Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt
schöne, volle Haar von geschickten Kammerjungferhänden modern und geschmackvoll geordnet, und erzählte Episoden aus dem Leben und Treiben der großen Welt, und von dem jungen Geschöpf, das sich weich und hingebend an die stattliche Frau schmiegte, war das starre Gepräge der »tiefen, wortlosen Trauer« spurlos weggewischt. Das war wieder die Lebenslust atmende Gestalt, die wir im Brautkleid der Mutter, mit den Tazetten im Haar, vor dem Spiegel gesehen haben – unverwandt und sprühend hingen die dunkeln Augen an dem roten, leichtgeschwellten Mund der Erzählerin, die ein farbenreiches, verlockendes Bild nach dem anderen aufrollte. Die junge Dame war der Wirklichkeit, dem engen Stübchen so gut entrückt wie das denkende Kind am Fenster; nur dann und wann fuhr sie empor und warf einen zornigen Blick nach der Tür. Da draußen lag die alte Rosamunde, die qualmende Küchenlampe neben sich, auf den Dielen und scheuerte mit wahrer Inbrunst Vorsaal und Treppe, als letzten Rest ihrer Weihnachtsarbeiten – sie kannte die Füßchen der »kleinen Panduren« viel zu gut, um nicht zu wissen, daß sie am liebsten schnurstracks aus Pfützen und Straßenschmutz über den frischgescheuerten Fußboden liefen, und deshalb warf sie auf jede neugewaschene Stelle mit unglaublicher Vehemenz ganze Salven schützender Sandbrocken.
Da kamen rasche Schritte über den Vorsaal, und die Pfarrerin trat in das Zimmer. In der Linken trug sie ein brennendes Licht und auf dem rechten Arme ihren in ein dickes, wollenes Tuch gewickelten jüngsten Knaben. Die ganze große, kräftige Frau mit den glühenden Wangen und energischen Bewegungen war das Bild angestrengter Tätigkeit. Sie bot einen freundlichen guten Abend und stellte das Licht auf das Klavier, da beide Damen die Hand über die geblendeten Augen hielten.
»Heute geht's scharf her in der alten Pfarre, nicht wahr, Fräulein Jutta?« meinte sie lächelnd, wobei zwei Reihen kerngesunder, fest zusammengefügter Zähne sichtbar wurden. »Nun, morgen sollen Sie dafür einen recht stillen Feiertag, ein ruhiges, leeres Haus haben. Mein Mann hält die Filialpredigt in Greinsfeld, und meine kleine, wilde Gesellschaft drunten geht auch mit hinüber – die alte Muhme Röder hat sie zum Kaffee eingeladen... Fräulein Jutta, ich möchte Ihnen gern für eine halbe Stunde mein Herzblättchen da lassen – Rosamunde scheuert noch drauf und drein und wird gern brummig, wenn man sie von der Arbeit abruft, und mit den Kindern ist heute absolut nichts anzufangen; sie laufen von einem Schlüsselloch zum anderen, gucken nach dem Himmel, ob er nicht bald dunkel wird, und darüber kann der kleine Schelm da, der gern an den Stühlen aufsteht, zehnmal auf die Nase fallen. Mir aber wären heute zehn Hände nicht zu viel – die Kinder horchen schon auf die Klingel, und es liegt noch nicht ein einziges Stück auf dem Weihnachtstisch.«
Sie wickelte den Kleinen aus dem Tuch und setzte ihn auf den Schoß der jungen Dame. »So, da haben Sie ihn!« sagte sie und strich mit der großen, kräftigen Hand glättend über die weißen Flaumhaare des Köpfchens, die sich unter dem Tuch zu lauter Löckchen gekrümmt hatten. »Er kommt eben aus dem Bade und ist so weiß und frisch wie ein Nußkernchen. Viel belästigen wird er Sie nicht – es ist mein artigstes Kind.«
Voll von der unerschütterlichen Zuversicht der Mutterliebe, die ihr Kind unwiderstehlich findet, war es ihr nicht eingefallen, auch nur einen forschenden Blick auf Juttas Gesicht zu werfen; ihr Auge hing vielmehr unverwandt mit zärtlichem Stolz an dem kugelrunden Geschöpfchen, das gutwillig auf dem Schoß der jungen Dame sitzen blieb und mit seinen vier nagelneuen Zähnchen tapfer in den Zwieback biß, den die Mutter in die kleine Hand gedrückt hatte.
Die Pfarrerin schritt hurtig nach der Tür zurück, allein diese zwei blauen, lustigen Augen besaßen einen wahren Feldherrnblick im Hauswesen; sie fahndeten selbst in der größten Eile auf jede Gesetzwidrigkeit, und so blieb die Frau plötzlich stehen und ergriff einen der Immergrünzweige, die sich nach Frau von Zweiflingens Bild emporrankten und vom Kerzenlichte bestrahlt wurden – die jungen Triebe hingen matt und halb verdurstet am Stengel.
