Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt

Reichsgräfin Gisela - Eugenie Marlitt


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meiner weitläufigen Räumlichkeiten ab, und sollten Sie oder Ihr Herr Bräutigam Bedenken tragen, alles Übrige ohne weiteres in Schloß Arnsberg anzunehmen, nun, so geben Sie doch Gisela Klavierunterricht – dann ist alles ausgeglichen!... Wollen Sie?«

      Statt aller Antwort wand sich das junge Mädchen hastig aus Frau von Herbecks Armen, eilte in die anstoßende Kammer und kehrte nach wenigen Minuten, in einen engen, verwachsenen Mantel gehüllt, in die Stube zurück.

      »Hier haben Sie mich!« sagte sie mit strahlenden Augen.

      Frau von Herbeck unterdrückte mit Mühe ein Lächeln über die wunderliche Figur, die die junge Dame in dem engen, pressenden, unmodernen Kleidungsstück spielte. Sie befühlte die dünne Wattierung.

      »Das Mäntelchen ist viel zu leicht. Bedenken Sie, daß wir in die eisige Nachtluft hinaus müssen!« sagte sie, während sie den Mantel abstreifte und zu Boden fallen ließ. »Lena hat uns ja ein ganzes Kleidermagazin geschickt!« fuhr sie fort und zog aus dem Wust von Schals und Mänteln, den der Bediente auf das Sofa gelegt hatte, einen mit Pelz besetzten, königsblauen Samtüberwurf und eine Kapuze aus weißem Kaschmir. Diese weichen, kostbaren Umhüllungen legte sie eigenhändig um Kopf und Schultern des jungen Mädchens.

      Nach wenigen Minuten stand das traute Eckstübchen verlassen, und die drei stiegen die Treppe hinab, an deren Fuß Rosamunde mit der flackernden Küchenlampe stand. Das alte Mädchen ließ vor Erstaunen fast die Lampe fallen, als Jutta ihr näher kam – es war aber auch in der Tat ein wahrhaft blendender Anblick. Freilich fehlte diesem stolz zurückgeworfenen Haupt mit dem weißflockigen Diadem über der Stirn, dieser gebieterisch herabschreitenden Gestalt im übergeworfenen Samtmantel augenblicklich all und jeder mädchenhafte Liebreiz – es schien, als sei er, mit dem alten Mäntelchen abgestreift, droben im Eckstübchen zurückgeblieben –, dafür war die junge Dame aber auch vollkommen das, was sie sein wollte. der stolze Abkömmling eines uralten, hochmütigen Geschlechts!

      Sie war eben im Begriff, sich an Rosamunde zu wenden, als aus dem tiefen Dunkel des zweiten Hausflurs plötzlich Sieverts grauer Kopf auftauchte. Der Anblick dieses finster verbissenen Gesichts war wohl gerade in diesem Augenblick der am wenigsten wünschenswerte für die Flüchtende. In ihre Wangen trat die lebendige Röte einer sehr unliebsamen Überraschung, aber die Züge versteinerten sich auch förmlich in dem Ausdruck unsäglichen Hochmuts – vergebens, der alte Soldat ließ sich dadurch weder verscheuchen noch außer Fassung bringen; er trat vielmehr näher, während seine Augen feindselig höhnisch über die elegante Umhüllung der jungen Dame glitten.

      »Der Hüttenmeister schickt mich –« hob Sievert an.

      »Mann, Sie kommen aus dem Hause, wo ein Tyhpuskranker liegt?« schrie Frau von Herbeck entrüstet auf, indem sie sich schützend vor die kleine Gräfin stellte und ihr Batisttaschentuch an den Mund hielt.

      »Ach, machen Sie doch keine Geschichten!« entgegnete Sievert fast knurrend und streckte mit einer sehr wenig respektvollen Bewegung seine knochige Hand nach der bebenden Gouvernante aus. »Es geht noch lange nicht an Ihr Leben!... Der Hüttenmeister leidet schon gar nicht, daß einer so mir nichts dir nichts ins Pfarrhaus geht. Hab' mich in der Gießerei erst stundenlang ausräuchern und auslüften müssen – obwohl das, sozusagen, eine Dummheit ist – denn der Doktor hat zehnmal gesagt, daß die Krankheit jetzt noch gar nicht ansteckt!«

      Er wendete sich wieder zu Jutta. »Also ich soll Ihnen ausrichten, es wär' heute nichts mit dem Hierherkommen und der Bescherung, weil's unser Student eben – just in dem Moment – mit dem Sterben zu tun hat.« Bei den letzten Worten klang die rauhe Stimme fast grell, unter dem sichtlichen Bemühen, das Brechen derselben zu verhindern.

      »O Gott, der Ärmste!« rief Jutta; es blieb zweifelhaft, wen sie meinte, den Sterbenden oder ihren Bräutigam; aber fast schien es, als begreife sie, daß dies doch nicht der schickliche Moment sei, den eigenmächtigen Schritt auszuführen, den sie vorhatte – unwillkürlich wandte sich ihr Fuß, wieder treppauf zu steigen, Frau von Herbeck ergriff plötzlich ihre Hand und hielt sie fest wie in einem Schraubstock.

