, fuhr er fort. »Denken Sie übrigens von uns nichts Schlechtes, und ängstigen Sie sich um uns nicht allzusehr! Ich habe doch viele gute Aussichten, und in materieller Hinsicht werden wir völlig gesichert sein. Wenn es mir mit dem Roman nicht gelingen sollte (und um die Wahrheit zu gestehen, ich habe schon vorhin gedacht, daß der Roman eine Dummheit ist, und habe Ihnen jetzt davon nur erzählt, um Ihre Meinung zu hören), wenn es mir mit dem Roman nicht gelingen sollte, so kann ich schlimmstenfalls Musikstunden geben. Sie haben wohl nicht gewußt, daß ich musikalisch bin? Ich werde mich nicht schämen, auch von solcher Arbeit zu leben. Ich bin in diesem Punkt durchaus ein Anhänger der neuen Ideen. Und außerdem besitze ich eine Menge wertvoller Schmucksachen und Toilettengegenstände; was habe ich von denen? Ich werde sie verkaufen,


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