Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt

Reichsgräfin Gisela - Eugenie Marlitt


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zu bezwingen. Tief Atem schöpfend und den siechen Körper noch einmal gewaltsam aufrichtend, hob und senkte sie die ausgestreckte Rechte mit einer fast feierlichen Bewegung und fuhr fort: »Leugnen Sie denn, daß das Vermögen der Zweiflingen auf dem grünen Tisch zerschmolzen ist, dem Seine Exzellenz, der jetzige Minister, einst präsidierte!... Leugnen Sie, daß der Reitknecht des Baron Fleury heimlich jenem Verblendeten die Billetdoux der Gräfin Völdern überbrachte, wenn er, bewegt durch die inständigen Bitten und namenlosen Leiden seiner unglücklichen Frau, Miene machte, den Weg der Treulosigkeit und des Verderbens zu verlassen!... Leugnen Sie, daß er einen frühen Tod finden mußte, weil er die Ehre verloren und zu spät seine Verführer erkannte!... Leugnen Sie dies alles – Sie haben die Stirne dazu, und eine Anzahl feiger Seelen wird es dem allmächtigen Minister nachbeten; aber ich, ich klage Sie an mit meinem letzten Atemzug – und es gibt einen Gott im Himmel!«

      Wohl waren die weißen Wangen des Ministers um einen Schein fahler geworden, aber das war auch das einzige Anzeichen innerer Bewegung. Die Lider lagen längst wieder über den Augen und machten sie glanzlos und undurchdringlich, mit der schlanken, feingegliederten Hand nachlässig über den glänzend schwarzen Kinnbart gleitend, machte er weit eher den Eindruck, als höre er den ermüdenden Bericht eines Bittstellers, nicht aber eine so furchtbare Anklage.

      »Sie sind krank, gnädige Frau«, sagte er so mild, als spräche er zu einem Kinde, während sie erschöpft schwieg; »dieser Umstand entschuldigt Ihre maßlose Bitterkeit in meinen Augen vollständig – ich werde sie zu vergessen suchen... Es würde mir ein leichtes sein, Ihre Beschuldigungen sofort schlagend zu widerlegen und vieles, was da geschehen sein mag, auf die eigentliche Quelle, die schrankenloseste weibliche Eifersucht zurückzuführen« – bei den letzten, mit großem Nachdruck betonten Worten verschärfte sich seine sonore Stimme und wurde spitz wie ein Dolch –, »allein nichts wird mich vermögen, im Beisein dieser jungen Dame hier Dinge zu erörtern, die ihr kindliches Gefühl schwer verletzen dürften.«

      Die Blinde stieß ein bitteres Hohngelächter aus.

      »O welche Zartheit!« rief sie. »Ich mache Ihnen mein Kompliment für diese brillante diplomatische Wendung!« fügte sie schneidend hinzu. »Übrigens sprechen Sie ohne Scheu – was Sie auch vorbringen mögen, es wird immer geeignet sein, häßliche Schlaglichter auf jene Sphäre zu werfen, die eben diese junge Dame hier in ihren kindischen Träumen ›das Paradies‹ zu nennen pflegt... ein Paradies – diese trügerische Decke über bodenlosen Abgründen!... Mit dem letzten Rest von Energie und Kraft, der meiner gebrochenen Seele geblieben ist, habe ich dies Kind dem Boden, dem es durch die Geburt angehört, entfremdet, ja entrissen, in treuer Fürsorge um sein Glück, aber auch – aus Rache für mich!... Die letzte Zweiflingen tritt in bürgerliche Verhältnisse, wo ich weiß, daß man sie auf Händen trägt, aber die Welt wird auch sagen: ›Da seht, welch elender Scheinen der Nimbus des Namens ist, wenn der Besitz fehlt!‹ – ein willkommener Beleg für die moderne Anschauungsweise, die einen Stein nach dem anderen aus dem Fundament der Aristokratie reißt!«

      Sie brach zusammen.

      »Und nun entfernen Sie sich!« gebot sie mit erlöschender Stimme. »Es würde der bitterste Schluß meines zertretenen Lebens sein, wenn ich verurteilt wäre – in Ihrer Gegenwart zu sterben!«

      Einen Moment noch blieb der Minister zögernd stehen; allein es breitete sich ein Etwas über das aschfarbene Gesicht der Kranken, das, wenn auch oft in seinen Anfängen noch unverstanden, doch der Umgebung eine unwillkürliche Scheu einflößt: das Siegel des Todes!... Während Jutta, einen gewöhnlichen Krampfanfall der Leidenden voraussetzend, mit zitternden Händen Medizin in einen Löffel goß, schritt Baron Fleury geräuschlos nach der Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen und wandte den Kopf zurück nach dem jungen Mädchen – noch einmal begegneten sich die vier Augen –, Jutta ließ erbebend den Löffel sinken, und die dunkeln Arzneitropfen ergossen sich über das weiße Tischtuch... Der Mann dort an der Tür lächelte und verschwand. Auch draußen über die hallenden Steinfliesen glitt sein erst so fest und gebieterisch auftretender Fuß fast unhörbar. Er schritt nicht nach der Haustür, über deren Schwelle die Herrin des Waldhauses unerbittlich ihn verwiesen hatte – der Sturm heulte grimmiger als je da draußen und rüttelte an den eichenen Bohlen der Tür, als verlange er ein heraustretendes Opfer, um es zerschmetternd gegen die Stämme der Waldbäume schleudern zu können... Der Minister wartete in Sieverts wohlgeheizter Stube, bis der alte Soldat, der bei den Pferden geblieben war, zurückkehrte. Mit ihm kamen einige Lakaien aus Arnsberg; sie trugen große Laternen, um vorausschreitend die schmale, gefahrvolle Waldstraße zu erhellen: Mittels frischer Pferde hatte man den Wagen bereits aus den Geleisen gehoben – und fünf Minuten später lag das ungastliche Haus wieder einsam und verlassen inmitten der brausenden Waldwipfel...