      »Das ist ein sehr beklagenswertes Ereignis!« sagte sie, und der Ton inniger Teilnahme gelang ihr vortrefflich. »Ich fühle die doppelte Verpflichtung, Sie in diesen traurigen Augenblicken nicht allein zu lassen. Kommen Sie, liebes Kind – wir dürfen auch Gisela nicht so unverantwortlich lange dem abscheulichen Zugwind hier aussetzen.«

      Jutta verließ die letzten Treppenstufe.

      »Sagen Sie dem Hüttenmeister, daß ich sehr unglücklich sei«, wendete sie sich an Sievert. »Ich gehe für einige Tage nach Arnsberg und –«

      »Sie gehen nach Arnsberg?« rief er und griff an seinen Kopf, als sei ihm das Gehörte unfaßlich.

      »Und warum nicht, Mann?« fragte Frau von Herbeck eisig kalt, mit jenem Ausdruck feudalen Übergewichts, der sofort jedwede ungelegene Antwort verstummen machen will. Das imponierte indes dem alten, verbitterten Soldaten sehr wenig. Er stieß ein rauhes Hohngelächter aus.

      »Nach Schloß Arnsberg, das dem Baron Fleury gehört?« wiederholte er.

      Frau von Herbeck warf einen Blick nach der Haustür. Dort stand der Lakai unbeweglich mit abgezogenem Hut, und draußen kauerte der pelzumhüllte Kutscher auf dem Bock – sie mußten jedes Wort hören.

      »Ich muß Sie dringend bitten, liebstes Fräulein von Zweiflingen, dies eigentümliche Zwiegespräch abzukürzen«, sagte sie malitiös, wenn auch mit sehr unruhig flackernden Augen. »Ich verstehe nicht, was der Mann will!«

      »Ich weiß es!« unterbrach Jutta die Dame tief erbittert, indem sie sich hoch und stolz aufrichtete. »Hofmeistern will er mich!... Er vergißt nur zu gern seine Stellung und macht sich stets der empörendsten Übergriffe schuldig... Aber ich sage Ihnen, Sievert«, wandte sie sich in unsäglich verächtlichem Ton und bebend vor Entrüstung an den alten Mann, »die Zeiten sind vorüber, wo Sie sich unterstehen durften, mir und meiner armen Mama Ihre sogenannten Wahrheiten ins Gesicht zu sagen und uns das Leben so unbeschreiblich schwer zu machen... Wenn auch Mama in ihrem leidenden Zustand diese ewigen Widersprüche und Ungeschliffenheiten geduldig hingenommen hat, so war das ihre Sache – ich aber verbitte mir Ihre Bevormundung hiermit für alle Zeiten!«

      Damit rauschte sie weiter, aber noch einmal, und zwar mit einem unnachahmlichen Gemisch von Grazie und hocharistokratischer Würde, wandte sie den Kopf zurück – sie war offenbar zum Befehlen geboren.

      »Sagen Sie Ihrer Herrschaft, daß ich für die Feiertage Frau von Herbecks Gast sein würde!« rief sie der wortlos dastehenden Rosamunde zu, dann schritt sie mit einem leichten Kopfneigen an dem sich verbeugenden Lakaien vorüber und bestieg den Schlitten, in dem Frau von Herbeck und die kleine Gräfin bereits Platz genommen hatten. Er flog pfeilgeschwind in die Nacht hinein – es war nur eine kurze ebene Strecke, die er zu durchmessen hatte, und doch fuhr er über eine unausfüllbare Kluft; die Furchen, die er im Schnee zurückließ, waren die einzige und letzte Verbindung zwischen Schloß und Pfarrhaus.

      Sievert war sprachlos am Fuß der Treppe stehen geblieben; erst das Schellengeklingel des davonsausenden Schlittens weckte ihn aus der Erstarrung, mit der er der dahinschwebenden jungen Dame nachgesehen hatte. Nun aber rannte er hinaus in das Dunkel. »Undank, Undank!« murmelte er und streckte die geballten Hände in unbeschreiblicher Aufregung gegen den flimmernden Himmel – dort, über dem Hüttenwerk funkelte der Sirius in seinem weißen Licht, der bleiche Liebling des alten Sternkundigen. Sein finsterer Blick haftete an dem Stern. »Ja, ja, da steht der alte Knabe und denkt wunder wie fest!« lachte er ingrimmig. »Und ist doch auch nicht mehr rot, wie ihn die Alten gesehen haben! ›Rr, ein ander Bild!‹ heißt's da droben, ebensogut wie in der elenden, erbärmlichen Menschenseele!... Hei, fahre du nur hin ins Schloß! ›Wohl bekomm's!‹ sagt der alte Sievert – aber es müßte nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn's der da droben – gesegnen sollte!«...

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