Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt

Reichsgräfin Gisela - Eugenie Marlitt


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im Seifenschaum gesteckt hatten.

      Fritzchen wurde nach dem Prinzip der allgemeinen Menschenliebe erzogen. Es fiel ihm plötzlich ein, daß er von allem, was ihm gut schmeckte, an Mama, Rosamunde und die Geschwister abgeben mußte, und infolgedessen nahm er unter treuherzigem Lallen den Zwieback vom Munde und stieß ihn mit den ungeschickten Händchen heftig gegen Juttas Lippen – das junge Mädchen fuhr leise aufschreckend zurück, und die Röte des Erschreckens flammte über ihr Gesicht; die kleine Gräfin aber lachte laut auf – der Moment erschien ihr urkomisch.

      »Aber, Gisela, mein Kind, wie magst du da nur lachen?« schalt die Frau von Herbeck sanft. »Siehst du denn nicht, daß das arme Fräulein von Zweiflingen zu Tode erschrocken ist über die Zudringlichkeit des kleinen Bengels?... Übrigens sehe ich gar nicht ein, weshalb wir uns das gemütliche Plauderstündchen verderben lassen sollen!« fuhr sie ärgerlich fort. »Ich werde der Sache gleich ein Ende machen!«

      Sie stand auf, nahm den kleinen Missetäter von Juttas Schoß und setzte ihn auf die Dielen; in demselben Augenblick kauerte aber auch Gisela neben dem Kinde und legte die kleinen mageren Arme um seine Schultern. Der Ausdruck war wie weggewischt von ihrem schmalen Gesichtchen. »Es war gut gemeint von ihm!« sagte sie, zwischen Trotz und Bedauern schwankend.

      »Pfui, mein Kind – ich bitte dich, rühre den schmutzigen Jungen nicht an!« rief Frau von Herbeck, die Bemerkung des Kindes überhörend.

      Die kleine Gräfin antwortete nicht, aber der Blick, mit dem sie zu ihrer Gouvernante aufsah, funkelte in Zorn und Widersetzlichkeit. Diesem Kinde gegenüber hatte die Dame offenbar einen sehr schweren Stand; allein sie war ja »vollkommen passend« und wußte sich demgemäß zu helfen.

      »Wie – eigensinnig will mein Liebchen sein?« fragte sie schalkhaft zärtlich. »Nun meinetwegen, bleibe du sitzen, wenn es dir Freude macht!... Was aber wohl Papa sagen würde, wenn er die kleine Reichsgräfin Sturm als Kindermädchen auf dem Fußboden kauern sähe! Oder die Großmama!... Weißt du noch, Engelchen, wie sie zürnte und schalt, weil dir im vorigen Jahr auf deine Bitten die Frau des Jägers Schmidt ihr Kind auf den Schoß gegeben hatte?... Nun ist sie tot, die liebe, schöne Großmama; aber du weißt ja, daß sie im Himmel ist und immer sehen kann, was ihre kleine Gisela tut – in diesem Augenblick betrübt sie sich gewiß recht sehr, denn was du tust, schickt sich ja nicht für dich!«

      »Es schickt sich nicht für dich!« das war die Zauberformel, mittels der diese Kinderseele regiert wurde. Nicht daß das aristokratische Element so übermächtig in ihr ausgebildet gewesen wäre, um jedes verpönte Begehren mit seiner Hilfe zu unterdrücken – dazu war das Kind noch zu jung; aber »es schickt sich nicht für dich!« hatte ja »die liebe, schöne Großmama« so oft gesagt, ehe sie in den Himmel gegangen, und sie war und blieb der Inbegriff der Erhabenheit und Unfehlbarkeit für die kleine, verwaiste Enkelin... Noch saß die Falte des Zorns zwischen Giselas Brauen, und ihre Augen hingen beunruhigt an dem kleinen Ausgesetzten auf dem Boden, aber als die Gouvernante mit ihren weichen, weißen Händen sanft die schmale, leichte Gestalt zu sich emporzog, da ließ sie sich willenlos greifen, wie ein Vogel, der keinen Ausweg mehr sieht – Frau von Herbeck kehrte mit ihr zum Sofa zurück und behielt ihre Hand zwischen den ihrigen.

      Fritzchen sah sich plötzlich einsam und verlassen. Er warf seinen Zwieback hin, streckte die Ärmchen empor und wollte genommen sein; allein Jutta wandte sich ab – sie war noch immer beschäftigt, ihre etwas in Unordnung geratenen Locken und die verschobenen Falten des Kleides wieder zu ordnen – und Frau von Herbeck machte ihm ein bitterböses Gesicht und drohte heftig mit dem Finger. Der arme, kleine Schelm starrte sie lange erschrocken und unverwandt an – seine großen, blauen Augen füllten sich allmählich mit Tränen, während ein Jammerzug die Mundwinkel herabsenkte – endlich brach er in ein bitterliches Weinen aus.

      Sofort eilten die raschen Füße der Pfarrerin die Treppe herauf, und ehe sich die Damen dessen versahen, stand sie in der Tür. Dort saß ihr »Herzblättchen« ausgestoßen und verlassen auf dem kalten Fußboden, und die vornehmen Frauengestalten auf dem Sofa schmiegten sich aneinander wie zusammengehörig, und als könne der Raum zwischen ihnen und dem plebejischen Kinde nicht weit genug sein.