»O weh, ihr armen Dinger!« rief sie mitleidig, während sie nach einer gefüllten Wasserflasche griff und die steinharte Erde in den Töpfen begoß. »Fräulein Jutta«, wandte sie sich freundlich ernst an die junge Dame, »das Immergrün da müssen Sie mir mehr in Ehren halten! Als ich meinen ersten Geburtstag als junge Frau hier in der Pfarre feierte, da ging es knapp genug bei uns zu – der Storch war da gewesen, und so war der Geldbeutel schmal geworden –, mein Mann hatte keinen Groschen mehr in der Tasche, aber da kam er in aller Frühe aus dem Walde und stellte mir die Töpfe aufs Fensterbrett, und ich sah zum erstenmal in meinem Leben, daß er geweint hatte... Ich hab' sie nicht mit leichtem Herzen da heraufgegeben«, fuhr sie aufrichtig fort, indem ihre flinken Hände die niederhängenden Ranken wieder an den Schnüren befestigten, die an der Wand hinliefen; »aber mit Tapeten sieht's windig bei uns aus, die kann weder mein Mann noch die Gemeinde bezahlen, und die kahlen weißen Wände waren mir denn doch nicht schön genug für meinen lieben Gast.«
Ihr Gesicht hatte bei den letzten Worten wieder den Ausdruck unbekümmerter Heiterkeit angenommen. Sie setzte das Licht auf den Sofatisch, nickte ihrem Knaben zu und verließ rasch das Zimmer.
Als die Tür hinter ihr in das Schloß gefallen war, sah Frau von Herbeck einen Augenblick wie sprachlos vor Erstaunen in Juttas Gesicht, dann brach sie in ein helles, spöttisches Lachen aus.
»Nun, das muß ich sagen, das ist eine Naivität, die ihresgleichen sucht!« rief sie und sank, die Hände zusammenschlagend, an das schwellende Polster der Sofalehne zurück. »Himmel, was Sie für ein klassisches Gesicht machen, Herzchen! Und wie gottvoll Sie sich anstellen als Kindermuhme!... Ich könnte mich totlachen!«
Jutta hatte noch nie ein Kind auf dem Schoße gehabt und selbst als kleines Mädchen nur wenig mit Altersgenossen verkehren dürfen. Als die Zwistigkeiten zwischen ihren Eltern ausbrachen, war sie – kaum zwei Jahre alt – einer in klösterlicher Einsamkeit lebenden Geheimratswitwe übergeben worden, sie sollte nicht durch die schrecklichen Verhältnisse im elterlichen Hause berührt werden. Erst kurz vor dem Tode ihres Vaters durfte sie zu der Mutter zurückkehren und hatte somit den größten Teil ihrer Kindheit fast ausschließlich im Umgang mit der alten Dame verbracht, deren Aufgabe es ja gewesen war, sie einzig und allein für ein zurückgezogenes, anspruchsloses Leben zu erziehen. Übrigens mußte dieser jungen Mädchenseele der Instinkt versagt sein, der das echte Weib unwiderstehlich zu der Kinderwelt hinzieht und dasselbe sofort, ohne irgendwelche Anleitung, zur Pflegerin geschickt macht, denn sie sah, den Oberkörper ängstlich zurückgebogen und die Arme steif an den Seiten niederhaltend, mit einer Art von Entsetzen auf den kleinen, aufgedrungenen Schützling nieder; aber sie war auch innerlich erbittert über die Zumutung, die ihr gemacht worden war – sie runzelte finster die Brauen, und die feinen, bläulichweißen Zähne gruben sich tief in die Unterlippe.
»Ach, und wie vortrefflich Ihnen die ehrliche Landpomeranze zu sagen wußte, welche übermenschlichen Opfer ›dem lieben Gast‹ in diesem gesegneten Pfarrhause gebracht werden!« fuhr Frau von Herbeck noch immer lachend fort, »Gott solch eine vierschrötige, hausbackene Person, und dabei diese Sentimentalität mit dem Grünzeug!... An Ihrer Stelle ließ ich die Töpfe sofort dahin zurückbringen, wo sie der gerührte Gatte einst hingestellt hat – schließlich werden Sie noch für jedes abgefallene Blatt verantwortlich gemacht, und ich kann es Ihnen keinen Augenblick verdenken, wenn Sie nicht Lust haben, die kostbare Orangerie der Frau Pfarrerin zu begießen.«
Die kleine Gisela war von ihrem Stuhl aus mit großer Aufmerksamkeit dem ganzen Vorgang gefolgt. Jetzt glitt sie auf den Boden herab, und ihr großes, kluges Auge richtete sich erregt auf das Gesicht ihrer Gouvernante, während ein helles Rot unter die gelblichweiße, matte Haut der Wangen trat.
»Die Töpfe dürfen nicht fortgeschafft werden!« sagte sie ziemlich heftig. »Ich will es nicht haben – das tut mir zu weh!« Stimme und Gebärden des Kindes zeigten unverkennbar, daß es gewohnt sei, zu befehlen.
Frau von Herbeck nahm die Kleine sofort in ihre Arme und küßte sie voll Zärtlichkeit auf die Stirne. »Nein, nein«, beschwichtigte sie, »sie sollen ganz gewiß da bleiben, wenn mein süßes Kindchen es will... Aber du verstehst das noch nicht, Engelchen – es ist nicht so gut gemeint von der Frau, wie du denkst.«
Währenddessen hatte Fritzchen lustig und unbekümmert seinen Zwieback bearbeitet. Das kaum dreivierteljährige Kind war in der Tat frisch und weiß wie ein Nußkern. Der kleine, runde Kopf mit den blühenden