      Noch vor Mitternacht schritten zwei Boten durch den beschneiten, aber nun totenstillen Wald nach dem Orte Greinsfeld, um den dortigen Arzt zu holen – ein Arbeiter vom Hüttenwerk und Sievert. In der Hüttenmeisterwohnung tobte der junge Bertold Ehrhardt in rasenden Fieberphantasien – er wehrte unter Verwünschungen unausgesetzt die weißen, bittend gefalteten Hände der Gräfin Völdern von sich ab, die er vor sich auf dem Boden liegen sah mit dem lang nachschleppenden gelben Haar und dem feinen Blutbächlein, das von der Schläfe herab über den schneeigen Hals und Busen rieselte. Im Waldhause aber lag eine, für die der Gang durch den Wald umsonst gemacht wurde. Sie kämpfte den letzten schweren Kampf fast mühelos. Die erkälteten Hände lagen unbeweglich im Schoße; in immer längeren Zwischenräumen säuselte ein fast unhörbarer Atemzug über die Lippen, und die halb zugesunkenen Lider zuckten und zitterten im letzten leisen Krampf – um den Mund aber zog sich bereits jenes stille Lächeln, das wir so gern als das Merkmal süßen Ausruhens und innigster Befriedigung bezeichnen... Wo war die Seele, die vor wenigen Stunden noch mit allen ihren Wunden, und noch einmal auf den Gipfel emporbrausender Leidenschaft sich erhebend, aus den nun gebrochenen Augen gefunkelt hatte?...

      Jutta lag am Boden und preßte die Stirne auf das Knie der Sterbenden. In den dunkeln Locken hingen noch die Tazetten, die welkend ihre weißen Blätter falteten, und die prachtvolle blaue Seidenrobe floß über die groben Dielen – sie mahnte mit jedem leisen Knistern und Rauschen grausam an den letzten Schmerz, den die Tochter dem mütterlichen Herzen zugefügt hatte und der sich nicht mehr abbitten, nicht mehr sühnen ließ.

      Auf dem kleinen, von einer halbzerfallenen Lehmmauer eingefriedigten Kirchhof zu Neuenfeld waren Frau von Zweiflingens sterbliche Überreste vor wenigen Tagen eingesenkt worden. Hier sah man freilich nicht ein einziges jener graubemoosten Zeichen, wie sie in aristokratischen Familiengrüften mit steinerner Zunge reden von ewigen Vorrechten und unübersteiglichen Schranken zwischen den Menschenkindern. Ganz entgegengesetzt dem Zwecke dieses Bilderschmuckes, der selbst angesichts der zerfallenen Erdenherrlichkeit noch Ehrfurcht für das moderne Geschlecht erzwingen will, denken wir nur daran, daß die armen Seelen unverhüllt und maskenlos in Gottes Hand zurückkehren mußten, in der sie anders wiegen als auf dem kleinen Erdenball, wo die Mitwelt götzendienerisch genug ist, weltlichen Besitz und ein Wappenschild in die Wagschale zu werfen...

      Jetzt freilich breitete sich die Schneedecke alles einhüllend über die wenigen Hügelreihen des armseligen Dorfkirchhofs, in ihrer weißen Eintönigkeit nur selten unterbrochen durch ein vom Wind halb umgeblasenes schwarzes, schmuckloses Holzkreuz, den Ruheplatz einsamer Krähen – im Sommer aber, da kamen Waldesschatten und Waldesduft über die Mauer, die bergansteigend hart an die letzten Buchen stieß. Da floß und flutete Leben in dem fetten Grün des Haseldickichts, das in den vier Mauerecken wucherte, in den Adern der flinken Grasmücken und Rotkehlchen, die in dem Gebüsch ungestört nisteten, in den Brombeerranken, deren lange Arme vom Waldboden herüber lustig durch die Breschen der zerbröckelten Lehmwand krochen und eine ganze Last saftstrotzender, schwarzer Beeren auf die einsame, gemiedene Rasendecke legten; und der Sonnenstrahl lief emsig hin und her und zog ein buntes Blumenhaupt nach dem anderen aus der Saat des Todes – da klang das majestätische Auferstehen überzeugender als in den Mausoleen, wo Verwesung und Moder die Herren sind...

      Vielleicht dieser Gedanke, noch mehr aber wohl der glühende Haß gegen ihre Standesgenossen hatten Frau von Zweiflingen dieses einsame Grab wünschen lassen.


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