      Nicht ein Wort kam über die Lippen der beleidigten Mutter, nur eine tiefe Blässe bedeckte für einen Augenblick das blühende Gesicht. Sie hob ihren Knaben empor und preßte ihn heftig an sich; dann wickelte sie ihn in das warme Tuch und schritt nach der Tür zu. Dieses lautlose Schweigen, die fast königliche Haltung der einfachen Frau, die es unter ihrer Würde hielt, ihrem tiefverletzten Gefühl Ausdruck zu geben, imponierten selbst der gewiegten Welt- und Salondame auf dem Sofa.

      »Meine beste Frau Pfarrerin«, rief sie, leicht verlegen, aber mit einschmeichelnder Stimme ihr nach, »Ich bedauere, daß wir den Kleinen nicht besser beschäftigen konnten, aber er war sehr unruhig, und Fräulein von Zweiflingen ist doch noch zu angegriffen –«

      »Ich kann es mir selbst nicht verzeihen, daß ich das nicht besser überlegt habe«, antwortete die Pfarrerin einfach, ohne Bitterkeit, und ging hinaus.

      »Seien Sie diesem Zwischenfall dankbar, Kindchen!« flüsterte die Gouvernante, als sie auch auf Juttas Gesicht einen Zug der Scham und Verlegenheit bemerkte. »Mit dieser einen Zurechtweisung hab' ich Sie vor einer unabsehbaren Reihe widerwärtiger Zumutungen bewahrt... Das ist auch eine jener ›wackeren deutschen‹ Hausfrauen, die vor lauter Tugend und Vortrefflichkeit unausstehlich werden. Zudringlich mit ihrer Weisheit, fahnden sie förmlich auf junge Mädchenseelen und pressen die unschuldigen Lämmer ohne Gnade in den Pferch der sogenannten ›Weiblichkeit‹, die da nichts erlaubt als Bibel, Kochtopf und Strickstrumpf... Das, was wir eben erlebt haben, war der erste leise Versuch der überklugen Frau – war ich nicht da mit meinem Einspruch, so säßen Sie bereits morgen drunten und flickten den alten Rock des Herrn Pfarrers oder die zerrissenen Höschen der geistlichen Sprößlinge.«

      Jutta fuhr empor – in diesem Moment konnte sich das aufglühende Mädchengesicht getrost neben den hochmütigen Zügen des stolzesten Ahnherrn in der Halle des Waldhauses behaupten – das war genau jener kalt zurückweisende Zug um die Lippen, jener verächtlich abwärts zuckende Blitz aus den halbgeschlossenen Augenlidern, der da sagte: »Was nicht neben oder über mir steht, existiert nicht für mich!«

      Frau von Herbeck legte den Arm wieder um die schlanken Hüften des jungen Mädchens und zog sie schmeichelnd an sich heran. Dabei ergriff sie mit der Linken die Hand, die schmal und zart, wie ein durchsichtig weißes Blumenblatt auf dem schwarzen Wollkleide lag, und betrachtete sie mit einer Art von zärtlicher Aufmerksamkeit.

      »Es kann mich förmlich unglücklich machen«, sagte sie mit einem Anflug von Groll in der Stimme, »wenn ich eine meisterhafte Form, wie zum Beispiel diese reizende Hand hier, sehe, und mir dabei sagen muß, daß ihre Schönheit unausbleiblich zerstört werden wird durch die Anforderungen einer unangemessenen Lebensstellung... Diese rosigen Nägel, diese Grübchen voll Küchenschwärze! – pfui, ich mag es gar nicht denken!... Hoffentlich verfährt das Schicksal glimpflich mit Ihnen, Kindchen!... Freilich, ganz und gar diesem Los entgehen werden Sie doch nicht als Frau Hüttenmeisterin.«

      »Theobald hat mir und Mama versprochen, daß er mich wie seinen Augapfel behüten wolle«, entgegnete das junge Mädchen stockend mit halberstickter Stimme.

      »Ja, ja, liebes Herzchen, das ist alles recht schön und gut, und der Hüttenmeister auf alle Fälle ein prächtig lieber Mensch, der im Notfall sein Herzblut für Sie hingibt – in seinen guten Willen setze ich auch nicht den mindesten Zweifel. Aber, aber, solch einem glücklichen Bräutigam fällt es selten ein zu rechnen – das kommt erst nach der Hochzeit... Und was wollen Sie dann machen, wenn Sie einmal drinstecken? Die Familie wird größer, das Einkommen aber nicht, und wenn dann der Mann die Nähterin oder Flickmamsell nicht mehr bezahlen kann, so hilft der Frau kein Wehren und Sträuben – sie muß, wohl oder übel, die groben Strümpfe des Herrn Gemahls über die feine Hand stülpen und – sie flicken.«

      Frau von Herbeck hielt inne und sah seitwärts auf Juttas Gesicht nieder, das an ihrer Schulter lehnte. Das junge Mädchen schwieg mit fest zusammengepreßten Lippen, während sein Auge unverwandt und finster auf den Boden starrte, als gewänne die häßliche Schilderung der


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